Mit der Bahn aus der Krise

Railway
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 Italien setzt auf Hightech, genehmigt schneller und treibt den Ausbau von Netz und Flotte voran. Deutsche Zulieferer bestätigen eine interessante Marktentwicklung. 

Inmitten der Corona-Pandemie, die Italien wie kaum ein anderes Land traf, entwickelt sich ein Sektor zum neuen Zugpferd des Aufschwungs: der Bahntransport. Während viele Industrieunternehmen zunächst vorsichtig mit neuen Investitionen sind, geht die italienische Bahn als Vorbild voran, zumal sie auch ein wichtiger Akteur für die grüne Wende ist. Schon vor Corona sah der Industrieplan der Ferrovie dello Stato Investitionen von 28 Milliarden Euro bis 2023 für den Ausbau und Erhalt der Schieneninfrastruktur vor. Alleine 6 Milliarden sind für die Digitalisierung vorgesehen.

2020 AUSSCHREIBUNGEN FÜR 14 MRD. EURO

Nun kommt zusätzliche Bewegung in den Sektor. Noch dieses Jahr will die Bahninfrastrukturgesellschaft RFI, eine Tochterfirma der Ferrovie dello Stato, Ausschreibun-gen über 13,8 Milliarden Euro lancieren, davon 6,3 Milliarden für Technologie und Sicherheit. Außerdem könnte der Vorstandschef von RFI außerordentliche Befugnisse erhalten, um Genehmigungs- und Vergabeprozeduren zu beschleunigen. Der schnelle Neubau der Morandi-Brücke in Genua soll als Blaupause für einen effizienten Projektablauf dienen. Im Mittelpunkt stehen Großprojekte von europäischer Bedeutung wie die zusätzliche Verbindung zwischen den Häfen in Ligurien und Mailand (Terzo Valico), die künftig auch Züge mit aufgeladenen Lkw und mit High Cube-Containern tragen wird. Außerdem baut Italien am vierspurigen Zugang zum zukünftigen Brennerbasistunnel. Zurzeit läuft mit dem Teilstück zwischen Franzensfeste und Ponte Gardena der erste von vier Bauabschnitten. Weitere Teilprojekte betreffen neue Streckenteile und Umführungen an den Knotenpunkten Bozen, Trient, Rovereto und Verona. Zu nennen ist auch die Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Turin und Lyon, die den Warenfluss über die Schiene stärker nach Westen öffnen wird. Alle drei Projekt sind wichtige Korridore des transeuropäischen Transportnetzwerks (TEN-T). Besonderes Augenmerk kommt bei den neuen Aus-schreibungen dem Süden zu. Symbolischer Meilenstein war kürzlich die erstmalige direkte Ankunft eines „roten Pfeils“ (Frecciarossa), dem Hochgeschwindigkeitszug der Ferrovie dello Stato, aus dem Norden an der Stiefelspitze in Reggio Calabria.

MODERNES HGV-NETZ WÄCHST

Außerdem baut Italien sein Hochgeschwindigkeitsnetz aus, das als eines der modernsten in Europa gilt. Die nächsten Etappen sind Neapel-Bari, Messina-Catania und Brescia-Verona. Deutsche Unternehmen helfen beim Ausbau. Der Werdohler Verkehrstechnik-Konzern Vossloh beispielsweise liefert Schienenbefestigungssysteme mit innovativen Komponenten und Weichensysteme. 2019 si-cherte sich Vossloh einen neuen Rahmenvertrag für Weichenkomponenten für die neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken. Schon jetzt hat Italien auf rund 709 km auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen Turin-Brescia, Mailand-Florenz sowie Rom-Neapel das System für Management und Steuerung des Eisenbahnverkehrs auf den Strecken der Transeuropäischen Netze (ERMTS) installiert. Vorgesehen ist eine Ausweitung auf das gesamte Bahnnetz. In Arbeit ist zudem eine Anbindung des ERMTS an die Galileo-Satelliten (ERSAT-Projekt), das nach ersten Tests in Sardinien nun auf einer Pilotstrecke in der Lombardei (Gallarate-Rho) zum Einsatz kommen wird. Auch die Regionalstrecken wachsen, zum Beispiel auf der bislang stiefmütterlich behandelten Adriaseite. Beim Branchenverband Assifer besteht Sorge, dass viele staatliche Mittel dem stark von Corona betroffenem öffentlichen Nahverkehr zufließen könnten. Die neue Initiative, durch welche die Bahn zum Symbol des Neustarts der italienischen Wirtschaft werden soll, könnte die zum Teil schon lange geplanten Projekte nun aber doch in die Tat umsetzen. Die Ferrovie dello Stato gelten als gut geführtes, zukunftsorientiertes Unternehmen und haben in den vergangenen zwei Jahren jeweils starke finanzielle Ergebnisse eingefahren.

FOKUS AUF MODERNER INSTANDHALTUNG

Auch der Instandhaltung des Netzes kommt eine hohe Bedeutung zu. Hier nutzte RFI bereits die Corona-Auszeit. Künftig soll verstärkt moderne Technologie zum Einsatz kommen, unter anderem mobile Diagnosesysteme und mit künstlicher Intelligenz und Sensoren gestützte Struktur-monitoringinstrumente, die in Echtzeit und auch vorausschauend über den Zustand von Gleisen, Tunneln, Brücken und Viadukten informieren. Der Verband Assifer bemängelt, dass die 2018 verkündete Ausweitung des ERMTS auf konventionelle Strecken bislang kaum weitergekommen ist und auch die fälligen Rahmenverträge mit Firmen für Elektrifizierung und Signaltechnik im Wert von insgesamt 1,5 Milliarden Euro erst zu einem Viertel erneuert worden sind. Doch auch in diesem Bereich scheinen sich die Prioritäten zum Positiven zu verändern.

„RFI ist sehr interessiert an Innovationen und investiert in diesem Bereich auch tatsächlich viel“,

sagt Federico Toriello, Sales Manager bei der Kieler Firma Zöllner Signal GmbH, die unter anderem Warnanlagen für Bahnbaustellen nach Italien verkauft. Auch Vossloh ist im Bereich Schieneninstandhaltung bei verschiedenen Projekten aktiv.

600 NEUE ZÜGE BIS 2023

Ein weiterer Schwerpunkt des Modernisierungsschocks der italienischen Bahn ist die Runderneuerung der Züge. Bis 2023 will die italienische Bahn 80 Prozent der Regionalzüge ersetzen und hat dafür rund 6 Milliarden Euro reserviert. Die meisten der rund 600 georderten neuen energiesparenden Regionalzüge laufen in den Werken von Alstom in Savigliano (Piemont), Sesto S. Giovanni (Lombardei) und Bologna sowie von Hitachi in Pistoia (Toskana) vom Band. Die Firma Bode Schaltbau aus Kassel beliefert Hitachi mit Tür- und Zustiegssystemen.

„Der Umfang der Ausschreibung zeigt den massiven Bedarf“,

sagt Ignazio Rizzo, Key Account Manager Rail Division bei Bode. Auch die rund 50 neuen Diesel-Elektro-Hybridzüge der Schweizer Firma Stadler, die im Auftrag der Ferrovie Nord Milano ab 2021 auf nicht-elektrifizierten Strecken in der Lombardei zirkulieren, werden von Bode ausgestattet.

HIGHTECH-GESELLSCHAFT DER BAHN

Verschiedene Marktteilnehmer bestätigen, dass RFI sich sehr fortschrittlich bezüglich Innovation zeigt. Mitte 2019 bündelte RFI seine Hightech-Aktivitäten in einer eigenen Organisation (FS Technology S.p.A), in die auch das Kompetenzzentrum für Lebenszyklusplanung der Engineeringgesellschaft Italferr überging. Das Kompetenzzentrum gilt als Vorreiter bei der Integration von Building Information Modells und geografischen Informationssystemen. Die neue Organisation soll die digitale Innovation im gesamten Spektrum auf der Basis von Blockchain, künstlicher Intelligenz, Robotik und IoT, 5G-Netzwerken und moderner Cloud-Infrastruktur in Gang bringen. Einige Schwerpunkte sind Passagierinformationssysteme, Videoanalysesystemen in Bahnhöfen und die prediktive mobile Diagnose der Infrastruktur. Was die Zusammenarbeit mit Zulieferern betrifft, ist FS Technology nach eigenen Angaben weniger an schlüsselfertigen Produkten interessiert, sondern will gemeinsam mit Unternehmen Lösungen entwickeln.

WARENVERKEHR KÖNNTE DURCH EUROPÄISCHE KORRIDORE IN GANG KOMMEN

Bislang steht Italiens Schienensektor im Zeichen des Personentransports. Laut Eurostat laufen erst rund 13 Prozent des Warenverkehrs über die Schiene und das auch vorrangig im Norden. Das könnte sich schrittweise ändern, wenn nun die Häfen besser angebunden werden. Das gilt besonders für Genua und Triest, auch in Zusammenhang mit Italiens möglicher Rolle im Rahmen der neuen Seidenstraße. Der neue Link nach Frankreich von Turin nach Lyon und die landesweite Harmonisierung auf das ERMTS sind weitere wichtige Faktoren. Nach einer Komplettierung der drei durch Italien verlaufenden TEN-T-Korridore mit einer entsprechenden Interoperabilität der Regionalstrecken können auch deutsche Züge bis nach Apulien oder Sizilien vordringen. Zudem verkündete die Regierung mehrfach, künftig stärker auf den intermodalen Warenverkehr zu setzen. Neben der Bahn bauen auch viele Industriebetriebe und Hafengesellschaften ihre Schienenanschlüsse aus.

FAZIT

Auch wenn sich die komplizierten Strukturen und die chronisch langen Prozesse nicht für Nacht verschlanken lassen, scheint der Zeitpunkt über ein Engagement in Italien aus Sicht deutscher Zulieferer günstig. Das nächste größere Branchentreffen ist die Messe Expo Ferroviaria vom 30. September bis 2. Oktober 2021 in Mailand.

Oliver Döhne

AUTOR: OLIVER DÖHNE

Seit August 2018 als Marktbeobachter für GTAI (Germany Trade & Invest) aus Mailand über Branchentrends und die Wirtschaftsentwicklung in Italien und Malta. GTAI ist die Außenwirtschaftsfördergesellschaft der deutschen Bundesregierung.

Artikel Redaktion Eurailpress
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