Nicht Minister Scheuer allein ist das Problem

Soeder Sommerinterview
Foto: ARD

Am Sonntag, 2. August 2020, gab Bayerns Regierungschef und CSU-Vorsitzender Markus Söder im ARD-„Sommerinterview“ eine bemerkenswerte Einschätzung von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, die den bedrängten Minister teilweise in Schutz nahm. Wir finden: Söder hat Recht!

Abgewogen die Worte suchend, reflektierend, Pro und Contra konkret, aber sachlich aussprechend – das ist der „Söder 2.0“, der sich so vorteilhaft vom früheren Haudegen abhebt. Scheuer habe es „nicht leicht, weil er natürlich auch von Journalisten, zum Teil zu Recht, zum Teil auch ein bisschen überzogen, immer wieder jeden Tag unter Beschuss genommen wird.“ So formuliert der neue Söder. Und ich muss gestehen, auch als unabhängiger Journalist würde ich es nicht anders schreiben. Das ist noch nicht einmal „Söder, der Landesvater“, also ein unverbindlich Weihrauch verbreitender Herold des Wohlgefallens, (der gleichzeitig zu Parteizwecken das christliche Kreuz als bloße bajuwarische Folklore fehldeutet). Das ist fast schon, pardon, die Physikerin Merkel, die mit trocken-menschlicher Sachlichkeit derzeit wieder allseits beliebt und geachtet ist.

Jetzt also zu Andreas „Andi“ Scheuer. Der stehe jetzt erst mal vor der schwierigen Aufgabe, „diese ärgerliche, ärgerliche Sache mit der Straßenverkehrsordnung“ wieder hinzukriegen. Aber als Minister gebe er in seinem Amt auch „viele gute Anstöße und Vorschläge“. Das ist mir fast peinlich, aber ich würde es nicht anders sagen!

Die größten Patzer leistete sich Scheuer auf der Straße. Aber der Minister alleine ist nicht das Problem. Der Dieselskandal: Da lavierte der Minister zwischen dem Bedürfnis von Öffentlichkeit und Pkw-Käufern nach durchgreifendem Handeln sowie dem Druck von Lobbyisten (der Verband der Automobilindustrie ist seit 2007 mit kurzer Pause in der Hand hochrangiger CDU-Politiker) und der Politik auf der anderen Seite. CSU-Bayern, Grün/CDU-Baden-Württemberg und SPD-Niedersachsen, um nur die wichtigsten Standorte zu nennen, betrachten sich immer noch als Kern des „Autolands Deutschland“.

"Das Dreisteste, was ich in acht Jahren Brüssel erlebt habe" – „Nach starkem Druck der Autoindustrie hat sich Kanzlerin Merkel persönlich eingemischt - und damit die EU-Regel vorerst abgewendet, den CO2-Ausstoß im Autoverkehr zu reduzieren.“ So titelte die Süddeutsche Zeitung am 27. Juli 2013. Wer könnte da meinen, der Andi durfte im luftleeren Raum den Diesel-Panschern die Leviten lesen?

Oder die leidige Ausländer-Maut, ohne Erfolg gegenüber der EU als allgemeine Pkw-Autobahn-Maut angepriesen. Bei der hastig-voreiligen Unterzeichnung von Verträgen mit dem Maut-Konsortium schoss Scheuer, nun ja, deutlich über das Ziel hinaus. Die dadurch vielleicht auf den Staat, also auf die Allgemeinheit, zukommenden Kosten sind unentschuldbar. Doch war nicht bis dahin gerade die Pkw-Maut zentrales Petitum der CSU gewesen? Konnte Scheuer sicher sein, dass der im Januar 2019 ins Amt gekommene neue CSU-Parteivorsitzende Söder von diesem Kurs abrücken würde?

Als Parteivorsitzender der CSU war Söders Vorgänger, der heutige Innenminister Seehofer, von Anfang an die treibende Kraft hinter der Ausländermaut. Das zeigten jüngst überdeutlich die Anhörungen im Untersuchungsausschuss Pkw-Maut des Bundestags. Seehofer schrieb die Stammtischparole der Pkw-Maut in das Wahlprogramm der CSU und drückte sie 2013 in den Koalitionsvertrag der Großen Koalition. Bedenken des damaligen CSU-Verkehrsministers Ramsauer wischte er beiseite. Noch heute – und so viel Unverstand schmerzt – fühlt sich Seehofer im Recht. Vor dem Untersuchungsausschuss erklärte er: „Wodurch Ramsauers Zweifel motiviert waren, ist mir bis heute nicht ersichtlich.“

Auch Ramsauer war als Verkehrsminister nicht ohne Fehl und Tadel. Bei einem Treffen mit dem Verband der Auslandspresse in Deutschland fragten polnische Journalistenkolleg*innen nach Bahnverbindungen zwischen Deutschland und Polen. Ramsauer offenbarte erschütternde Unkenntnis. Damals wurde uns eine Tonbandaufnahme des Treffens zugespielt. Man hört, dass Ramsauer den Ausbau der Bahnstrecke Horka-Hoyerswerda loben wollte, allein, ihm fielen die Namen der Ortschaften nicht ein. „HORKA“ riefen die Polen, „ähäm ja, Horka“ führte ein deutlich verunsicherter Ramsauer seinen Vortrag weiter. Mich erinnerte das an die unsterbliche Tonbandaufnahme (ist auch in unserem Archiv) des damals schon unter Gedächtnisverlust leidenden Alt-Bundespräsidenten Heinrich Lübke mit seinem rhetorischen Highlight: „Wenn ich heute hier vor Ihnen … (Blätterrascheln) in … (Zurufe: Helmstedt! Helmstedt!) …ähäm Helmstedt stehe, dann war das mein besonderer Wunsch und Wille!“

Nach Ramsauers Blackout stoßseufzten wir also still gen Himmel: Wann wird endlich CDU-MdB und Staatssekretär Enak Ferlemann Verkehrsminister? DEM wäre so etwas nicht passiert! Aber immerhin, Ramsauer mühte sich um Solidität, auch wenn die starke Abhängigkeit von Vorgaben aus München unverkennbar war. Wichtig sind Straßen- und Bahnprojekte in Bayern sowie die Verkehrspolitik der CSU, den Rest konnst macha wiar a Dachdeckerr, war unser Eindruck. Dann muss man auch solche für Bayern unbedeutende Orte wie, pardon, Horka nicht kennen. Noch deutlicher wurde das bei seinem Nachfolger Alexander Dobrindt. Es schien, er habe nur eine Aufgabe zu regeln – die Pkw-Maut.

Im Januar 2019 löste Markus Söder, damals schon Bayerns Ministerpräsident, seinen Dauer-Rivalen Seehofer auch als Parteichef ab. Am 18. Juni 2019 verbot der Europäische Gerichtshof (EuGH) die deutsche Auto-Maut. Hatte Scheuer noch zu sehr die Direktiven von Seehofer im Blut und konnte nicht flexibel genug umschalten?

Am 23.7.2020, inzwischen schon gebeutelt durch die Folgen der schlecht gewerkelten Pkw-Maut, preschte Scheuer plötzlich mit einem neuen Vorschlag nach vorn: einer EU-weiten  Pkw-Maut. Demnach sollten bis 2029 alle Fahrzeuge außer Busse und Motorräder auf allen europäischen Autobahnen Mautgebühr zahlen müssen. Eine ernsthafte Debatte gar es nicht, das klang zu sehr nach Ablenkung. Kaum jemand bemerkte, dass hier Scheuer - vielleicht hatte er es selber vergessen, die Zeiten sind ja so schnelllebig - exakt auf Söders Spuren wandelte!

Am 15.Juli 2019 hatte Söder als Ministerpräsident vor einer CSU-Vorstandssitzung Medienvertretern erklärt: Nach der vom EuGH gestoppten deutschen Maut werde es keine Alleingänge mehr geben. Das Ziel müsse vielmehr eine europaweit einheitliche Pkw-Maut sein: „Entweder Maut für alle oder gar keinen!“ Und exakt diese Idee wiederholte jetzt im Interview mit dem bahn manager ein führender Verkehrspolitiker Österreichs. Das Interview erscheint in der kommenden Ausgabe Nr. 4/2020 des bahn managers und wird hier noch getrennt vorgestellt werden. Offenbar ist das Duo Scheuer/Söder deutlicher Europa-kompatibel als die Vorgänger.

Doch für uns entscheidend bei der Bewertung des Verkehrsministers Andi Scheuer ist: Erstmals seit langem haben wir wirklich bei diesem Minister den Eindruck, dass er den Schienenverkehr mag! Förderlich ist dabei sicher der Nachdruck, den die SPD im Koalitionsprogramm auf den Bahnsektor legte, wie auch ein gewisses Umdenken bei der CDU. Doch ohne eine innere positive Grundeinstellung wären optimale Ergebnisse schwerlich zu erwarten. Also halten wir uns fern von wohlfeilen Ministerkritiken und bitten vielmehr: Lieber Andi, konzentrier Dich auf die Eisenbahn, brauchst de ned schama!

Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager

Artikel Redaktion Eurailpress
Artikel Redaktion Eurailpress