Prignitz-Express-Linie R soll ab 2028 elektrisch fahren

Foto: VBB / Hans Leister

Der Landkreis Ostprignitz-Ruppin (OPR) im Nordwesten von Brandenburg und Berlin wünscht, ab 2028 auf der Regionalexpresslinie RE6 elektrisch in die Berliner Innenstadt fahren zu können.

Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager

Nach der Wiedervereinigung wurde die 139 Kilometer lange Bahnstrecke  Hennigsdorf – Wittenberge in den Jahren 1997 – 2008 für Geschwindigkeiten bis zu 120 km/h ausgebaut. Die RE6 ist eingleisig und wird bis 2028 seitens DB Regio durch Dieseltriebzüge des Typs Alstom Lint bedient. Eine Studie des Potsdamer Beratungsinstituts Innoverse GmbH im Auftrag des Landkreises OPR schlägt jetzt vor: Bis 2028 soll die Strecke für den Einsatz von Batterie-elektrischen Neubau-Triebzügen vorbereitet werden, die dann direkt in den Berliner Hauptbahnhof einfahren können.

„Die RE6 ist für die Region ein wichtiger Lebensnerv“,

betonte auf einer Pressekonferenz am 15.1.2021 Landrat Ralf Reinhardt. Trotz ihrer Bedeutung sei es die einzige Regionallinie der Region, die „nicht auf direktem Wege in die Bundeshauptstadt hineinfährt. Das beschäftigt uns seit vielen Jahren. Ich hoffe, dass unsere kooperierenden Stellen – der Verkehrsverbund VBB und das Verkehrsministerium – ebenfalls in diese Richtung Prioritäten setzen und frühzeitige Weichenstellungen ermöglichen“.

Bereits Ende 2019 hatte der Kreistag Ostprignitz-Ruppin in einer Resolution das Land Brandenburg aufgefordert, schnellstmöglich mit der Deutschen Bahn eine Finanzierungsvereinbarung für einen Halbstundentakt ab Ende 2024 von Neuruppin bis nach Kremmen abzuschließen. Dort besteht ein Anschluss an den RB 55. Zu diesem Zweck solle bei Beetz für etwa 28 Millionen Euro ein etwa sechseinhalb Kilometer langes zweites Gleis gebaut werden, damit sich dort Züge begegnen und ausweichen können. Auch solle der Haltepunkt in Radensleben zu einem Kreuzungsbahnhof ausgebaut werden.

Das Ausbauprogramm für den Schienenverkehr in Berlin/Brandenburg „i2030“ greift diese Forderung auf. Auch soll die S-Bahn in Zukunft nach Velten verlängert werden und die heute nur von der S-Bahn genutzte Strecke von Hennigsdorf bis zur Abzweigung Schönholz so ausgebaut werden, dass sie auch vom Prignitz-Express genutzt werden kann. Dann wäre zumindest die direkte Weiterführung des Prignitz-Express bis zum Bahnhof Berlin Gesundbrunnen möglich. Jetzt erweitert sich der Forderungskatalog um das Thema Elektrifizierung.

ELEKTRISCHER RE6-BETRIEB – ABER WIE?

Derzeit sind 62 Prozent der deutschen Bahnlinien elektrifiziert, die Bundesregierung will bis 2025 die Bahn-Elektrifizierung auf 70 Prozent heben. In einer Stellungnahme für den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags hatte das Bündnis für fairen Wettbewerb im Schienenpersonenverkehr mofair im Januar 2021 festgestellt: „Wichtig ist eine schnelle Entscheidung zur genauen Elektrifizierungsstrategie des Bundes im Eisenbahnverkehr. Es muss entschieden werden, welche Strecken genau wann elektrifiziert werden. Umgekehrt ist eine Entscheidung, welche Strecken dauerhaft nicht elektrifiziert werden, ebenso wichtig. Erst an einer solchen Planung können die Aufgabenträger im SPNV ihre Ausschreibungen ausrichten.“

Mangels klarer Festlegung über eine mögliche Elektrifizierung der Regionallinie geht der für Verkehrs-Ausschreibungen federführende Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg offenbar bislang davon aus, dass auch nach 2028 auf der Strecke Dieseltriebzüge eingesetzt werden. Das liefe aber den Klimaschutzzielen von Bundesregierung und EU zuwider, die eine Abkehr von der Dieseltraktion nötig machen. Zudem ist mit Dieselfahrzeugen eine Anbindung von Hennigsdorf an den Berliner Hauptbahnhof unmöglich, weil die dazu nötige Tunneldurchquerung für Dieselfahrzeuge verboten ist. Aus diesem Grund müssen derzeit Nutzer*innen des Prignitz-Express RE6 in Hennigsdorf nach Fahrtrichtungswechsel weiter umständlich über den nordwestlichen Berliner Außenring nach Spandau und Gesundbrunnen fahren oder in Hennigsdorf in die S-Bahn umsteigen. In diesem Fall besteht die Gefahr, den Anschluss um wenige Minuten zu verfehlen und am Ziel 20 Minuten oder sogar eine Stunde verspätet einzutreffen.

BATTERIE-ELEKTRISCH ZUM BERLINER HBF

Hans Leister, Senior Consultant bei Innoverse, erklärte jetzt bei der Vorstellung seiner 33-seitigen Studie: „Es ist ein Dauer-Provisorium - denn das war eigentlich nie gedacht, dass man auf Dauer so fährt.“ Deshalb sei jetzt der „ideale Zeitpunkt“ für Entscheidungen, die es mit dem 2028 beginnenden neuen Verkehrsvertrag erlauben würden, „etwas Zukunftsweisendes“ zu schaffen. Da eine komplette Elektrifizierung der RE6 zu teuer („mindestens 150 Millionen Euro“) und auch langwierig wäre, biete sich die zukünftige Planung mit Wasserstoff – oder Batterietriebzügen an.

In seiner Ausarbeitung erläuterte Leister, dass die Schaffung der notwendigen Infrastruktur  für Wasserstoffzüge wahrscheinlich zu aufwändig sei. Auch Elektrozüge, welche mit Batteriestrom angetrieben würden, verlangten eine Aufrüstung der Bahn-Infrastruktur. Dies sei jedoch finanziell und zeitlich besser beherrschbar. Bei Batteriezügen handle es sich „um „normale“ Elektrotriebwagen mit hohen Fahrleistungen (140-160 km/h, gute Beschleunigung) mit zusätzlichen Batterien, die während der Fahrt unter Oberleitung

oder im Stand unter Oberleitung geladen werden können.“ Da die derzeit auf dem Markt befindlichen Batteriezüge im Schnitt zumindest alle 100 Kilometer mit Strom nachgeladen werden müssen, scheide eine durchgehende Nutzung der RE6 nur im Batteriebetrieb aus. Die Lösung heiße deshalb „OLIA“.

MIT „OLIA“ ZUM ERFOLG

Diese Abkürzung bezeichne „Elektrifizierungsinseln“, exakt so genannte Oberleitungsinsel-Anlagen, deren Nutzung während der Fahrt die Batterie-Ladung ermögliche. In der Studie heißt es dazu: „Die Elektrifizierungsinseln müssen sich in einem günstigen Abstand zu den anderen Fahrleitungsabschnitten befinden und ausreichend lang sein, um 8-10 Minuten Fahrzeit unter der Fahrleitung zu ermöglichen. Außerdem sollten sie sich an Stellen im Netz befinden, wo entweder eine Bahnstromversorgung vorhanden ist oder aber eine Einspeisung ausreichender Leistung durch ein Umformer-Werk kostengünstig sichergestellt werden kann.“

Für diese Nachrüstung biete die RE6 günstige Möglichkeiten, informierte Leister und stellte folgenden Kostenplan auf:

  • Oberleitungsinselanlage Liebenthal 6,0 Millionen Euro
  • Umformerwerk Liebenthal 2,5 Millionen Euro
  • Oberleitungsinselanlage Neuruppin einschließlich Betriebsgleise 9,0 Millionen Euro
  • Umformerwerk Neuruppin 5,5 Millionen Euro
  • Zusammen 23 Millionen Euro

Der Realisierung dieses Konzepts komme entgegen, so Hans Leister, dass „seit kurzem“ der Bau von Oberleitungen kein Planfeststellungsverfahren mehr erfordere. Damit sei eine schnelle Realisierung möglich, die – so die Studie – „nicht nur eine Reduzierung des fossilen

Energieeinsatzes bedeutet, sondern langfristig auch eine Kostensenkung im Betrieb.“ Charmant: Batteriezüge dürften das S-Bahn-Gleis ab Hennigsdorf nutzen, weil ihr Betrieb keine störende Beeinflussung des S-Bahn-Stromnetzes bedeute. So könne sogar der Tunnel zum Berliner Hauptbahnhof durchquert werden.

Im Fall der Verlängerung des Prignitz-Express nach Berlin werde entweder die Re-Elektrifizierung der Strecke Hennigsdorf-Velten notwendig oder eine Verlängerung der Elektrifizierungsinsel Neuruppin um 11 Kilometer. Auch dies wird in der Studie durchgerechnet: „Für die Verlängerung der Elektrifizierungsinsel Neuruppin bis Wustrau-Radensleben wird mit einer Investition von 7 Millionen Euro zu rechnen sein, der erhöhte Aufwand im Bereich des Seedamm ist dabei berücksichtigt. Die Re-Elektrifizierung Hennigsdorf-Velten umfasst eine Fahrleitung auf 6 km Gleislänge (zwei Gleise im Bahnhof Velten), Kosten für die Zuleitung entstehen nicht. Dafür sind etwa 4 Millionen Euro anzusetzen.“

Landrat Ralf Reinhardt kündigte an, für diese Konzeption jetzt intensiv zu werben. Ganz im Sinne der Schlusssätze der Studie: „Mit maximal 30 Millionen Euro, die zum Teil aus Bundes-Elektrifizierungsprogrammen finanziert werden könnten, ist dieses Projekt sehr sinnvoll. Wichtig ist nun, die Planung voranzutreiben, damit fortgeschrittene Planungsunterlagen zur Verfügung stehen, sobald das von der Bundesregierung angekündigte Förderprogramm für Elektrifizierung vorhanden sein wird. Ein elektrischer Prignitz-Express ist keine ferne Wunschvorstellung, sondern hat eine realistische Umsetzungs-Chance bereits für Dezember 2028.“

Artikel Redaktion Eurailpress
Artikel Redaktion Eurailpress