Schon am kommenden Freitag EU-Zustimmung für Fusion Alstom-Bombardier?

Alstom Bombardier

Er sollte Bombardiers digitale Revolution beflügeln, wird dies jetzt aber vielleicht für Alstom tun: Der 30-jährige Berliner Oz Ural dürfte sicher auch im vereinten Konzern Alstom-Bombardier eine prominente Rolle spielen, und diese Fusion könnte die EU an diesem Freitag bereits durchwinken.

Die Agentur Reuters meldete am Montagabend, 27.7.2020, dass am kommenden Freitag wohl die Wettbewerbshüter der Europäischen Union die Fusion des französischen Bahnkonzerns Alstom mit der Bahnsparte Bombardier Transportation des kanadischen Transportherstellers Bombardier erlauben wollen. Das hätten der Agentur zwei informierte Gewährsleute mitgeteilt. Es sei also möglich, dass am Freitag die EU-Kommission keine weitere vertiefte Prüfung veranlasst, sondern sofort ihre Zustimmung verkündet.

Hilfreich für eine positive Einstellung der EU sei gewesen, dass Bombardier auf Einwand von Siemens zugesagt habe, in der Signaltechnik der Konkurrenz Zugang zu seinen Zugsteuerungs-Systemen gewähren. Die vermutete übergroße Marktmacht in der Signaltechnik war der Grund gewesen, warum im Februar 2019 EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die zuvor geplante Fusion Alstom-Siemens abgelehnt hatte. Dieses Mal wurden vorauseilend noch weitere Zugeständnisse angeboten – Alstom will sein Werk Reichshoffen mit der Plattform der dort gebauten Coradia Polyvalent-Regionalzüge außerhalb der Fusion verkaufen, und Bombardier seine in Hennigsdorf bei Berlin beheimatete Plattform der Talent 3-Regionaltriebzüge.

AUTONOME ZÜGE JETZT MIT ALSTOM?

Dem derzeitigen Digitalchef Oz Ural bei Bombardier Transportation mit Sitz in Berlin dürfte die Innovationsfreudigkeit der Franzosen gefallen, sollte es tatsächlich zu der Fusion kommen. Bei Bombardier wurde Ural als „Mann für die großen Innovationen“ von Silicon Valley geholt. Apps, Big Data und autonomes Fahren: Ural und sein 12-köpfiges Team sollen neue Technologien erforschen, um das Bahnfahren angenehmer und sicherer zu machen, vor allem natürlich mit Bombardier-Zügen.

Ob Ural tatsächlich in der Lage wäre, bei Bombardier bis 2025 den „großen Wurf“ zu landen, die Markteinführung von autonomen Zügen ohne Lokführer? Genügend Selbstbewusstsein hat der Forscher jedenfalls. Doch werden solche Züge wirklich gebraucht? Wo sollen sie fahren, wer soll sie bestellen und bezahlen? Ohne den flächendeckenden Ausbau der Level 3 ETCS-Streckentechnik dürften die Erprobungen weitgehend Trockenübungen bleiben.

Die französischen Staatsbahnen SNCF testen jedoch seit längerem autonome Fahrsysteme – die sie dort allerdings bewusst „ferngesteuertes Fahren“ nennen. „Es wird Lokführer aus der Ferne geben, welche die Kontrolle übernehmen, wenn wir uns in einer gestörten Situation befinden“, erklärte FRET SNCF-Digitalisierungsoffizier Bernard Minary dem bahn manager. „Dies ist die Vision, die wir haben. Ich möchte nicht sagen, dass es komplett autonom ist. Wir haben nicht den Ehrgeiz, alle Lokführer zu ersetzen, das macht keinen Sinn.“

Weiter erklärte Minary dem bahn manager: „Das eigentliche Projekt zielt darauf ab, bestimmte Verkehre aufzurüsten, von denen wir wissen, dass wir Kapazitätserhöhungen und Frequenzerhöhungen benötigen, sehr konkrete Züge und mehr Frequenz an Orten, an denen es schwierig ist, derzeit Wege zu finden. Wenn Züge autonom sind, können wir mehr Züge auf dieselbe Infrastruktur setzen, da sie mit dem Autopiloten hintereinander fahren. Dies spart auch Energie. Die Idee ist, es nicht überall zu tun. Wie gesagt, es wird an Orten durchgeführt, an denen wir wissen, dass wir gleichzeitig Kapazitäts- und Entwicklungsprobleme haben. Innerhalb von fünf Jahren werden wir die autonomen Projekte auf den digitalen Güterverkehr umstellen, auf ein neues Niveau des Schienengüterverkehrs in Europa.“

In Frankreich ist, wen wundert’s – Alstom selbstverständlich bei den Automatisierungserprobungen mit von der Partie. Sollte die Fusion Alstom-Bombardier also die Gnade der EU-Kommission finden, wäre Bombardiers Berliner digitaler Shooting Star Oz Ural zwar kein Solitär mehr, sondern mit den dann neuen französischen Kolleg*innen primus inter pares. Aber das wäre ja nicht das Schlechteste!

Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager

Artikel Redaktion Eurailpress
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