Interviews

Dr.-Ing. Jürg Sparmann

"Geld für die Infrastruktur kommt nicht von alleine"


Deshalb muss man sich ernsthaft Gedanken machen, wie man in Zukunft seriös und nachhaltig Infrastruktur finanzieren kann, so Dr. Jürg Sparmann bei ETR-Fünf-Fragen im September 2011.

 

1. Herr Sparmann, Sie haben für das Rhein-Main-Gebiet einen Mobilitätsmasterplan aufgestellt. Was ist das Ziel? 

Die knappen Mittel, die für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung stehen, müssen so sinnvoll wie möglich eingesetzt werden. Daher haben wir für die Aufstellung des Mobilitätsmasterplans ein Verfahren entwickelt, das eine Bewertung der Wirkungen jeder einzelnen Maßnahme, aber auch von Bündeln von Maßnahmen, im Verhältnis zu den Kosten zulässt. Dabei können im Sinne der Nachhaltigkeit auch Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima einbezogen werden. Im Unterschied zu einer Kosten-Nutzen-Analyse geht es beim Mobilitätsmasterplan also um eine Prioritätenfeststellung und nicht um die Beurteilung der Bauwürdigkeit an sich. Mit dem Rechenmodell können wir ermitteln, welche Infrastrukturprojekte unter Berücksichtigung der in die Untersuchung einbezogenen Kriterien den größten Nutzwert für den regionalen Verkehr bringen.

 

2. Was sind Ihre Ergebnisse für den SPNV im Rhein-Main-Gebiet?

Viele Schienenstrecken werden vom Personenfern-, -regional- und -nahverkehr, aber auch vom Güterverkehr gemeinsam genutzt, was durch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Züge und durch Verspätungen im  Personenfernverkehr zu Behinderungen im Nahverkehr führt, weil der Personenfernverkehr auf den Schienen bevorzugt wird. Die Attraktivität des Bahnverkehrs hängt aber in hohem Maß von der Zuverlässigkeit der im Fahrplan ausgewiesenen Ankunftszeiten ab. Um dies im Regionalverkehr zu verbessern, ist es notwendig, die S-Bahnstrecken weiter auszubauen und damit den SPNV vom allgemeinen Schienenverkehr zu trennen. 

 

3. Es sind neue S-Bahn-Strecken geplant. Können alle realisiert werden?

Beim jetzigen Stand der Finanzierung durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) nicht. Je nach Expertenmeinung sind mit den heutigen Planungen die bis 2019 zur Verfügung stehenden GVFG-Mittel schon jetzt 2 bis 3mal überbucht. Das heißt, nur ein Drittel bis die Hälfte der Strecken können finanziert werden. Und das umfasst nur die Planungen, die eigentlich bis 2015 realisiert sein sollten.

 

4. Also ein Fall für die Prioritätensetzung. Wie sieht die aus?

Für die Straße konnten wir eine ausführliche Prioritätenliste festlegen. Bei der Schiene gestaltete sich das schwieriger. Der ÖPNV lässt sich in dem von uns für beide Verkehrsmittel entwickelten Rechenmodell schwerer bewerten, da er mehr Faktoren hat, die sich mathematisch nicht eindeutig bestimmen lassen. Stau oder Nicht-Stau ist einfacher zu erfassen als die Bedeutung, die 5 Minuten Verspätung für den Öffentlichen Nahverkehr haben. Wir haben schließlich erst einmal darauf verzichtet, dieses methodische Problem zu lösen, weil über Schieneninfrastrukturprojekte viel stärker als im Straßenbau in Berlin entschieden wird. Der regionale Einfluss ist gering. Wir werden jedoch an der Frage der Bewertung des ÖPNV weiterarbeiten und stehen deshalb in Verhandlungen mit dem Rhein-Main-Verkehrsverbund. Für die 6 bis 8 SPNV-Projekte, die konkret in Rhein-Main geplant sind, kann man zusammenfassend sagen, dass sie alle gebraucht werden. Die eine kostet mehr, die andere weniger. Letztendlich kann man also auch entscheiden, für die eine Strecke reicht das Geld noch, für die andere nicht mehr. 

 

5. Der SPNV ist also an einem Punkt angekommen, wo eine Prioritätenliste nicht mehr sinnvoll ist, weil alle Projekte gleich brennend sind?

Ja, weil das Geld fehlt. Der Punkt ist erreicht, an dem man sich ernsthaft Gedanken machen muss, wie wir den Ausbau der Infrastruktur zukünftig finanzieren können. Besonders, wenn man bedenkt, dass ab 2020 die GVFG-Finanzierung wegfällt. Ich möchte Ideen wie die PKW-Maut, von der auch die Schiene profitieren würde, oder eine Nahverkehrsabgabe, hier nicht weiter ausführen. Für uns ist wichtig, dass wir mit den Erkenntnissen des Mobilitätsmasterplans den Land- und Stadträten in Rhein-Main die Situation klar machen konnten. Früher hat man gedacht, irgendwie kommt das Geld für die Infrastruktur schon. Jetzt ist das Bewusstsein gestärkt worden, dass es von alleine nicht kommen wird.

 

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Artikel von Kurzinterview aus der ETR, Ausgabe 09/2011
Artikel von Kurzinterview aus der ETR, Ausgabe 09/2011