Interviews

Dr. Joachim Winter

Wir müssen auch die Infrastruktur neu denken

Dr. Joachim Winter leitet beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) das Projekt Next Generation Train. Er forscht für Züge, die 2050 auf dem Netz fahren könnten. Doch neue Züge können auch ein Umdenken bei der Infrastruktur erfordern.

1. Was wäre aus Ihrer Sicht der erste Schritt in eine gelungene Digitalisierung?
Der einfachste Schritt, die Digitalisierung voranzutreiben, ist, die vorhandenen Daten zusammenzuführen und zum Wohle des Fahrgastes auszuwerten. Das wurde von der Deutschen Bahn jetzt auch so angekündigt.


2. Mit dem Projekt Next Generation Train HST schauen Sie in die Zukunft. Dabei betrachten Sie mehr als nur die Fahrzeuge. Warum?
Im Rahmen des Projektes ist es sehr wichtig, die komplette Logistikkette für den Fahrgast anzubieten, sowohl was die Fahrzeuge als auch Infrastruktur und besonders die Bahnhöfe betrifft. Es müssen intermodale Übergänge geschaffen und diese dann digital durch die Kommunikationsmedien betreut werden. All diese Bereiche sind deshalb Teil unseres Projektes.


3. Den Zug der Zukunft sehen Sie mit Doppelstockwagen, bei denen die beiden Stockwerke nicht durch Treppen miteinander verbunden sind. Warum?
Um die Kapazität des Netzes zu steigern, müssen wir bei gegebener Länge in die Höhe gehen, deshalb die Doppelstockwagen. Um dann den Durchsatz im Bahnhof anzupassen, müssen die Fahrgäste dieser Züge schnell ein- und aussteigen können. Der Zug fährt dabei zentimetergenau in den Bahnhof ein, die Fahrgäste steigen unten normal, oben aber über Rampen, wie bei Flugzeugen, auf der einen Seite aus und auf der anderen ein. Bei der Zughöhe müssen wir die Körpergröße der nächsten Generationen berücksichtigen. Prognosen gehen davon aus, dass unsere Nachkommen in Europa häufig 2 m groß sein werden.


4. Sie arbeiten auch am Next Generation Train CARGO, mit dem der Güterverkehr schneller werden soll. Was sind hier die wichtigsten Änderungen?
Der NGT CARGO entspricht äußerlich dem NGT HST. Er bietet bei gleicher aerodynamischer Güte ein großes Transportvolumen für eher leichte Güter, wie es die Pakete der Online-Versandhäuser sind. Mit 4 Radsätzen kann ein Zwischenwagen lärmarm 64 Tonnen Güter transportieren. Massengüter werden dabei nicht berücksichtigt. Da die Einzelräder sowohl angetrieben als auch generatorisch gebremst sind, lassen sich Einzelwagen über kurze Entfernungen automatisch fahren.


5. Wenn man die Planungszeiten bei der Bahn betrachtet, sind die 34 Jahre bis 2050 gar nicht so lange. Müsste man schon heute Infrastrukturprojekte anders auslegen?
Wir müssen auch die Infrastruktur neu denken. Nehmen wir einen Zug der Zukunft, der 400 m lang ist. Wenn sie im letzten Wagen sitzen, müssen sie in einem Kopfbahnhof 400 m gehen, wenn sie umsteigen und wieder im letzten Wagen sitzen, sogar 800 m. Unter Komfort verstehen Fahrgäste etwas anderes. Die Bahnsteige müssen deshalb übereinander gebaut werden, damit man schnell umsteigen kann. Auf ­Straßenhöhe würden Elektroautos oder andere lokal emissionsfreie Fahrzeuge des Nahverkehrs warten und wären innerhalb kürzester Zeit erreichbar. Über digitale Kommunikation würde der Fahrgast geleitet werden. Wenn wir davon ausgehen, dass die Züge langfristig höher werden (müssten), müsste für eine erhöhte Kippsicherheit auch die Spurweite breiter werden. In Ländern mit historisch gewachsener Eisenbahninfrastruktur ist dies ein Innovationshemmnis. Man kann dort nur sehr langfristig in neue Zielvorgaben migrieren.

 

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Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 4/16
Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 4/16