Interviews

Dr. Volker Kefer

"Technik als Teil des Prozesses"


Als DB-Vorstand der Ressorts Technik und Infrastruktur ist es angetreten, Qualität und Zuverlässigkeit der Deutschen Bahn zu verbessern. Seine Mittel: Analyse, Prozessoptimierung und Kommunikation. Wie er sich zwischen neue Strukturen , alten Problemen und den einfachen Genüsse des Lebens bewegt, verriet er der ETR im September-Interview 2011.

 

Dr. Kefer, Sie sind seit zwei Jahren Technik- und Infrastruktur-Vorstand der Deutschen Bahn AG. Was haben Sie verändert?

Ich hatte im Konzernvorstand als erstes die Aufgabe, für die DB ein Technikressort aufzubauen, die Infrastruktur kam später hinzu. Die Bezeichnung Technik ist dabei eine Vereinfachung. In Wirklichkeit geht es um Technik, Systemverbund und Dienstleistungen. Diese Bereiche umfasst das Ressort. Am Anfang eines Veränderungsprozesses steht immer eine umfassende Analyse, um aus dem Bereich des Glaubens und Meinens herauszukommen. Wir haben genau hingeschaut und unsere Erkenntnisse in Zahlen, Daten und Fakten gefasst. Anschließend wurden Themen mit hohem Handlungsbedarf priorisiert und Maßnahmen festgelegt. Das Ergebnis waren maßgebliche Veränderungen für die Bereiche Sicherheit & Qualität, Engineering und Beschaffung. Die Technik an sich war vorher eine Art Zentralabteilung für den Konzern. Bei der Deutschen Bahn arbeiten wir in den einzelnen Geschäftsfeldern mit hochtechnologischen Produktionsmitteln. Diese high-tech Produktionsmittel muss man verstehen, sonst kann man sein Geschäft nicht richtig managen. Die Einheit von Technik und Betrieb war in der Vergangenheit aufgespalten worden. Deshalb haben wir die spezifischen Technikkompetenzen wieder in die Geschäftsfelder zurück verlagert. So sind jetzt zum Beispiel Bauartverantwortung und Bauartbetreuung in einer Hand zusammengeführt.

 

Wenn Sie die technische Kompetenz in die Geschäftsfelder zurückverlagern, was ist dann noch die Aufgabe eines Ressorts Technik?

Es muss im Konzern einen geben, der im Gesamtkonzert der Geschäftsfelder die übergreifende Klammer darstellt. Wenn diese Klammer fehlt, optimiert sich jedes Geschäftsfeld für sich allein und das hochkomplexe System Bahn funktioniert an den Schnittstellen nicht mehr richtig. Dann steht die Infrastruktur auf der einen Seite, das rollende Material auf der anderen Seite. Diese Systemklammer ist das Ressort Technik: Wir dirigieren ein Orchester, in dem jeder sein Instrument spielt und sorgen dafür, dass das Zusammenspiel funktioniert. Strukturell setzen wir dieses neue Verständnis so um, dass es jetzt – neudeutsch – einen CTO, einen Chief Technology Officer, einen CPO, einen Chief Procurement Officer, und einen CQO, einen Chief Quality Offi cer gibt. Sie stehen für die wesentlichen Zentralfunktionen – Technik, Beschaffung, Sicherheit & Qualität – die genau dieses Zusammenspiel am Ende gewährleisten sollen. Während vorher die Aufgabenstellung der Technik ein Stück weit ein Gemischtwarenladen war, haben wir jetzt die Aufgaben genau definiert, so dass klar ist, wer was zu tun hat und wo die Verantwortlichkeiten liegen.

 

Im Zuge der Umstrukturierung gliedern Sie DB Systemtechnik aus. Warum?

Wir haben uns gefragt, was die Kernkompetenz der Bahn mit Blick auf die Technik sein sollte. Eines ist sicher: Die Kompetenz, Fahrzeuge zu bauen und diese Fahrzeuge auch zuzulassen, sollte die Kernkompetenz der Industrie sein und nicht die der Bahn. In der jüngeren Vergangenheit mussten wir jedoch, der Not gehorchend, eine ganze Menge Themen bearbeiten, die eigentlich zu dieser Kernkompetenz der Industrie gehören. Ich erinnere nur an die Probleme mit Rissen in den Radsatzwellen. Diese Themen sind nicht Kernkompetenz der Deutschen Bahn, sollten aber Kernkompetenz des gesamten Sektors sein. Deshalb haben wir uns entschlossen, unser Know-how dem gesamten Sektor als Dienstleistung zur Verfügung zu stellen. Wir haben deshalb unsere Kompetenzen in einer eigenständigen Gesellschaft, der DB Systemtechnik, zusammengefasst, bei der die Industrie Aufträge platzieren und damit unser Systemwissen nutzen kann. Wir haben sehr gute Signale vom Markt für eine Weiterentwicklung der DB Systemtechnik zu einem europaweit führenden Anbieter für Ingenieur- und Prüfdienstleistungen. Es gibt auch Interessensbekundungen von Unternehmen, sich hier zu beteiligen. In den kommenden fünf Jahren werden wir aber auf jeden Fall die Mehrheit an der Gesellschaft behalten.

 

Wer künftig das System-Know-how der Deutschen Bahn nutzen will, soll sich die Dienstleistung über die DB Systemtechnik zukaufen?

Wir wollen mit der DB Systemtechnik eine Professionalisierung des Sektors in Zulassungsfragen und bei der Nachweisführung erreichen. Dieses Ziel manifestiert sich auch in dem „Handbuch Eisenbahnfahrzeuge“, das wir als Teil der Neuaufstellung des Ressorts Technik in Zusammenarbeit mit der Industrie, dem Eisenbahn-Bundesamt und dem Verkehrsministerium sowie den Aufgabenträgern erarbeitet haben. Das Handbuch ist ein gemeinsam verabschiedeter Leitfaden für den Sektor Bahn, in dem das Zusammenspiel aller Beteiligten im Detail beschrieben wird, um die Qualitäts- und Zulassungsprozesse für neue Fahrzeuge zu verbessern. Insbesondere die Einbeziehung des Eisenbahn-Bundesamtes in den Gesamtprozess, von der Entwicklung über die Konstruktion und Produktion bis hin zur Inbetriebnahme von Fahrzeugen, ist ein wichtiger Meilenstein. Dieses Handbuch wird als Arbeitsbasis vom Sektor genutzt, der jetzt eine konkrete Vorstellung davon hat, wie diese Prozesse ablaufen sollten. Wir als Deutsche Bahn haben dieses Handbuch dazu genutzt, uns so zu organisieren, dass wir die Prozesse gut bedienen können und ein Unternehmen am Markt haben, das als Dienstleister den Sektor als Ganzes unterstützen kann.

 

Sie haben den Chief Quality Officer als Teil der Umstrukturierung genannt. Ist dies die einzige Maßnahme zur Verbesserung der Qualitätssicherung?

Die Etablierung dieser Funktion war der wichtigste Schritt. Der Chief Quality Officer erarbeitet die Regeln für das Qualitätsmanagement und der Vorstand beschließt ihre Einführung. Ab dann gelten die Regeln für den ganzen Konzern. Es gibt natürlich noch weitere Maßnahmen. Eine Säule unserer Strategie sind die sogenannten Quality-Gates, grob übersetzt mit Qualitätsmeilensteine, die wir mittlerweile in einer ganzen Reihe von Verträgen verankert haben. 

 

Auch beim ICx?

Ja, auch beim ICx.

 

Viele der Neuerungen beim Qualitätsmanagement sind in weiten Bereichen der Wirtschaft schon lange Standard. Wie lief es denn vorher bei der DB?

Es gab bis zur Privatisierung eine Bundesbahn, die über das heutige Aufgabenspektrum hinaus auch tatsächlich Konstruktions- und Integrationsleistungen beim Rollenden Material erbracht hat. 1994 traf man dann die Entscheidung: Die neu gegründete Deutsche Bahn fokussiert sich auf ihre eigentliche Kernaufgabe, den Betrieb, und überlässt Konstruktion sowie Fertigung von Fahrzeugen der Industrie. Das hat damals zu sehr großen Veränderungen geführt, auch auf Industrieseite. Unternehmen wie Siemens waren gezwungen, Hersteller hinzuzukaufen, um überhaupt komplette Fahrzeuge anbieten zu können. Ein langer Lernprozess für die Industrie und ein großer Umstellungsprozess für die Bahn wurden in Gang gesetzt. Die Bahn hat sich dabei sehr stark auf den Betrieb fokussiert und die Herstellung von Fahrzeugen komplett den Herstellern überlassen. Jetzt sehen wir uns als Bahn mit einer Reihe von Qualitätsproblemen bei den Fahrzeugen konfrontiert. Das bedeutet für mich, dass das Pendel ein Stück zu weit in Richtung Industrie ausgeschlagen hat. Wir wollen ganz bestimmt nicht wieder in die Konstruktion von Fahrzeugen einsteigen. Aber wir wollen in einem früheren Prozessstadium die Zusammenarbeit mit der Industrie beginnen. Es gilt, frühzeitig zu erkennen, wo es Nachsteuerungsbedarf gibt. Deswegen haben wir die überwiegende Mehrzahl der Quality-Gates nicht am Ende, sondern zu Beginn des Prozesses – in der Entwicklungs- und Fertigungsphase – gesetzt.

 

Sie waren in jener Zeit, in der die Umstellung stattfand, auf der anderen Seite, bei der Industrie. Inwieweit fließen Ihre Erfahrungen bei Siemens in die neuen Qualitätssicherungsprozesse bei der Deutschen Bahn ein?

Ich habe bei Siemens hautnah miterlebt, was es bedeutet, ein Schienenfahrzeug zu konstruieren und zu bauen. Ich habe auch erfahren, wo die grundsätzlichen Probleme beim Engineering liegen. Ein einfaches Beispiel: Wenn ein Auftrag an die Industrie vergeben wird, erfolgt im Anschluss an die Vertragsunterzeichnung die Aufgabenklärung. Das heißt, das Lastenheft wird in ein Pflichtenheft umgesetzt. Wenn man bei dieser Auftragsklärung zu viel Zeit ins Land gehen lässt, schadet dies der Qualität: Wenn das Engineering zu spät startet, muss die verlorene Zeit in der Fertigungsphase aufgeholt werden. Dies geschieht meist dadurch, dass der geordnete Regelprozess verlassen wird. Wer einmal für Fertigung verantwortlich war, weiß sehr wohl, dass ein Fertigungsleiter normalerweise sagt: „Ich fange nicht an, bevor ich eine komplette Stückliste habe und bevor nicht sämtliche Zeichnungen frei geschaltet sind.“ Wenn das Engineering sich verspätet, ist man irgendwann gezwungen, vorzeitig mit der Produktion anzufangen. Sie arbeiten dann mit Provisorien und mit Teilinformationen. In der Folge muss man während der laufenden Fertigung wieder vieles verändern. Dies führt immer zu einer schlechteren Qualität des Produktes. Wer dies weiß, weiß auch: Damit alle am Prozess Beteiligten geregelt zusammen arbeiten, muss von Anfang an für genügend Kontrolle gesorgt werden. Wir haben beim ICx vereinbart, dass wir sofort an den Siemens-Vorstand eskalieren, wenn wir merken, dass bei einem Quality-Gate größere Probleme auftauchen. So bekommen wir den notwendigen Druck in das Projekt.

 

Ist dieses Stottern im Entwicklungs- und Fertigungsprozess der Grund für die Lieferverzögerungen bei den neuen ICE-3?

Die Lieferverzögerungen für die neuen ICEs von Siemens sind meiner Wahrnehmung nach in der Hauptsache durch das Zulassungsverfahren für Fahrzeuge in Europa hervorgerufen. Dieser Prozess ist heute leider zeitlich fast nicht vorher bestimmbar. Das muss geändert werden.

 

Wie?

In Deutschland wissen wir jetzt durch das Handbuch für den Sektor Bahn, welche Unterlagen zu welcher Zeit und in welcher Qualität geliefert werden müssen. Von dieser Klarheit im Prozess sind wir in Europa noch meilenweit entfernt.

 

Der Ton zwischen der Deutschen Bahn und der Industrie ist schärfer geworden. Ihr Vorstandskollege Ulrich Homburg sagte, die Deutsche Bahn lasse sich nicht mehr prügeln für das, was andere verursacht haben.

Wir stecken als Deutsche Bahn in einer schwierigen Situation. Wir sind ohnehin ein Unternehmen, das wie kaum ein anderes in Deutschland im öffentlichen Meinungsfokus steht. Gibt es technische Probleme bei Fahrzeugen, wird nicht unterschieden, ob wir dafür verantwortlich sind oder andere. In unseren Fahrzeugen gibt es eine Vielzahl von Komponenten. Keine davon haben wir entwickelt oder gefertigt. Wir sind reine Nutzer. Doch wenn sie nicht funktionieren, sind sie in der öffentlichen Wahrnehmung unser Problem. Die Reaktion von Ulrich Homburg kann ich deshalb gut nachvollziehen. Wir geben uns mit diesem Zustand ja nicht zufrieden, sondern stellen die Prozesse mit Hochdruck auf eine andere Basis. Zu diesen Maßnahmen gehören die Quality-Gates und das Handbuch. Wir zahlen erst dann den Hauptteil des vertraglich fixierten Kaufpreises, wenn die Fahrzeuge durch den Hersteller zugelassen sind und einen Stempel der Prüfbehörde haben. Wie immer im Leben sind die Dinge nur dann verbesserbar, wenn Veränderungsdruck herrscht.

 

Wie zufrieden sind Sie selbst mit dem bisher Erreichten in Bezug auf Qualität und Zuverlässigkeit?

Ich bin noch nicht zufrieden. Wir haben einen neuen Kurs eingeschlagen und müssen diesen konsequent fortsetzen. Wir haben in kurzer Zeit bereits Verbesserungen für den Konzern und das System Bahn erzielt. Wir sind aber noch nicht soweit, dass ich sagen kann: Es ist gut so. Handlungsbedarf besteht weiterhin bei Klimaanlagen, Weichen, Antrieben oder Stromrichtern. Diese Themen werden uns noch die nächsten Jahre beschäftigen. Ich kann auch nicht ausschließen, dass in Zukunft das eine oder andere Thema hinzukommt, von dem wir heute noch nichts ahnen. Dennoch, unsere Erfolge können sich sehen lassen. Wir haben in vielen kritischen Bereichen Lösungen gefunden und Maßnahmen festgelegt. Bei den Radsatzwellen haben wir Vergleichsvereinbarungen mit Siemens, Alstom und Bombardier erzielt. Die Zulassung der neuen Wellen läuft. Wir rechnen damit, in 2012 mit dem Austauschprogramm starten zu können. Dann steigt auch wieder sukzessive die Verfügbarkeit unserer ICE-Flotte. Bei den Stromrichtern für die Klimaanlagen rüsten wir ebenfalls nach. Bei den Weichen haben wir prozesstechnische Veränderungen beschlossen, so dass wir schnell reagieren können, wenn im Winter Weichen nicht mehr gängig sind. Es wird besser. Wir brauchen Beharrlichkeit und Geduld. Dennoch, fehlerfrei sind auch wir nicht.

 

Dieses Jahr haben wir 20 Jahre Hochgeschwindigkeitsverkehr gefeiert. Wenn Sie von heute aus 20 Jahre in die Zukunft schauen, wie wird sich Deutschland dann mit der Bahn fortbewegen? 

Mit dem ICx-Konzept, das stark modular aufgebaut ist, haben wir einen wichtigen Schritt in die Zukunft gemacht. Wir können die Züge flexibel an Verkehrs- und Marktbedürfnisse anpassen. Das ist für uns eminent wichtig. Zwar wissen wir um den demographischen Wandel unserer Gesellschaft, wissen jedoch nicht, wie sich letztlich die Mobilitätsansprüche der Menschen entwickeln werden. Mit dem ICx können wir uns unterschiedlichen Entwicklungen anpassen. Da es nur noch 4 plus 1 Wagentypen gibt, haben wir zudem deutliche Vorteile in der Instandhaltung. Weiterhin haben wir mit dem ICx auch Themen umgesetzt, die unsere Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig verbessern und den Trends unserer Zeit entsprechen. Ein Stichwort ist Energieeffizienz, die wir beim ICx durch weniger Gewicht und geringeren Luftwiderstand erreichen, ohne auf Komfort zu verzichten. Mit dem neuen Zug werden wir einen Fahrgastkomfort anbieten, der in Europa führend ist.

 

Wie sieht es mit noch höheren Geschwindigkeiten im Hochgeschwindigkeitsverkehr aus?

Das Geheimnis hoher Reisegeschwindigkeiten liegt nicht darin, dass wir die Maximalgeschwindigkeit immer weiter nach oben treiben. Wir haben heute einige Strecken, wo wir 300 km/h fahren können. Kürzere Reisezeiten für Bahnkunden, denn das steht ja hinter Ihrer Frage, kann man auch dadurch erreichen, dass man auf längeren Strecken, die Geschwindigkeit unterhalb der 300 km/h erhöht. Beispiel: Wenn wir uns längere Reisewege anschauen, haben wir eine ganze Reihe von Strecken, die nur 160 km/h erlauben. Wenn wir diese Streckenabschnitte auf 200 oder 250 km/h beschleunigen und die Gleisqualität insgesamt verstetigen, dann verkürzt das die Reisezeiten mindestens genauso stark, als wenn wir noch weitere, vereinzelte Strecken mit enormen Aufwand für 300 km/h bauen.

 

Sehen Sie aufgrund der Liberalisierung im europäischen Eisenbahnmarkt neue Anforderungen auf die Technik zukommen?

Das ist eine schwierige Frage. Die meisten reden davon, dass man die Zulassungsbedingungen in Europa in Richtung Cross Acceptance harmonisieren müsse. Das bedeutet, dass die Zulassung eines Fahrzeugs in einem Land dann auch für alle anderen Länder gelten würde. Grundsätzlich zielt dieser Ansatz in die richtige Richtung. Wir müssen allerdings berücksichtigen, dass es aufgrund der unterschiedlichen Infrastruktur in den europäischen Ländern eben auch unterschiedliche Anforderungen gibt. Es reicht deshalb nicht aus, nur die Vorschriften zu ändern, sondern man muss auch die Infrastruktur harmonisieren. Es braucht keinen Propheten, um zu sehen, dass es noch gut 20 Jahre dauern wird, bis ETCS flächendeckend in Europa Raum greift. Die Kosten sind immens. Bis dahin behelfen wir uns mit einzelnen Korridoren. 

 

Sie werden in den kommenden 5 Jahren 3.500 Fahrzeuge für rund 12 Mrd. EUR neu beschaffen. Reicht die Produktionskapazität in Europa aus oder überlegen Sie sich, auch außereuropäisch einzukaufen?

Wir stehen außereuropäischen Anbietern sehr offen gegenüber, weil wir Wettbewerb haben wollen. Daher haben wir auch schon mit außereuropäischen Anbietern, beispielsweise in Japan, gesprochen. Die Japaner zeigten sich sehr interessiert. Fakt ist aber auch, wenn man mit einem Produkt auf einen neuen Markt will, braucht es eine gewisse Zeit, bis dieses Produkt an den Anforderungen des neuen Marktes ausgerichtet ist. In einigen Bereichen gibt es schon neue Anbieter, die die Produktpalette über das Angebot der drei Systemhäuser Siemens, Alstom und Bombardier hinaus erweitern. Im Hochgeschwindigkeitssektor ist die Markteintrittsbarriere für Unternehmen höher, weil hier die Entwicklungskosten auf einem ganz anderen Niveau liegen. Es wird zusätzliche Anbieter geben, aber das benötigt seine Zeit. 

 

Deutschland ist Transitland für den Güterverkehr. Die Kapazitätsbelastung ist hoch. Können Sie sich vorstellen, eigene Schienenwege für den Güterverkehr zu bauen?

Die Mischnutzung des Netzes, wie sie in Deutschland Tradition hat, stellt sicher die beste Nutzung der Infrastruktur dar, die man sich vorstellen kann. Ich setze darauf, dass wir durch eine flächigere Nutzung unseres Netzes die Kapazität ausbauen können. Beispielsweise haben wir die Umsetzbarkeit eines Ostkorridors untersucht, in dem der Güterverkehr aus dem Norden bei Uelzen/Stendal einmündet und dann über vorhandene Nebenstrecken nach Regensburg geführt wird. Hier wäre nur ein zweites Gleis bei Uelzen/Stendal notwendig. Für die Infrastruktur wünsche ich mir insgesamt, dass die vorhandenen Konzepte bald mit einer Finanzierung hinterlegt und so in den kommenden 10 bis 15 Jahren umgesetzt werden können.

 

Durch den Finanzierungskreislauf Bahn werden Sie in Zukunft mehr Mittel haben.

Der Finanzierungskreislauf Bahn erweitert unseren Spielraum. Das ist eine gute Sache, denn wir können mehr realisieren. Es reicht zwar immer noch nicht für alles, was im vordringlichen Bedarf fixiert ist, doch ist es zumindest eine Verbesserung. 

 

Ein Problem bei der Erweiterung des Schienennetzes ist, dass sich Anwohner wegen der Lärmbelastung dagegen wehren. Wären Sie bereit, zugunsten des Ausbaus auf Forderungen wie Nachtfahrverbote oder Geschwindigkeitsbegrenzungen einzugehen?

Ich würde die Frage anders stellen: Was müssen wir tun, damit solche Forderungen gar nicht erst aufkommen? Das wäre der deutlich bessere Weg. Es gibt Maßnahmen auf der Infrastrukturseite, die den Lärm reduzieren. Deshalb bin ich sehr froh, dass es mittlerweile die Vereinbarung mit dem Bundesverkehrsministerium zum lärmabhängigen Trassenpreissystem gibt. Lärm kann man am effizientesten an dem Ort bekämpfen, an dem er entsteht. Im Falle der Bahn beim Ablauf des Rades auf der Schiene, denn hier werden Schwingungen induziert. Beim Einsatz von Flüsterbremsen schleifen die Bremsbeläge die Lauffläche der Räder, so dass sie sehr glatt bleiben. Damit gehen die induzierten Geräusche massiv, auf ungefähr die Hälfte, zurück. Der Einsatz von Flüsterbremsen ist ein sehr effizientes Mittel, dem Lärmübel an die Wurzel zu gehen und dadurch die Akzeptanz der Bürger, die an vielbefahrenen Strecken wohnen, für das System Bahn zu erhöhen. 

 

Stichwort Akzeptanz: Sie haben das Projekt Stuttgart 21 geerbt, haben in der Schlichtung die Deutsche Bahn vertreten. Wenn Sie ein solches Projekt initiieren würden, was würden Sie anders machen?

In aller Regel kommt man aus dem Rathaus klüger hinaus, als man hinein geht. Wir haben natürlich intern einige Schlussfolgerungen aus Stuttgart 21 gezogen. Unter anderem fangen wir gerade bei größeren Projekten sehr viel früher damit an, Ressourcen und Material für eine vernünftige Kommunikation bereit zu stellen. Die Argumentationslinien werden sauber vorbereitet: Warum wurde das Projekt entwickelt? Was ist sein Nutzen, was sind seine Risiken? Man darf sich vor kritischen Fragen nicht drücken, man muss sie anpacken und beantworten. All dies unter Berücksichtigung der Rolle, welche die Deutsche Bahn in einem solchen Projekt inne hat. Gerade bei großen Infrastrukturprojekten gibt es immer sowohl die politische als auch die eisenbahntechnische Komponente. Wir als Deutsche Bahn sind diejenigen, die die Projekte planen und realisieren. Wir sind jedoch nicht diejenigen, die final die Entscheidung über ein solches Projekt treffen. Die betriebswirtschaftliche Betrachtung, die wir für die Entscheidung beisteuern, ist zwar eine Conditio sine qua non. Als Unternehmen müssen wir darauf achten, mit einem Projekt kein Geld zu verlieren. Aber sie ist nicht das alleinige Entscheidungskriterium. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, dass solche Projekte und die damit verbundenen Entscheidungen deutlich schneller vorangehen. Bei großen Infrastrukturprojekten haben wir Planungs- und Realisierungszeiten von 30 bis 40 Jahren. Das ist zu lange. Nach so langer Zeit weiß keiner mehr, was zu Planungsbeginn die wesentlichen Argumente für das Projekt waren.  Nach so langen Jahren ist dann schwer nachprüfbar, ob sich die Ausgangsannahmen geändert haben.

 

Die private Frage: Wie entspannen Sie sich?

Ich bin in meiner Freizeit gerne mit meiner Frau zusammen. Ich sehe sie unter der Woche ja höchst selten oder überhaupt nicht. Ich verbringe dann die Zeit, indem ich mit ihr rede und das Leben auf eine sehr einfache Art genieße. Ein Stück Brot, ein Stück Käse und ein Glas Weißwein, das bedeutet für mich Vergnügen. Ansonsten schalte ich bei längeren Spaziergängen, Rad- oder Motorradtouren ab.

 

Dr. Kefer, vielen Dank für das Gespräch.

 

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Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 09/2011
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