Interviews

Frank Sennhenn

"Unsere Infrastruktur ist ein wichtiger Standortfaktor"

 

DB Netz hat seit einem Jahr ein weitgehend neues Führungsteam, das mit mehr Mitteln für Instand­haltung und Ausbau des Netzes rechnen kann. ETR sprach mit dem Vorstandsvorsitzenden Frank Sennhenn über Märkte, Bauten, Brücken und eine neue Unternehmenskultur.

1. Herr Sennhenn, Sie sind seit gut einem Jahr Vorsitzender der DB Netz AG. Was haben Sie in dieser Zeit geändert?
Ich möchte die Veränderungen nicht so stark mit mir identifiziert sehen. Alles, was sich verändert hat, haben wir als DB Netz gemeinsam erreicht. In dem vergangenen Jahr sind wir bei vielen Themen gut vorangekommen, beispiels- weise bei der Frage, wie viel Mittel die DB Netz AG zur Erfüllung ihrer Pflichten bekommt. Wir finanzieren unsere Arbeit ja aus zwei Quellen: Den Trassen-einnahmen, aus denen wir die Ausgaben für den Betrieb und die Instand-haltung bestreiten, und den Bundesmitteln, über die wir die Bestandsnetz-investitionen und den Ausbau finanzieren. Der entscheidende Punkt, an dem wir weiter gekommen sind, sind die Bundesmittel. Gestützt auch auf Gutachten außerhalb der DB haben wir den Nachholbedarf bei der Infrastruktur beziffert und ihn gegenüber der Bundesregierung auf eine gute Art und Weise adressiert. Gleichzeitig haben wir die Mittel für die Instandhaltung korrespondierend zum überalterten Anlagenbestand erhöht. Beim Thema Lärm sind wir ebenfalls einige Schritte vorangekommen. Wie andere Verkehrsträger auch sehen wir uns mehr und mehr konfrontiert mit der Forderung nach leiseren Transportwegen. Dieses Anliegen der Bürger nehmen wir ernst und haben schon einige Erfolge zu verzeichnen. Auch intern hat sich vieles verändert. Wir haben ein neues Vorstandsteam. Unsere Unternehmenskultur wandelt sich. Wir treten ein für mehr Transparenz und für offene, klare Worte, für eine Diskussionskultur, bei der wir solange streiten – oberhalb der Gürtellinie natürlich – bis wir eine gute Lösung gefunden haben. Zur neuen Unternehmenskultur gehört auch, dass wir die Organisationseinheiten im Unternehmen aufgerufen haben, Entwicklungspläne für ihre Bereiche zu schreiben. Statt Vorgaben zu machen, haben wir das Vorgehen umgedreht und unsere Führungskräfte, die ja die Verantwortung für mehrere Hundert, manchmal für mehrere Tausend Mitarbeiter haben, gefragt: „Wie wollen Sie Ihr Unternehmen weiterent­wickeln?“ Eindeutig verändert hat sich die Personalplanung, insbesondere im Nachgang zu Mainz. Sie ist deutlich robuster geworden, da wir Geld investiert und mehr Personal an Bord geholt haben. Neu ist auch das Ressort Großprojekte, das sich um die Projekte im Bedarfsplan kümmert. Hier finden Bürger und Politik verlässliche Ansprechpartner für ihre Anliegen.

2. DB Netz hat in den vergangenen Jahren immer viel Gewinn an die Holding abgeführt. Jetzt hat die DB ihre Gewinnerwartung für das kommende Jahr nach unten korrigiert, unter anderem wegen höherer Aufwendungen für das Netz. Können Sie diese quantifizieren?

Im Budget sind deutlich mehr Mittel für DB Netz eingeplant. Das bedeutet umgekehrt natürlich weniger Gewinn. Das ist unser Beitrag zum Erhalt der Schieneninfrastruktur in Deutschland. Bereits in den vergangenen Jahren hat die Bahn durchschnittlich 1,4 Mrd. EUR für die Instandhaltung aufgewendet. In 2014 haben wir den Betrag auf rund 1,6 Mrd. EUR erhöht, ein weiterer Mittelzuwachs auf rund 1,9 Mrd. EUR ist geplant.

3. Angesichts knapper Regionalisierungsmittel stellen die Länder die Frage, was eigentlich Nahverkehr und was Fernverkehr ist. So hat Rheinland-Pfalz sich entschlossen, die Strecke Koblenz – Trier nicht mehr aus Regionali-sierungsmitteln zu bestellen, da dies Fernverkehr sei. Was sagen Sie hierzu?

Wir halten uns aus der ordnungspolitischen Diskussion um Nah- und Fernverkehr weitgehend heraus. Unser Interesse ist, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Wenn dann Verkehre, die heute vom Fernverkehr gefahren werden, nicht aus Regionalisierungsmitteln bezahlt werden, ist für uns die Konsequenz, dass wir weniger Trasseneinnahmen haben. Dies ist für uns natürlich keine schöne Botschaft.

4. Was halten Sie von Vorschlägen wie dem „Infrastruktur-Soli“?

Im Endeffekt bin ich daran interessiert, dass die Rahmenbedingungen für unser Unternehmen so gestaltet werden, dass wir damit gut arbeiten können. Für den Standort Deutschland ist die Infrastruktur extrem wichtig. Dabei möchte ich mich aus der Diskussion, welche Finanzierungsform die Richtige ist, heraushalten. Unbestritten ist jedoch, dass die Infrastruktur insgesamt unterfinanziert ist. Dabei geht die Bedeutung der Infrastruktur über das Mobilitätsbedürfnis der einzelnen Bürger hinaus. Sie ist ein wesentlicher Standortfaktor.
Ein Beispiel: Kurz nachdem ich Vorstandsvorsitzender von DB Netz wurde, bin ich auf Rat meines Kollegen Jörg Sandvoß in die Seehäfen gefahren und habe mit Vertretern der Hafenwirtschaft gesprochen. Ich habe gefragt: Warum fahren Containerschiffe aus Asien, die Ware für Italien geladen haben, den ganzen langen Weg nach Hamburg, obwohl sie auch in den norditalienischen Häfen entladen könnten. Die Antwort war: Weil die Infrastruktur in Deutschland soviel besser ist. Daran zeigt sich, welche Bedeutung die Infrastruktur, insbesondere die Schiene, für Deutschland hat.

5. Sprach die Hafenwirtschaft explizit von der Schiene?

Häfen wie Hamburg, aber auch die Bremer Häfen oder die ARA-Häfen leben stark davon, dass Produkte über die Schiene abgefahren werden.

6. Augenblicklich laufen noch die Verhandlungen zur Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Wie ist der Stand der Dinge?
Wir sind in guten Gesprächen mit dem Bund und arbeiten uns nach und nach bei den einzelnen Themen vor. Jetzt eine Prognose über das Ergebnis abzugeben, ist allerdings noch zu früh. Wir hoffen, dass wir Ende des Jahres die Verhandlungen in einer Art und Weise beenden können, dass alle Beteiligten sagen, es hat sich gelohnt.

7. Handlungsbedarf besteht. Beispiel Brücken: Wie hoch ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass durch Brückenschäden die Qualität des Netzes zurückgeht?
Unter der Voraussetzung, dass die LuFV-Verhandlungen erfolgreich abge- schlossen werden, gehe ich davon aus, dass wir keine Einbußen bei der Qualität haben werden. Wir als DB haben unsere Planung für die kommenden Jahre so angelegt, dass wir das mehr an Mitteln, das dann hoffentlich über die LuFV kommen wird, verstärkt in die Brückensanierung lenken. Die ent- sprechenden Planungsvorläufe und Mitarbeiter sind vorgesehen. Wenn alle Voraussetzungen gegeben sind, werden wir keine Probleme haben.

8.… und wenn nicht?

Natürlich könnte man sich alle möglichen Schreckensszenarien ausmalen, doch darauf verschwenden wir keine Zeit. Wir verwenden unsere Energie darauf, die Dinge so zu gestalten, dass wir keine Probleme haben werden.

9. Wie ist der Stand der Dinge bei der ETCS-Einführung?

Aktuell arbeiten wir mit Hochdruck an der VDE 8. Hier findet die erste Inbetriebnahme Ende 2015 statt und wir gehen davon aus, dass wir ETCS (2 ohne Signale) rechtzeitig in Betrieb nehmen können. Dann folgt die nächste Stufe Ende 2017. Hieran arbeiten wir im Moment hart. Bei Korridor A haben wir die Planung aufgenommen. Außerdem gibt es noch ältere ­Projekte wie die Schienenerneuerungen Rostock – Berlin oder Nürnberg – Ingolstadt – München.
Wir werden dem Thema ETCS im Unternehmen deutlich mehr Raum geben als dies in der Vergangenheit der Fall war, weil klar ist, dass ETCS die Technologie der Zukunft ist.

10. Was tut die DB, um die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene zu unterstützen?          
Wir hatten seit 2008 das Seehafenhinterlandprogramm der Bundesregierung mit 305 Mio. EUR, das wir zusätzlich mit einem relevanten Anteil an Eigenmitteln aufstocken konnten. Im Rahmen dieses Programmes haben wir die Leistungsfähigkeit des Netzes deutlich erhöhen können, wobei die Maßnahmen nicht auf die Küstengebiete begrenzt waren, da die Verkehre ja durch ganz Deutschland führen und so auch Maßnahmen in Süddeutschland sinnvoll sein können. Die Bundesregierung hat ein weiteres Seehafenhinterlandprogramm angekündigt, das im Augenblick mit 300 Mio. EUR gehandelt wird. Das begrüßen wir außerordentlich. Der Güterverkehr ist für Deutschland als Land, aber auch für die DB Netz AG als Unternehmen sehr wichtig. Jede Tonne, die von der Straße auf die Schiene verlagert wird, bedeutet für uns mehr Einnahmen. Wir glauben, dass man im Bereich Güterverkehr auch mit verhältnismäßig wenig Geld viel erreichen kann, durch Umleiterstrecken und Alternativrouten. In den letzten Jahren haben sich die Verkehre immer mehr auf die ohnehin schon sehr belasteten Hauptrouten konzentriert. Im Interesse aller Schienenverkehre ist es wichtig, Routen zu finden, die den Personenverkehr und den Güterverkehr entmischen und dadurch dafür sorgen, dass beide friedvoll nebeneinander existieren können. Mögliche Maßnahmen sind die Elektrifizierung von Nebenstrecken, Streckenausbauten oder Überholgleise. Als DB nehmen wir mit dem sogenannten Netzfonds Eigenmittel in die Hand, bis 2018 insgesamt 118 Mio. EUR. Diese geben wir in kleinen Tranchen in den Markt, um Engpässe zu beseitigen und in­frastrukturelle Voraussetzungen zu schaffen, die dafür sorgen, dass Kunden mehr Verkehr auf die Schiene bringen können. Das sind übrigens Maßnahmen, die für uns auch betriebswirtschaftlich sehr interessant sind.

11. Warum ist es betriebswirtschaftlich sehr interessant, Mittel des Netzfonds in den Ausbau der Güterverkehrs-Infrastruktur zu stecken? Bleibt bei Investitionen in den Güterverkehr mehr für Sie übrig als im Nahverkehr? Netzfonds-Mittel fließen nicht allein in den Bereich Güterverkehr, sondern durchaus auch in den Nahverkehr. Doch der Güterverkehr als Markt reagiert sehr viel flexibler auf Kapazitäts- und Qualitätsveränderungen. Im Gegensatz zum Nahverkehr, wo es Bestandsnetze und feste Budgets gibt, stellt sich die Industrie jeden Tag neu die Frage, ob sie ihre Güter per Straße, Schiff oder per Schiene transportieren will. Diese Frage wird jedes Mal neu anhand der Qualität der Infrastruktur entschieden.

12. Wie groß ist der Anteil des Güterverkehrs am Gesamtumsatz von DB Netz?
Gemessen in Trassenkilometern lag der Anteil bei rund einem Viertel. Wir haben 2013 rund 1 Mrd. Trassenkilometer verkauft, davon mit rund 620 Mio. im Nahverkehr, ca. 250 Mio. im Güterverkehr und rund 140 Mio. im Fernverkehr.

13. Wie reagiert der Markt auf die lärmabhängigen Trassenpreise? Welche Zahlen erreichen Sie gut ein Jahr nach Einführung?
Wir sind mit dem Ergebnis recht zufrieden. 8 % der im Güterverkehr gefahrenen Trassenkilometer sind schon leise. Mit dem ersten Juni wurden die Boni noch einmal um einen halben Prozentpunkt auf 1,5 % erhöht, Ende des Jahres kommen 2 %. Angesichts dessen, dass sich Bürgerinitiativen immer mehr vernetzen und dadurch dem Thema Lärm eine andere Bedeutung zuwächst, als dies noch vor 5 oder 10 Jahren der Fall war, sind lärmabhängige Trassenpreise genau der richtige Schritt. Hier und da bekommen wir auch ein positives Feedback. 8 % leise Güterzüge ist auf den ersten Blick nicht sehr viel. Wir sind mit diesen Maßnahmen ja noch nicht allzu lange im Geschäft. Angesichts der steigenden Boni-Zahlungen gehen wir davon aus, dass es deutliche Zuwächse geben wird und wir in einigen Jahren einen hohen Anteil an leisen Güterwagen auf unserem Netz haben werden. Aktuell liegen uns bereits 1820 Bonusanträge von Eisenbahnverkehrsunternehmen vor.

Gelegentlich werden Beschwerden laut, dass neue Gleisanschlüsse zu teuer sind. Grundsätzlich begrüßen wir jeden Anschließer an unser Netz, da er Geschäft mitbringt. Wir machen das gerne und zu klaren und transparenten Bedingungen.

14. Kann einen Gleisanschluss nur DB Netz legen?
Das können auch andere Firmen machen. Es muss nur sichergestellt sein, dass sie von DB Netz zertifiziert sind, damit die Sicherheit gewährleistet ist. Sie hatten schon die Veränderungen bei der Personalplanung erwähnt. Die Ausfälle in Mainz und ihre Folgen haben das Image der DB sehr getrübt. Das neue Führungsteam hatte schon vor August 2013 die Entscheidung getroffen, die Personalzahlen aufzustocken. Im Nachgang zu Mainz haben wir jedoch alle Planungen noch einmal überprüft, nicht nur mit Blick auf die Fahrdienstleiter, sondern auch auf möglicherweise kritische Punkte in der Instandhaltung, besonders jene, in denen es sehr lange Vorlaufzeiten für die Ausbildung der Mitarbeiter gibt. Die Personalplanung, die wir jetzt verfolgen, ist deutlich robuster als die alte.


Wir haben diese Fragen in einem großen Projekt adressiert, das die Personalplanung aus technischer, personalwirtschaftlicher und betrieblicher Perspektive prüfte, auch vor dem Hintergrund, dass wir eine relativ schiefe Demografie bei DB Netz haben. DB Netz hatte vor der Bahnreform noch 120.000 Mitarbeiter, jetzt sind es 37.000. Dieser erhebliche Personalabbau verlief in der Regel nach Sozialplankriterien, mit anderen Worten: Die älteren Mitarbeiter sind tendenziell im Betrieb geblieben, die jüngeren gegangen.

In Mainz kam noch hinzu, dass kein Fahrdienstleiter von außerhalb einspringen konnte. Wir hatten zum damaligen Zeitpunkt kein System der Überdeckung, sodass wir in Mainz nicht so einfach jemand aus einem anderen Stellwerk einsetzen konnten. Die Personalplanung in Mainz war nach den damaligen Kriterien und Parametern korrekt. Doch wenn ein bestimmter Toleranzbereich verlassen wurde, was durch Urlaub und Krankheit in Mainz der Fall war, konnte es zu den Zuständen kommen, die wir im vergangenen August dort hatten. Wir haben in Reaktion darauf eine verbindliche Richtlinie für die DB Netz AG erlassen, dass eine „Überdeckung“ zwischen einzelnen Stellwerken herzu-stellen ist. Dadurch ist der Pool der Mitarbeiter, die auf einem Stellwerk einsetzbar sind, größer als die Stammbesatzung dieses Stellwerkes. Bis Jahresende werden wir die Überdeckung für alle Stellwerke erreicht haben.

15. Wie rekrutieren Sie Ihre neuen Mitarbeiter?
Die DB als Ganzes hat vor einiger Zeit eine neue Mitarbeiterkampagne gestartet, die in der Bevölkerung gut ankommt. Die Ergebnisse von Befragungen sind sehr positiv, auch aus meinem privaten Umfeld habe ich sehr viele positive Rückmeldungen bekommen. Über diese Kampagne rekrutieren wir als DB Netz unsere Mitarbeiter, wobei wir im Endeffekt natürlich eher lokal suchen. Wir kommen gut voran, wobei es jedoch einige Regionen in Deutschland gibt, in denen der Arbeitsmarkt schwierig ist.

Gibt es auch Gewerke, in denen es grundsätzlich schwer ist, Mitarbeiter zu finden. Vor einiger Zeit waren beispielsweise Signaltechniker knapp. Der Ingenieur-Markt ist in ganz Deutschland sehr beansprucht, das stellen auch wir als Arbeitgeber fest. Wir sind deshalb in Ergänzung dabei, auch mit ausländischen Universitäten Kooperationen einzugehen, um qualifiziertes Personal zu rekrutieren.

16. In welchen Ländern suchen Sie?
In Rumänien beispielsweise. Dort gibt es einige deutsch- sprachige Studenten, mit denen eine Zusammenarbeit sehr attraktiv ist.

17. Eine private Frage: Wie entspannen Sie sich?
Ich bin Mitglied in einem Segelverein in der Nähe von Frankfurt. Der Langener Waldsee ist für mich eine Oase der Erholung und Entspannung. Wenn ich dort segeln kann, bin ich glücklich. Jedes Wochenende ist wie ein kleiner Urlaub. Während des Segelns bin ich so beansprucht, dass ich über nichts anderes mehr nachdenke als über das Segeln.

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Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 7+8
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