Interviews

Hans Günther Kersten

Innovationen brauchen Wettbewerb

Hans Günther Kersten vom Internationalen Eisenbahnverband (UIC) sieht Wettbewerb für alle Akteure im Eisenbahnsektor als notwendige Bedingung für Innovationen, die die Eisenbahn benötigt, um auch im digitalen Zeitalter Kundenakzeptanz zu erhalten.

Welches sind die dringendsten Fragen, die das System Bahn in den kommenden Jahrzehnten weltweit zu lösen hat?
Zu den dringendsten Fragen zählen die Digitalisierung und Vernetzung sowie die Umwelt. Im automobilen Bereich entwickelt sich das autonome Fahren. Damit droht der Bahn der Verlust ihres bisherigen Alleinstellungsmerkmals: dass der Fahrgast sich nicht aufs Fahren konzentrieren muss, sondern während der Fahrt arbeiten kann oder einfach nur entspannen. Deshalb muss die Bahn noch attraktiver werden.

Was muss die Bahn tun, um angesichts der Konkurrenz durch autonomes Fahren im automobilen Bereich noch attraktiver zu werden?
Die Bahn muss den Anschluss an die technischen Entwicklungen halten. Umfassende Kommunikationsmöglichkeiten während der gesamten Reisekette und individuelle dynamische Informationen etwa bei Störungen oder Alternativoptionen für den Fahrgast bzw. Güterkunden sollten forciert werden.

Sie sprechen die Umwelt als Zukunftsfrage an. Was ist hier am dringendsten?
Aus globaler Sicht ist dies die CO2-Reduzierung, zu der die Bahn einen großen Beitrag leisten kann. UIC-Generaldirektor Jean-Pierre Loubinoux ist kürzlich in den Beraterstab von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon für Umweltfragen berufen worden. Das UN-Klimatreffen Cop 21 wird Ende des Jahres in Paris stattfinden. Dabei werden wir als UIC unter anderem mit der Aktion „Train to Paris“ auf die Bahn als Weg zur CO2-Reduktion aufmerksam machen.
In Europa kommt die Lärm-Problematik hinzu. Hier hat die UIC in den vergangenen Jahren mit dem EuropeTrain, der die LL-Sohlen-Technik auf 200 000 km getestet hat, viel geleistet. Die Daten, die hierbei gesammelt wurden, haben letztendlich zur Zulassung der neuen Komposit-Bremsen geführt.

Die UIC wurde in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit dem Ziel der größeren Standardisierung von Eisenbahntechnik gegründet. Wo stehen wir heute?
Nur eine globale Standardisierung kann verhindern, dass sich Märkte regional abschotten und Oligopole oder sogar Monopole entstehen. Wenn wir es schaffen, weltweit die Standards nicht zu weit auseinanderdriften zu lassen, haben auch Hersteller von Eisenbahntechnik die Möglichkeit, untereinander zu konkurrieren. Dies ist nicht nur bei den Bahnbetreibern das Rezept für bessere Qualität und niedrigere Preise. Die UIC-Standards sichern diese globale Kohärenz.

Standardisierung ist auch ein EU-Thema. Wie verhalten sich UIC-Normen zu TSI?
UIC-Normen sind im Gegensatz zu den TSI nicht rechtlich verbindlich, sondern lediglich freiwilliger Natur. Um Kollisionen mit zwingendem Recht insbesondere bei unseren europäischen Mitgliedern vorzubeugen, haben wir die International Railway Standards IRS als neues Format der UIC-Normen entwickelt. Sie bestehen aus einem allgemeinen Teil, der weltweit gültig ist, und verschiedenen regionalen Teilen. Damit tragen wir der Diversität Rechnung und verhindern gleichzeitig, dass die Standards zu weit auseinander driften.

Heißt das im Endeffekt auch, dass die EU-TSI-Normen die weltweiten Standards beeinflussen?
Ich sehe es eher umgekehrt: Bei vielen TSI-Normen haben UIC-Normen Pate gestanden. TSI funktionieren nicht ohne Europäische Normen (EN). Die meisten EN im Bahnbereich wurden aus UIC-Normen abgeleitet. Modernisierungsimpulse für EN gehen weiterhin maßgeblich von fortgeschriebenen UIC-Normen aus. Die intensive Einbindung von außereuropäischen Bahnen bei der Weiterentwicklung der UIC-Normen bereitet also den Weg für eine globale Akzeptanz von EN.

Die UIC-Mitglieder sind EVUs und Infrastrukturunternehmen und damit Kunden von Bahntechnik. Warum sind sie an Standardisierung interessiert?
Die UIC ist die einzige internationale Organisation, die alle unmittelbaren Akteure des Eisenbahnsystems (Betreiber, Infrastruktur, Schnittstellen und Sicherheitstechnik, Verkehrsmanagement, usw.) vereinigt. Die UIC-Normen, in die die gebündelte Systemkompetenz sämtlicher oben genannter Akteure einfließen, zielen insbesondere darauf ab, den Betrieb des Systems und seine Schnittstellen zu optimieren. Dafür nutzt die UIC moderne Prozesse und IT-Tools, etwa für das Anforderungsmanagement, und setzt so Benchmarks für die traditionellen Normungsorganisationen. Die UIC-Mitglieder leiden oft unter mangelnder Qualität und Kohärenz der traditionellen Industriestandards, die nicht zuletzt auch zu Zulassungsproblemen bei Fahrzeugen beitragen.
Die Eisenbahnunternehmen wollen sicher sein, dass das, was sie als Kunden bestellen, auch behördlich zugelassen wird. Technische Normen werden, auch wenn es sich um freiwillige Normen handelt, von den Zulassungsbehörden oft als „Code of Practice“ benutzt, wenn es um die Zulassung geht. Das deutsche Recht beispielsweise arbeitet mit der Generalklausel „anerkannte Regeln der Technik“. Was das im konkreten Einzelfall ist, bestimmen dann die Normen. Deshalb ist die Mitarbeit an den Normen auch so wichtig. Die Betreiber sollten dies nicht nur den Herstellern überlassen.
Mit der Intensivierung des internationalen Freihandels, etwa mit Nordamerika, werden Normen zudem der Haupthebel für wirtschaftliche Effekte in der gesamten Wirtschaft: Das prognostizierte Wachstum resultiert überwiegend aus der verbindenden Wirkung künftiger gemeinsamer Standards.

Wenn wir über die Bahn weltweit sprechen, gibt es sehr große Unterschiede in der Ausstattung mit Infrastruktur und auch in der Finanzkraft der Länder. Was muss passieren, dass sich die Bahn weltweit gegenüber dem Auto behaupten kann?
Das hängt in erster Linie von der Frage der Affordability, der Erschwinglichkeit der Fahrpreise, ab. Das gilt nicht nur für Entwicklungsländer. Jedenfalls bis zur Öffnung des Fernverkehrsmarktes für Busse konnte man beobachten, dass bei Benzinpreiserhöhungen die Nachfrage im Schienenpersonenverkehr anstieg.
Dass nach der Marktöffnung Kunden so schnell und in so großer Zahl auf Fernbusse umsteigen würden, hat viele überrascht. Der aktuelle Preiskampf bei den Fernbussen lässt diese insbesondere für Bezieher von kleinen Einkommen, die mit jedem Euro rechnen müssen, attraktiv erscheinen. Deshalb muss die Bahn bei allen technischen Neuerungen immer auch berücksichtigen, dass die Kunden sich die Bahn auch leisten können müssen. Sonst wandern die Kunden zu anderen Verkehrsträgern ab.

Bahn bedeutet immer Investition in Infrastruktur, ist also nicht für wenig Geld zu haben. Wie kann dennoch Affordability erreicht werden?
Ein ganz wichtiger Punkt ist die schon angesprochene Standardisierung. Sie rationalisiert nicht nur den Bahnbetrieb, sondern senkt auch die Beschaffungskosten. Wenn durch einheitliche Standards große Mengen produziert werden können, ist dies pro Stück kostengünstiger als kleine Lose. Wenn Wettbewerb zwischen den Herstellern herrscht, wird dieser Kostendegressionseffekt auch an die Kunden weitergegeben.

Tauscht man sich über Wege der Effizienzsteigerung und Kostensenkung bei der UIC aus?
Aufgrund der Liberalisierung in Europa sind viele unserer Mitglieder gleichzeitig auch Konkurrenten. Das schränkt den Austausch über Best Practice naturgemäß ein. Wenn es jedoch beispielsweise um die Erleichterung grenzüberschreitender Verkehre geht, ist unseren Mitgliedern in der Regel bewusst, dass sie insoweit „in einem Boot sitzen“, als eine Verweigerung der Zusammenarbeit mit anderen Bahnen konkurrierende Verkehrsträger im intermodalen Wettbewerb begünstigen würde. Die UIC dient den Mitgliedern hier in erster Linie als Plattform für gemeinsame technisch-betriebliche Forschungsprojekte, die in Europa oft auch von der EU gefördert werden. Die Ergebnisse derartiger Projekte lösen in vielen Fällen auch eine Aktualisierung vorhandener oder Generierung neuer technischer Standards aus.

Gibt es ein großes Standardisierungsthema, das Sie im Augenblick beschäftigt?
Wir haben eine Reihe von Standardisierungs-Clustern, die wir gerade bearbeiten. Das sind zum einen die Länder mit Spurweite 1520 wie Russland, Weissrussland und ­Kasachstan. Es gibt außerdem Cluster für Güterverkehrskorridore und für den Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) im Personenverkehr. Dies sind die drei Hauptstandardisierungs-Cluster, die wir augenblicklich bei der UIC haben.

Ist die Kapazitätserhöhung auf den Netzen auch ein Thema?
Wir haben derzeit in allen Ländern, auch in Europa und damit in den reicheren Ländern, Budgetprobleme, so dass der erwünschte und notwendige Ausbau der Schienenverkehrswege nicht in dem Ausmaße und in der Schnelligkeit voran kommt, wie dies sein sollte. Deshalb muss man darüber nachdenken, die vorhandene Infrastruktur optimal auszunutzen, zum Beispiel durch verbesserte Leit- und Sicherungstechnik, die die Blockabstände zwischen den Zügen verringert. Im Personenverkehr wirkt beispielsweise der verstärkte Einsatz von Doppelstockwagen kapazitätserhöhend, ohne dass zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur der Bahnhöfe vorgenommen werden müssten.

Die großen Verkehrsprojekte scheinen außerhalb Europas stattzufinden, HGV in China, Nahverkehr in Asien und Südamerika. Stimmt diese Wahrnehmung?
Man täte Europa unrecht, wenn man sagen würde, dass hier die Entwicklung im Bahnsektor stagniert.
Die EU-Komission hat mit Shift2Rail ein massives Förderprogramm aufgelegt, um die Innovationskräfte in Europa zu bündeln.
Das ist im Prinzip kein schlechter Ansatz. Ich habe nur die Sorge, dass die Hersteller-Industrie hier ein zu großes Gewicht hat und die Betreiber sowie die Infrastrukturunternehmen nur Junior-Partner sind. Das sollte man vermeiden, auch im Interesse der Industrie, die am Ende des Tages ja ihre Produkte an die Betreiber und Infrastrukturunternehmen verkaufen wollen.

Wenn man sich die geografische Lage der UIC-Mitglieder betrachtet, herrscht der Norden vor. Wird die UIC auch im Süden wachsen?
In dem Maße, wie sich die Wirtschaft in den Ländern entwickelt, entwickelt sich auch eine Eisenbahninfrastruktur und treten Betreiber auf. Damit steigt auch das Interesse an der Mitgliedschaft in einem weltweit agierenden Verband. Afrika beispielsweise entwickelt sich für uns – vom Sonderfall Südafrika abgesehen – von Nord nach Süd.

Und Südamerika?
Südamerika ist tatsächlich noch ausbaufähig. In Südamerika – wie auch in Nordamerika – spielt der Güterverkehr auf der Schiene eine bedeutende Rolle. Der Personenverkehr beschränkt sich bisher meist auf Nahverkehrszüge in Ballungsgebieten.

In Nordamerika wird im Gegensatz zu Europa ein erheblicher Teil des Güterverkehrs über die Schiene abgewickelt. Kann man hiervon lernen?
In den USA herrschen ideale Voraussetzungen für den Güterverkehr auf der Schiene, der auf langen Strecken seine Vorteile am besten ausspielen kann. Die USA gehören deshalb beim Güterverkehr auf der Schiene zu den führenden Nationen. Wir versuchen hiervon zu lernen. Stichworte sind längere, schwerere aber auch intelligentere Züge. Insbesondere schwere Züge bringen jedoch tendenziell das Problem des höheren Verschleißes der Infrastruktur mit sich.

China ist ebenfalls Mitglied beim UIC. Welche Impulse kommen von dort?
China ist in der UIC sehr aktiv. Die Entwicklung geht in China sehr schnell voran. Was dort an Hochgeschwindigkeitsstrecken in kürzester Zeit entsteht, lässt staunen. Es ist verständlich, dass die europäische Bahnindustrie auch mit Sorge nach China blickt.

Fließt von der Dynamik in China auch etwas in die UIC ein?
Es gibt die ersten chinesisch geleiteten Arbeitsgruppen in der UIC, wo sie sehr viel zur Weiterentwicklung beitragen. Wir haben auch von China entsandte Kollegen am Sitz der UIC in Paris. Die Mitgliedsbeziehungen entwickeln sich sehr erfreulich.

Nur im Personenverkehr, oder auch im Güterverkehr?
Ich bin bestrebt, auch in meinem Bereich, dem Güterverkehr, chinesische Mitarbeit zu verstärken. Die russischen Bahnen beispielsweise entsenden alle zwei Jahre zwei High Potentials zur UIC, einen zu Rail Systems, meiner früheren Abteilung, und einen zu Güterverkehr. Die Güterverkehrskorridore sind eines der Hauptthemen von UIC-Präsident Vladimir Yakunin. Wir haben sehr gute Beziehungen zur Organisation für die Zusammenarbeit der Eisenbahnen 0SJD in Warschau. Die OSJD wurde 1956 als Eisenbahnverband der damaligen Ostblockstaaten gegründet und ist für uns ein wichtiger Partner, weil dort Staaten, vertreten durch ihre Regierungen, Mitglieder sind.

Welche Rolle wird Europa zukünftig spielen als Treiber des technischen Fortschritts?
Mit unseren Mitgliedern werden wir weiter wichtiger Treiber des technischen Fortschritts in Europa sein. In der Präambel der Shift2Rail-Direktive ist der Führungsanspruch festgeschrieben. Voraussetzung für die Innovationsführerschaft ist allerdings, dass auch zwischen den Herstellern der Wettbewerb herrscht, der bei den Betreibern in der EU schon hergestellt wurde. Wettbewerb stimuliert Kreativität und Innovationsbereitschaft. Monopolisten oder Oligopolisten haben dagegen die Tendenz, Kreativität eher bei der Marktabschirmung als bei der Produktverbesserung zu entwickeln. Es darf keine Assymetrie geben zwischen starkem Wettbewerb bei den Betreibern und teilweise oligopolistischen Marktstrukturen bei den Herstellern. Wir brauchen auch hier mehr Wettbewerb, um bessere Produkte zu günstigeren Preisen und damit auch Affordability des Verkehrsträgers Bahn für den Endkunden zu erreichen. Starke und offene globale Standards sorgen dafür, dass Wettbewerb ohne Dumping bei Sicherheit und Umweltverträglichkeit gelingt. So können auch bestehende Hochpreisinseln, etwa bei ETCS, geöffnet werden.

Was kann die EU tun, um für mehr Wettbewerb bei den Anbietern von Leit- und Sicherungstechnik zu sorgen?
Sie kann das gleiche tun wie für die Bahnen. Die EU hat festgelegt, dass die Bahnen sich dem grenzüberschreitenden Wettbewerb stellen müssen. Auch die gemeinsamen TSI-Normen dienen diesem Zweck: die Herstellung eines einheitlichen Eisenbahnraumes für die Betreiber. Warum sollte das bei den Herstellern anders sein? Die EU könnte nicht nur die Binnengrenzen öffnen, sondern auch verhindern, dass im Bereich der technischen Normen „Insellösungen“ entstehen, die den Marktzutritt außereuropäischer oder neuer Hersteller in Europa erschweren. Es muss ein Klima in der EU geschaffen werden, das es außereuropäischen oder neuen Herstellern ermöglicht, ihre Produkte ohne bürokratische Hürden und hohe Umrüstungskosten zu entwickeln oder nach Europa zu exportieren. Dies fördert die Verbreitung globaler Standards von Europa aus und schafft damit bessere Marktchancen für europäische Hersteller auch außerhalb der EU.
Ein Closed Shop wie Shift2Rail, der darauf angelegt ist, die exklusive Position der europäischen Hersteller zu zementieren, ist hier nicht förderlich. Ein asiatischer Hersteller etwa, der nicht Mitglied dieses elitären Clubs ist, wird es künftig noch schwerer haben, in der EU Fuß zu fassen. Das ist die Kehrseite von Shift2Rail.

Es ist ja auch explizites Ziel von Shift2Rail, die europäische Industrie zu fördern.
Der Bündelungseffekt der Fördermittel ist sicher positiv zu sehen, weil deren Wirkungsgrad dadurch erhöht wird. Doch gleichzeitig könnte der Wettbewerb unter den Herstellern verringert werden, wenn nicht von Anfang an bei Shift2Rail globale Angebote statt EU-spezifischer Lösungen forciert werden.
Durch jahrelange gemeinsame Forschungsaktivitäten ausgewählter Hersteller mit deren potenziellen Kunden dürfte naturgemäß eine Kundenbindung entstehen, die es Außenseitern noch schwerer macht, auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen.

Man könnte umgekehrt auch sagen, dass der europäische Eisenbahnraum dadurch, dass die Normen und Standards eindeutig festgelegt sind, zwar hohe Anforderungen stellt, doch nicht-europäischen Anbietern, wenn sie bereit sind, sich darauf einzulassen, gerade dadurch einen kalkulierbaren Zutritt verschafft. Oder gibt es noch weitere Handelshemmnisse?
Durch die Regulierungsdichte im Bahnsektor haben wir in der EU eine nicht-tarifäre, zusätzliche Eintrittsbarriere geschaffen, auf die wir aufpassen müssen. Ich habe von einem amerikanischen Hersteller gehört, dass dies der Hauptgrund war bei dessen Entscheidung, nicht nach Europa zu gehen. Das Normendickicht ist schon für uns Europäer schwer zu durchschauen. Wenn sie mit den Augen eines asiatischen oder amerikanischen Herstellers auf die Regulierungen schauen, wirkt das abschreckend, gerade auch, wenn es starke Heimatmärkte gibt. Aufwand und Risiko erscheinen zu groß.

Reicht die Etablierung der europäischen Eisenbahnagentur ERA aus, um diese Hürde zu beseitigen?
Die Verlagerung von Kompetenzen der nationalen Behörden auf die ERA ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, doch muss auch – mit Augenmaß – an der Regulierungsdichte gearbeitet werden. Dabei muss Raum bleiben für freiwillige Vereinbarungen der Verbände.

Machen zusätzliche freiwillige Verbandsregulierungen nicht alles noch komplizierter?
Verbandsregulierungen sind flexibler als Gesetze und meist näher an den Bedürfnissen der Mitglieder. Werden Normen in Gesetzen festgehalten, verlangsamt sich die Innovation. Denn Änderungen von Gesetzen müssen immer einen langwierigen Verabschiedungsprozess durchlaufen – damit wird der Stand der Technik zunächst einmal eingefroren.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Die TSI fordert für interoperable elektrische Triebfahrzeuge die Ausrüstung der Stromabnehmer mit genau festgelegten geometrischen Abmessungen. Das macht für klassische Stromabnehmer Sinn. Es inspiriert allerdings nicht die Einführung dynamisch dem Zick-Zack des Fahrdrahts folgender aktiv geregelter Stromabnehmer als valide Alternative. Die TSI sollten daher präziser in der Formulierung von Kompatibilitäts- und Schutzzielen werden und das Zementieren technischer Lösungen unterlassen. Weitere Beispiele, etwa zur Crashsicherheit, könnte ich mühelos ergänzen.

Sehen Sie Markteintrittsbarrieren durch das Memorandum of Understanding bei der Zulassung in Deutschland?
Nein. Die dort getroffenen Vereinbarungen sind nicht diskriminierend, sie gelten für alle Hersteller, deutsche, europäische und außereuropäische.

Eine private Frage – wie entspannen Sie sich?
Auch und gerade beim Bahnfahren. Ich reise viel – die Bahn ist der einzige Ort, an dem man sich gleichzeitig fortbewegen, arbeiten, kommunizieren, dinieren und entspannen kann. Die vorbeigleitende, in Europa sehr abwechslungsreiche Landschaft wirkt inspirierend – wenn ich etwa ein umfangreicheres Strategiepapier zu erstellen habe, mache ich das eher nicht im Büro, sondern vorzugsweise in der Bahn.

(Das Gespräch führte Dagmar Rees)

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Artikel von Interview aus der ETR Ausgabe 5/2015
Artikel von Interview aus der ETR Ausgabe 5/2015