Interviews

Joachim Winter

"Der Zug der Zukunft"

Sie wollen im Rahmen des Projektes „Zug der Zukunft“ Wege entwickeln, Lärm und Verschleiß zu verringern. Wie schaffen Sie das?

Die Haupt-Lärmerzeuger bei einem Hochgeschwindigkeitszug sind die Nase des Fahrzeuges, das Fahrwerk und die Übergänge sowie der Stromabnehmer. Wir haben die Nase anders gestaltet, das Fahrzeug verkleidet und den Stromabnehmer durch Induktion ersetzt. Wir haben außerdem eine Kurzkupplung der Waggons eingesetzt und die normalen Profile des Wagenübergangs durch U-Profile ersetzt.

Induktion wie bei den Straßenbahnen, die heute schon oberleitungsfrei fahren?

Bei der Induktion verwenden wir ein anderes Prinzip als bei Straßenbahnen. Der Unterschied zwischen der Straßenbahn und unserem Hochgeschwindigkeitszug ist die Länge des Zuges und die notwendige Leistung. Sie liegt für einen Hochgeschwindigkeitszug mit Nebenbetrieben und Bedarf der Fahrgäste bei 25 MW bei einer Geschwindigkeit von 460 km/h. Für geringere Geschwindigkeiten wird wesentlich weniger Leistung gebraucht: Die schnellen Zubringerfahrzeuge beispielsweise benötigen bei 255 km/h nur 2,9 MW. Augenblicklich berechnen wir, wie lang die Sekundärspule im Fahrzeug und die Primärspulen in der Strecke sein müssen. Auch machen wir uns Gedanken über die Verteilung der Spulen. Da wir hier keine Oberleitung haben, die durchgehend die gleiche Spannung haben muss, sondern einzelne Segmente, können wir diese unterschiedlich ausgestalten, je nach Energiebedarf. Kurven beispielsweise, in denen langsamer gefahren werden muss, benötigen weniger Spulen als gerade Strecken. Grundsätzlich hat eine Machbarkeitsstudie gezeigt, dass wir auch bei Volllast nicht über die bereits heute mit Induktion möglichen Leistungsübertragungen hinaus gehen müssen. Der Trick dabei ist, dass die Energie über viele Spulen zugeführt wird, die sich über die 200 m des Zuges verteilen. Wir müssen die Teilzüge getrennt betrachten, weil sie fernwirkend gekuppelt werden.

Müssen für Induktions-Hochgeschwindigkeit neue Strecken gebaut werden?

Nein. Der Transrapid hat gezeigt, dass neue Technologien, die eine grundsätzlich neue Infrastruktur benötigen, sich nicht durchsetzen. Wir haben deshalb bewusst darauf geachtet, dass man mit dem Zug über einen Hilfsstromabnehmer auf dem Bestandsnetz fahren kann. Die Primärspulen werden in den Betonplatten der Festen Fahrbahn vorinstalliert. Gegenüber der Energiezufuhr durch Oberleitungen hat die in die Fahrbahn integrierte Induktion auch den Vorteil, dass bei Unwetter wie im Sommer in Nordrhein-Westfalen die Schäden schnell beseitigt werden können. Die Räumungsfahrzeuge fahren über die feste Fahrbahn zu, beseitigen die umgefallenen Bäume und die Züge können wieder fahren.

Welche Verschleiß mindernden Maßnahmen werden für den Zug der Zukunft entwickelt?

Neben dem Entfall der Schleiferleisten der Stromabnehmer verringern wir Verschleiß und auch das Kurvenkreischen, indem wir mechatronische Radsätze einsetzen. Die Räder werden einzeln angesteuert und gebremst. Das komplette Fahrwerk kann wie eine Kassette eingebaut werden. Wir können das Rad plus minus 3 Grad schwenken, so dass wir aktiv in die Kurve fahren können, zumal wir auch die Drehzahl auf einem Radsatz unterschiedlich einstellen können. Die Korrektur erfolgt durch Momentmessungen am Achsschenkel jedes Losrades.

Das dritte Element der Lärmminderung war die Nase. Wie gestalten Sie diese?

Die Nase muss so gestaltet werden, dass es keine Wirbelabrisse gibt. Die eigentliche Nasengestaltung wird durch die Tunneldurchfahrten geprägt. Es muss verhindert werden, dass die Kopfwelle im Tunnel hin und zurück läuft und zum Schallknall am Tunnelausgang führt. Die sehr filigranen Nasen der japanischen Shinkanzen, die bis zu 13 m lang sind, gehen darauf zurück. So lange können wir die Nase allerdings nicht bauen, weil das Lichtraumprofil dann bei engen Kurven verletzt wird.

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Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 10/2014
Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 10/2014