Interviews

Jochen Eickholt

Die neuen Fahrzeuge: rollende Rechenzentren

2050 wird der Verkehr auf Straße und Schiene vollständig vernetzt und automatisiert sein, meint Jochen Eickholt, CEO Division Mobility bei Siemens. In den nächsten Jahren müssen eine lückenlose Breitbandabdeckung geschaffen und Standards gefunden werden.


1. Welche neuen Anforderungen stellen Digitalisierung/Bahn 4.0 an die Fahrzeuge und werden sie heute schon mitgedacht/miteingebaut?

Mithilfe der Digitalisierung lassen sich die Kapazität, Flexibilität und vor allem der Kundennutzen deutlich erhöhen. Um dies zu ermöglichen, muss bereits im Entwicklungsprozess angesetzt werden. Ein Beispiel wird der von Siemens gelieferte Rhein-Ruhr-Express (RRX) sein. Wir entwickeln die Fahrzeuge von Beginn an unter Berücksichtigung der digitalen Technik. Wir sprechen gerne vom rollenden Rechenzentrum. Der Zug wird serienmäßig mit zahlreichen Sensoren ausgestattet, die kontinuierlich Betriebsund Diagnosedaten erfassen. Sie liefern Daten, die den Fahrgästen, aber auch dem Betreiber zugutekommen.


2. Digitalisierung und Bahn 4.0 sind die großen Themen im Bahnsektor. Doch die Mittel für Investitionen sind begrenzt. Was wären aus Ihrer Sicht die wichtigsten Investitionen der kommenden zwei Jahre?
Eine flächendeckende Breitbandversorgung entlang unserer Verkehrsinfrastrukturen und -wege ist notwendige Voraussetzung für viele digitalen Zukunftsthemen und Services in der Mobilitätsbranche. Sie stellt aus unserer Sicht die wichtigste Investition in den nächsten zwei Jahren dar. Die Breitbandversorgung bildet die Grundlage, um den digitalen Datenaustausch in Echtzeit zwischen den Zügen und der Landseite und vice versa herzustellen. Breitband ist der wesentliche Treiber für neue Lösungen im digitalen Zeitalter.


3. Muss sich die Branche auf Plattformen beziehungsweise Standards verständigen?
Das Europäische Zugsicherungssystem ETCS ist mittlerweile der weltweite Standard auf  Fernverkehrsstrecken und zunehmend auch im Regionalverkehr. Im Bereich Fahrgastkomfort besteht hinsichtlich Standardisierung Nachholbedarf. Zurzeit sind bei den Schienenfahrzeugen proprietäre Einzelsysteme verbreitet. Standard-Hardware mit Standard-IT-Schnittstellen sowie darauf basierende Software sind unerlässlich für verschiedenste Lösungen für Zugbegleiter und Fahrgäste, ebenso wie eine standardisierte Zug-Land-Schnittstelle. Eine branchenweite Standardisierung würden wir sehr begrüßen.


4. Ist der Güterverkehr durch Automatisierung und Digitalisierung kurz- bis mittelfristig rentabler zu gestalten?
Das automatisierte Fahren im Schienengüterverkehr wird massiv zur Verbesserung von Kosten und Qualität beitragen und damit die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Straße verbessern. Wir glauben, dass die Frachtanwendung einer der wesentlichen Treiber für die Automatisierung des Systems Schiene ist und sich damit für Pilotierung und Erprobung am besten eignet. Vor allem denkt der Schienengüterverkehr immer in europäischen Dimensionen und ist damit ideal für die interoperable Erprobung, die effiziente Migration und Standardisierung entlang der TEN-T Korridore, in der „Single European Rail Freight Area“ der EU. Siemens ist mit strategischen Partnern bereits an der Realisierung von Pilotprojekten beteiligt.


5. Läuft der Bahnsektor Gefahr, durch vollautomatisierte Fahrzeuge auf den Straßen (Lkw wie Personenfahrzeuge) seine bisherigen relativen Vorteile im Wettbewerb der Verkehrsmittel zu verlieren?

Im Gegenteil, unsere Vision bei Siemens für 2050: Der Verkehr auf Straße und Schiene wird vollständig vernetzt und automatisiert sein. Die Digitalisierung ist hier ein wesentlicher Faktor. Vollautomatische Systeme sind auf der Schiene weiter fortgeschritten als auf der Straße. Auf der Straße, auf der wesentlich mehr Freiheitsgrade und Einflüsse bestehen, befindet man sich in weiten Teilen noch im Stadium der Forschung und Entwicklung.


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Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 9/16
Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 9/16