Interviews

Olaf Krüger

Ohne politische Veränderungen stirbt der Einzelwagenverkehr

Der Einzelwagenverkehr leidet besonders unter verschiedenen politischen Entscheidungen und steigenden Kosten im Schienengüterverkehr. Was getan werden müsste, um den Wagenladungsverkehr wieder auf- und auszubauen, beschreibt Olaf Krüger, Vorsitzender des Vorstands der Interessengemeinschaft der Bahnspediteure (IBS) e.V.

Herr Krüger, die IBS hat eine Studie aufgesetzt, in der es um Benachteiligungen des Schienengüterverkehrs geht. Wie machen Sie das deutlich?
In unserer Studie haben wir für vier ausgewählte Verkehrsrelationen die kostenseitigen Auswirkungen politisch beschlossener/relevanter Maßnahmen für die nächsten Jahre untersuchen lassen. Damit wollen wir kompakt darstellen, wie sich derartige Entscheidungen auf die Wettbewerbsfähigkeit
des Eisenbahngüterverkehrs im konkreten Geschäft auswirken.

Was haben Sie herausgefunden?
Auf einer Pressekonferenz am 22. April 2015 werden die Ergebnisse veröffentlicht. Ich kann jedoch schon so viel vorweg nehmen: Zwischen dem ökologischen Anspruch der Gesellschaft und getroffenen Maßnahmen der Politik ist eine große Diskrepanz vorhanden. (Anmerkung der Redaktion: Die
Pressekonferenz fand nach Redaktionsschluss statt.)

Welchen Benachteiligungen ist der Schienengüterverkehr ausgesetzt?
Die IBS sieht seit Jahren eine gravierende Benachteiligung des Eisenbahngüterverkehrs gegenüber dem Güterverkehr auf der Straße. Neben den systembedingten Nachteilen haben Entwicklungen wie die
• Öffnung für osteuropäische LKW-Unternehmer
• Verlagerungen von Großindustrien Richtung Osten und
• drastische Rationalisierungsmaßnahmen der europäischen Staatsbahnen dazu beigetragen. Negativen Einfluss haben aber auch eine Vielzahl politisch initiierter Maßnahmen, die völlig im Gegensatz zur verbalen ökologischen Orientierung der Gesellschaft stehen.

Die IBS fordert unter anderem eine Neuausrichtung der europäischen Verkehrspolitik auf die Wettbewerbsfähigkeit des Eisenbahngüterverkehrs für Wagengruppen und Einzelwagen. Warum das?
Während vor 20 Jahren die Auslastung von gemischten Zügen zwischen 60 und 70 % noch wirtschaftlich darstellbar war, müssen gemischte Züge heute mit 90 % und mehr ausgelastet werden. Politisch induzierte Kostenpakete wie etwa Trassenpreissteigerungen, lärmreduzierende Maßnahmen und die Energieumlage werden die Wettbewerbsfähigkeit des  Eisenbahngüterverkehrs in den nächsten Jahren weiter verschlechtern.
Unter diesen Umständen wird kein Bahnunternehmen mehr wirtschaftliches Interesse an gemischten Verkehren für Waggonladungen haben. Die ehemaligen Waggonverkehre der staatlichen Bahnen in einem europäischen Netz sind nahezu zum Erliegen gekommen. Nur in einzelnen Kernrelationen in Zentraleuropa wird dieses Angebot unter strengen  Rationalisierungsmaßnahmen weiter vorgehalten.
Eine Erneuerung dieses Produkts des Eisenbahngüterverkehrs kann nur durch ein größeres wirtschaftliches Interesse privater und staatlicher Unternehmen in Verbindung mit gezielten Fördermaßnahmen, wie sie etwa für den Kombinierten Verkehr (KV) initiiert wurden, geweckt werden.

Welche Maßnahmen verlangen Sie konkret?
Eine Neuausrichtung kann nur unter Nutzung der TEN-T-Infrastruktur auf konkreten Korridoren mit angeschlossenen nationalen/regionalen Anbindungen erfolgen. Hierzu ist eine enge Zusammenarbeit bei der Bündelung und der Operation von gemischten Zügen zwischen Verladern, privaten  Bahnspeditionen und Operateuren sowie den Eisenbahnverkehrsunternehmen erforderlich. Hohe technologische Standards wie 750 m Zuglänge, mindestens 2000 t Brutto-Zuglast und 22,5 bis 25,0 t Achslast sind notwendig, um dem Straßenverkehr Paroli zu bieten. Des Weiteren sind nationale Barrieren abzubauen und ein One-Stop-Shopping auf Initiative der vorhandenen
Korridormanager zu gewährleisten.

Worauf ist die europäische Verkehrspolitik denn bisher ausgerichtet?
Die europäische Verkehrspolitik war jahrelang auf die Liberalisierung des Eisenbahngüterverkehrs ausgerichtet und hat hierfür auch eine Reihe konkreter und positiv wirksamer Entscheidungen getroffen. Vermutlich aufgrund fehlender Recherchen und Konsultationen haben diese Maßnahmen aber nahezu ausschließlich für komplette Zugverkehre zwischen Gleisanschlüssen sowie
für den bereits geförderten intermodalen Verkehr über öffentliche KV-Terminals
erfolgreich gegriffen. Für den gemischten Waggonverkehr mit seinerzeit nahezu 50 % Produktanteil war die Liberalisierung bisher jedoch nicht erfolgreich. Staatliche Bahnen mussten unter dem Druck der Privatisierung intensiv rationalisieren und privaten Unternehmen fehlt es an wirtschaftlichem Interesse und ausreichender Finanzkraft, um in dieses Bahnprodukt einzusteigen.

Welche Rolle spielen Railports für Einzelwagenverkehre?
Railports spielen für Waggonverkehre eine ähnliche Rolle wie die öffentlichen KV-Terminals im intermodalen Verkehr: Sie sind die entscheidenden Schnittstellen auf den europäischen Korridoren des Güterverkehrs und müssen neben dem Rangierbetrieb zu gleisangeschlossenen Kunden auch direkte Umladung zwischen LKW und Waggon, den Umschlag und die Lagerung
von einzelnen intermodalen Transportgefäßen für zeitunkritische Verkehre sowie die speditionelle Zwischenlagerung und regionale Behandlung der relevanten Güter gewährleisten. Die Installation neuer Railports, vorzugsweise auf bestehenden Rangieranlagen, ist nur mit Hilfe entsprechender Fördermaßnahmen wie für KV-Terminals kurzfristig umsetzbar.

Und was wird aus den AGL-Verkehren?
Einige Staatsbahnen, insbesondere in Zentraleuropa, halten nach wie vor ein rationalisiertes Angebot über Rangierbahnhöfe vor. Private Unternehmen bieten zunehmend Anschlussgleisverkehre für einzelne Waggons oder Waggongruppen, die über entsprechende Railports mit Rangierleistungen
angebunden werden. Für ganze Züge zwischen Gleisanschlüssen wird der Eisenbahngüterverkehr aufgrund des hohen Bündelungseffekts und einer geringeren Zahl an kostenintensiven Schnittstellen wettbewerbsfähig bleiben.

Welchen Anteil haben von Speditionen organisierte Züge für Wagenladungen zwischen Railports am Schienengüterverkehr?

Der Anteil von Bahnspeditionen, die als Operateure inzwischen auch Zugverkehre für Waggonladungen aufgebaut haben, ist noch gering. Unternehmen wie Chemion, VTG Rail Logistics, BLG Automotive oder EuroRail in Frankreich haben bereits gut funktionierende Waggonverkehre in eigenen
Korridoren und Netzen aufgebaut. Hier liegt die Zukunft der Erneuerung dieses Produkts. Durch eine gezielte Förderung dieser Privatinitiativen, etwa durch CEF-Fördermittel, könnte dieser Prozess beschleunigt werden. (Anmerkung der Redaktion: CEF steht für Connecting Europe Facility.)

Rückladung ist wichtig, um die Margen im Schienengüterverkehr zu verbessern. Was muss passieren, um die Rückladequote zu stärken?
Hier muss das alte Tarifsystem der Staatsbahnen aufgebrochen werden und private Unternehmen müssen mit ähnlichen Maßnahmen wie im Straßengüterverkehr Rückladungen sowohl direkt an der Entladestelle
als auch in Dreiecksverkehren generieren. Dabei muss durchaus auch mit Deckungsbeiträgen außerhalb der Vollkostenrechnung kalkuliert werden. Auch teilweise Beladungen von sonst leer zurücklaufenden Waggons müssen wirtschaftlich darstellbar sein.

Welche Wagen sind hierfür am besten geeignet?
Kessel- und Schüttgutwagen sind nur selten rückladefähig. Gedeckte Waggons und in Einzelfällen auch offene Einheiten bieten hierfür aber durchaus Potenziale. Der intermodale Verkehr zeigt, dass über intelligente regionale Schnittstellen die Rückladequote erhöht werden kann.

Wie schätzen Sie die Chancen von Bahn-Frachtenbörsen als Möglichkeit ein, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen?
Um solche Frachtenbörsen wirtschaftlich zu nutzen, müssen verschiedene Voraussetzungen geschaffen werden, wie
• moderne Buchungssysteme
• ein Angebot von Spotverkehren für nicht genutzte Zugkapazitäten
• die Erneuerung von Logistikstrukturen
der Verlader, die wieder Bahnverladungen,
auch in Kombination mit dem LKW,
ermöglichen.
In einigen Jahren können über solche Frachtbörsen – wenn sie von der Verladerschaft genutzt werden – durchaus massive Transportmengen der Schiene zugeführt werden.

Wenn sich an der europäischen Verkehrspolitik nichts ändert: Wird der Einzelwagenverkehr trotzdem überleben können?
Ohne Erneuerung der europäischen Verkehrspolitik zur Unterstützung der Waggonverkehre im TEN-T-Netz und Abbau der auf die Wähler fokussierten Maßnahmen zur Verteuerung des Eisenbahngüterverkehrs etwa im Bereich Lärm wird der Einzelwagenverkehr nicht überleben.

Warum nicht?
Steigt der notwenige Auslastungsgrad von gemischten Zügen über 95 %, ist kein wirtschaftliches Interesse an diesem System mehr vorhanden. (zp)

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Artikel von Interview aus GÜTERBAHNEN Ausgabe 2/2015
Artikel von Interview aus GÜTERBAHNEN Ausgabe 2/2015