Interviews

Prof. Dr.-Ing. Stephan Freudenstein

Das Ziel: unterhaltsfreier Oberbau"

Prof. Dr.-Ing. Stephan Freudenstein leitet den Lehrstuhl für Verkehrswegebau an der TU München sowie das dazugehörige Prüfamt. ETR sprach mit ihm darüber, wie der Oberbau dazu beitragen kann, Lärm, Erschütterungen und Unterhaltskosten im System Bahn zu senken.

Woran arbeiten Sie an Ihrem Institut?

Im Eisenbahnbau liegt unsere Kernkompetenz in der konstruktiven Ausbildung des Oberbaus, d.h. wir beschäftigen uns in der Forschung insbesondere mit den Komponenten unterhalb der Aufstandsfläche Rad/Schiene: Schiene, Schienenbefestigungen, Schwellen, spezielle Elastomere wie beispielsweise Schwellenbesohlungen – dies sind Schwerpunktthemen unserer Arbeit.

Natürlich ist auch die Feste Fahrbahn unser Alltagsgeschäft, schließlich hat sie ihren Ursprung hier am Prüfamt für Verkehrswegebau der TU München. So werden wir heutzutage im Detail auch gefragt, wenn es um Entgleisungsschutz geht oder darum, die Feste Fahrbahn zu befahren. Kontinuierlich führen wir Versuchsreihen zu Masse-Feder-Systemen für den Erschütterungsschutz durch, die bei Nah- und Fernverkehr, aber auch im Hochgeschwindigkeitsverkehr in sensiblen Lagen eingesetzt werden.

Welche Schwerpunkte haben Sie bei der Forschung?

Wir arbeiten stark an der Weiterentwicklung von Komponenten in Bezug auf Elastizität. Früher waren unsere Eisenbahnoberbausysteme relativ steif, denn lange Zeit war man der Meinung: Je härter der Oberbau, desto besser. Mit den Jahren haben wir jedoch gelernt, dass dieser harte Oberbau auch Nachteile hat. Beispiele sind die „weißen Stellen“ im Schotter, wo der Schotter zu stark hochdynamisch beansprucht wird. Über elastische Komponenten in der Schienenbefestigung, unter den Schwellen oder mit Unterschottermatten geben wir dem Oberbau seine Elastizität zurück.

Beim Laborrundgang haben wir auch eine Vielzahl von Kunststoffschwellentypen gesehen. Welche Fragen beschäftigen Sie hier?

Betonschwellen haben neben vielen Vorteilen auch Nachteile, die den Einsatz von Kunststoffschwellen rechtfertigen würden. Eine Kunststoffschwelle ist jedoch wesentlich leichter als eine Betonschwelle und lässt sich deshalb leichter lateral verschieben. Die Stabilität eines Gleises mit Kunststoffschwellen ist damit geringer, die Gefahr des Aus­knickens, unter Druck, im Sommer, ist deshalb größer. Wir untersuchen gerade den Querverschiebewiderstand verschiedener Kunststoffschwellentypen, gehen also der Frage nach, wie sich eine derartige Schwelle im Schotterbett verhält. Es zeigt sich, dass mit zunehmender Liegedauer und Beanspruchung der Querverschiebewiderstand zunimmt, da sich die Schwellen ins Gleisbett einarbeiten und sich damit besser verankern. Im Fachjargon nennen wir das einen konsolidierten Schotteroberbau. Wir messen hier im Labor die Veränderungen vom Neubau hin zum Betriebszustand unter pulsierender Belastung.

Welche Rolle spielen Recycling-Schwellen in der Praxis?

Es gibt derzeit diverse Weiterentwicklungen im Hinblick auf die Geometrie. Augenblicklich haben wir eine Vielzahl verschiedener Varianten in der Prüfung. Jede hat ihre guten Ansätze, doch im Hinblick auf Praxistauglichkeit fehlt noch einiges. Auch sind Recyclingschwellen heute noch nicht wirtschaftlich genug. Sie sind um das 3- bis 6fache teurer als Betonschwellen und werden deshalb im Moment nur in speziellen Anwendungsfällen wie auf Brücken verwandt, wo Gewicht gespart werden muss. Bei den augenblicklichen Preisen werden Recycling-Schwellen nicht flächendeckend eingesetzt werden können.

Woran liegt es, dass Recyclingschwellen noch um ein Vielfaches teurer sind als Betonschwellen?

Das Material ist teuer: Man muss den gesammelten Kunststoff aufbereiten, neue Komponenten und Kleber hinzufügen. Beton aus Sand, Zement, groben Gesteinskörnungen und Wasser ist dagegen vergleichweise günstig. Außerdem hat sich der Herstellungsprozess von Betonschwellen über 60 Jahre hinweg entwickelt und systematisiert. Heute werden Betonschwellen in einem hoch technisierten Prozess hergestellt, der sehr wirtschaftlich ist. Recyclingschwellen haben dagegen noch einen schweren Weg vor sich, bis sie wirtschaftlich mithalten können. Andererseits verbrauchen Betonschwellen wertvolle Ressourcen und verursachen schädliche Emissionen: die Herstellung von Portlandzement verursacht sehr viel CO2.

Sie forschen auch zu CO2-Bilanzen.

Wir beschäftigen uns intensiv mit Fragen der Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau. Ein Beispiel: Eine Strecke führt mit 40 Promille Längsneigung nach oben. Eine solche Strecke verbraucht im Betrieb natürlich wesentlich mehr Traktionsenergie als die gleiche Strecke in einem ausreichend dimensionierten Tunnel. Die Frage ist, ob es nicht nur ökologisch sinnvoll sondern auch über die Lebensdauer des Tunnels gesehen unter Einbeziehung der CO2-Äquivalenzkosten wirtschaftlicher wäre, einen Tunnel zu bauen.

Die Kosten verteilen sich unterschiedlich, beim Betrieb das Eisenbahnverkehrsunternehmen, beim Tunnelbau das Infrastrukturunternehmen.

Im Endeffekt ist dies dann eine politische Fragestellung. Wobei die Deutsche Bahn als Unternehmen beim Thema „Grüne Bahn“ mit dem Einsatz Erneuerbarer Energien schon sehr weit vorne ist.

Eines Ihrer Themen ist auch die Unterhaltsfreiheit der Fahrbahn. Wie weit ist man hier?

Beim Thema Unterhaltsfreiheit sind wir wieder bei der Festen Fahrbahn. Sie soll eine Lebensdauer von 60 Jahren haben und in diesem Zeitraum quasi unterhaltsfrei zu betreiben sein. Das erste unserer Projekte im Bahnhof Rheda, ist jetzt 43 Jahre alt und hat tatsächlich ohne Instandhaltung bestens funktioniert. Voraussetzung für eine lange, unterhaltsfreie Lebensdauer ist allerdings, dass die Fahrbahn in hoher Qualität erstellt wird. Die Herausforderung an die Wissenschaft ist dabei, jene Qualität zu definieren, die die einzelnen Komponenten der Festen Fahrbahn erreichen müssen, um eine Lebensdauer von 60 Jahren zu erreichen. Wenn man hier dem Wettbewerb zu sehr freien Lauf lässt, ist das problematisch. Die Industrie ist sehr gut innovativ, und das ist auch gut so, doch müssen die Innovationen auf entsprechenden Strecken zunächst auch ausreichend in der alltäglichen Praxis getestet werden.

Nachdem die großen Neubauprojekte weitgehend abgeschlossen sind, ist der Markt für die Feste Fahrbahn in Deutschland klein.

Die Feste Fahrbahn wurde in Deutschland entwickelt und hat sich seit Beginn der 2000er Jahre zum Exportschlager entwickelt. So wurden von den beiden Festen Fahrbahn-Systemen, die auf der Strecke NürnbergIngolstadt verbaut wurden, allein in China bis heute ca. 16000 km Hochgeschwindigkeitsstrecken verbaut. Darauf können wir stolz sein.

Auf der anderen Seite müssen wir uns jedoch bemühen, dass die Technologie, die in Deutschland entwickelt wurde, nicht abwandert, sondern auch hier von der Industrie weiter entwickelt wird. Es wäre gut, wenn die Erfahrungen aus dem Bau beispielsweise in China wieder nach Deutschland zurückfließen würden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir mit der deutschen Technologie kurzfristig international gut dabei sind, und uns dann zurückziehen, wenn wir im Folgeprojekt nicht dabei sind. Das Problem ist dabei aus meiner Sicht nicht so sehr, dass ein anderes Land die Technologie übernimmt, sondern dass wir nicht den Nutzen aus den Weiterentwicklungen in den anderen Ländern ziehen. Unsere Erfahrungen hier beruhen auf ca. 1300 km Feste Fahrbahn über 40 Jahre, die Erfahrungen in China auf mehr als 16 000 km in weniger als 10 Jahren. Welch reicher Erfahrungsschatz geht uns verloren, wenn wir nicht versuchen, wenigstens in Teilbereichen dabei zu sein!

Haben Sie als Institut intensive Kontakte nach China?

Wir sind vielfach eingebunden, als Institut und bei Prüfungen für spezielle Anwendungsfälle im Ausland. Nebenbei habe ich einen Lehrauftrag als Adjunct Professor an der Beijing Jiaotong University und bin im regen Austausch mit meinen chinesischen Kollegen über Lehrinhalte und -methoden.

Haben Sie auch Ansätze entwickelt, wie man die Unterhaltskosten bei Bestandsstrecken vermindern kann?

Wir arbeiten mit verschiedenen Industrieunternehmen zusammen, die durchaus sehr innovative Ansätze haben wie man ein bestehendes Gleis zu einem instandhaltungsarmen Oberbau umbauen kann. Die Schwierigkeit liegt darin, diesen Umbau mit möglichst wenig Auswirkungen auf den Betrieb durchzuführen. Kann man in 4 Stunden während der Nachtfahrpause ein Gleis umbauen? Das ist die wahre Herausforderung. In Seoul beispielsweise gelingt es. Dort werden jede Nacht ca. 12 Meter U-Bahn in eine Feste Fahrbahn umgewandelt. Hier zeigt sich wieder einmal: Wir brauchen die Erfahrungen aus dem Ausland.

Was verhindert, dass dieser Austausch in dem Maße zustande kommt, wie wünschenswert wäre?

Die Industrie ist – verständlicherweise - etwas zurückhaltend, wenn es darum geht, dass Wissen ins Ausland fließt. Doch irgendwann müssen wir diese Zurückhaltung aufgeben und stattdessen die Haltung einnehmen, dass es nicht schlimm ist, wenn im Ausland nach deutschen Ideen gebaut wird. Schlimm ist jedoch, wenn wir nur die Ideen hingeben und dann den Austausch einstellen, weil es keinen monetären Gegenwert gibt. Hier müssen wir nachhaltiger denken und das Wissen und die Erfahrungen, die aus der Anwendung im Ausland an uns zurückfließen können, auch als Gegenwert
sehen.

Wenn schon keine Lizenzeinnahmen, dann den Einsatz im Ausland als Großversuchsfeld sehen und nutzen?

Ja. Die Ergebnisse, die im Ausland erzielt werden, sind oft hervorragend. Viele dort entwickelte Ideen könnten uns sehr viel weiter bringen. Doch wir bekommen es nicht mit, weil wir reserviert und zurückhaltend sind. Hier brauchen wir eine längerfristigere Perspektive.

Sie sprachen davon, dass es extrem schwierig ist, in Deutschland mit seiner hohen Kapazitätsauslastung Umbauten durchzuführen. Heißt das, dass, selbst wenn schlagartig genug Geld für die Infrastruktur zur Verfügung stünde, notwendige und wünschenswerte Umbauten für instandhaltungsärmere Strecken gar nicht durchgeführt werden könnten?

Der große Vorteil der Festen Fahrbahn ist, dass sie von Anfang an instandhaltungsärmer ist, wenn auch teurer in der Erstellung. Auf diesen Strecken kann jedoch auch gefahren werden, sie sind keine Dauerbaustellen.

Ich möchte damit nicht sagen, dass jeder Schotteroberbau schlecht ist. Der Schotteroberbau hat seine Berechtigung in der Mehrzahl der Anwendungsfälle. Der Großteil der Strecken in Deutschland soll und wird Schotteroberbau sein. Doch wir haben einige Strecken, die wir in Feste Fahrbahnen umwandeln sollten, HannoverWürzburg beispielsweise. Darüber nachgedacht wird schon seit den 1990er Jahren, doch angesichts der hohen Nutzung der Strecke hat man noch keine brauchbare Lösung gefunden.

Viel befahrene Strecken sollte man in Feste Fahrbahnen umwandeln, doch weil sie viel befahren sind, kann man sie nicht umwandeln, weil sonst die Verfügbarkeit zu stark eingeschränkt ist. Gibt es Wege aus dem Dilemma?

Es gibt unterschiedliche Ansätze. Man kann zum Beispiel Umleitungsstrecken finden, wie wir es bei HamburgBerlin gemacht haben. Für die Pendler von Hamburg nach Berlin war das natürlich ein großer Einschnitt. Die Gefahr besteht, dass sich Fahrgäste bei zu langer Qualitätseinschränkung von der Bahn abwenden und andere Verkehrsmittel nutzen.

Arbeiten Sie daran, hier Lösungen zu finden?

Die Lage ist schwierig, jedoch nicht hoffnungslos. Ideen gibt es viele. Eine ist beispielsweise, den Schotter mit Kunststoff zu versetzen, so dass aus diesem Schotteroberbau eine quasi Feste Fahrbahn wird. Vom Grundgedanken her ist das gut. Der Teufel steckt natürlich im Detail. Eine Frage ist beispielsweise, wie die Entwässerung funktioniert. Somit muss doch in den Untergrund eingegriffen werden.

Finden Sie viele Studenten, die sich für Ihre Themen begeistern?

Wir sind die einzige staatliche Technische Universität in Bayern, die den Bahningenieur als Universitätsstudium anbietet. Wir haben seit Jahren einen großen Zulauf, unter anderem auch, weil Bayern ein großes Bundesland mit vielen Einwohnern und die TU München die einzige exzellente bayerische Universität mit diesem Studiengang ist. Speziell unsere Fakultät „Bau, Geo, Umwelt“ hat in den vergangenen 10 Jahren gute Zuwachsraten erzielt. Tiefpunkt war 2005 mit rund 1000 Studenten an der Fakultät, heute haben wir ca. 3900.

Worauf führen Sie das steigende Interesse der Studenten zurück?

Mit den Bachelor- und Masterstudiengängen können wir ein breiteres Themenspektrum anbieten. Gab es früher den Bauingenieur, den Vermessungsingenieur und den Umweltingenieur, bieten wir heute allein an unserer Fakultät 17 Masterkurse an, darunter auch mehrere Masterstudiengänge im Verkehrsbereich, die klar und eindeutig spezialisiert und benannt sind. Gerade diese ein-
deutigen Abschlüsse machen die Studiengänge interessant, denn unter dem Abschluss „Bauingenieur“ konnte man sich alles oder nichts vorstellen. Jetzt kann man nach einer breiten Bachelor-Grundausbildung ganz gezielt Schwerpunkte setzen. Bezeichnungen wie Master of Transportation Systems sind moderner als der Begriff „Bauingenieur“ und damit attraktiver. Als Universität sind wir mit den 4-semestrigen Masterstudiengängen flexibler als früher und können uns schneller den aktuellen Rahmenbedingungen anpassen. Wir sind deshalb zuversichtlich, dass wir den demografischen Wandel im Bahnbereich mit jährlich rund 250 Master-Absolventen zwar nicht kompensieren, aber doch optimieren können.

Wie stark ist das Interesse von Frauen an den Studiengängen?

Ein wichtiges Thema. An unserer Fakultät haben wir augenblicklich einen Frauenanteil von 33 %, der Anteil von ausländischen Studierenden liegt bei 25%. Das wird politisch auch unterstützt. Ich halte den hohen Anteil ausländischer Studierender für einen Gewinn. Zu unseren Masterstudiengängen kommen hervorragend qualifizierte Talente nach Deutschland, die vielfach als gut ausgebildete Fachkräfte auch bleiben.

Aus der Industrie klingt oft Unzufriedenheit mit der heutigen Studienordnung und die Sehnsucht nach dem alten Diplom-Ingenieur an.

Der Diplom-Ingenieur war ein gutes Label, international gut bewährt. Es ist schade, dass wir ihn als Begriff nicht mehr haben.

Das zweistufige System, das durch Bologna vorgegeben ist, konnten wir in München mit dem Diplom-Ingenieur einfach nicht zufriedenstellend umsetzen und haben uns deshalb schweren Herzens von ihm verabschiedet. Nach 10 Jahren Erfahrung mit Bachelor- und Masterstudiengängen wissen wir jedoch die neu gewonnene Flexibilität zu schätzen und zu nutzen. Positiv ist besonders, dass wir über die Masterstudiengänge vielversprechende junge Menschen aus dem Ausland gewinnen, die dann in Deutschland helfen, den Fachkräftemangel zu lindern.

Für die Industrie ist die Einschätzung der Qualifikation bei dem neuen System nicht ganz so einfach wie beim Bauingenieur: Wer heute junge Menschen einstellen will, muss sich intensiver mit den Lebensläufen der Bewerber und den Curricula der Ausbildungen auseinandersetzen.

Eine private Frage: Wie entspannen Sie sich?

Ich bin eine starker Familienmensch. Ich freue mich, wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme und meine drei Kinder noch wach sind. Wenn ich mich ein paar Minuten mit den Kindern unterhalten habe, bin ich ein anderer Mensch. F

Das Gespräch führte Dagmar Rees.

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Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 3/2015
Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 3/2015