Bahn-Dachverband UIC gründet „Arbeitsgruppe Nachtzug“

Ein ÖBB-Nightjet-Nachtzug auf dem tschechischen Bahnhof Břeclav; Quelle: Hermann Schmidtendorf

Die Internationale Eisenbahnunion UIC mit Sitz in Paris wird im Intercity- und Hochgeschwindigkeitsausschuss eine neue Arbeitsgruppe Nachtzug einrichten, um die Nachtzugakteure zusammenzubringen und die wirtschaftliche Situation für Nachtzüge zu stärken.

Die Aktivitäten sollen im Spätsommer 2021 starten. Die UIC wurde 1922 gegründet, vereinte zunächst nur Staatsbahnen, steht inzwischen jedoch auch privaten Bahnbetreibern offen. Verzeichnet sind derzeit über 200 Mitgliedsunternehmen. Der Beschluss zur Gründung der neuen Arbeitsgruppe fiel am 23. Juni 2021 in der letzten Plenarsitzung des Intercity- und Hochgeschwindigkeitsausschusses der UIC. Das wachsende Umweltbewusstsein aufgrund der Pandemie hat zu einer Veränderung der Mobilitätsgewohnheiten der Kunden geführt und die Nachfrage nach kohlenstoffarmen Transportalternativen wie dem Bahnfernverkehr belebt, heißt es bei der UIC. Die UIC sei unter Berücksichtigung ihrer Neutralität und der Vielzahl der beteiligten Mitglieder das geeignete Gremium, um diese Themen zu diskutieren.

Als europäische Vision für 2030 wurde ein „Netz mit 15 inländischen Nachtlinien (einige davon grenzüberschreitend, zum Beispiel nach Genf oder Brüssel) und 15 internationalen Linien bis Lissabon, Malmö oder Budapest“ skizziert. Der Start dieses Pilotnetzes bis 2030 könnte „mehr als 10 Millionen Passagiere pro Jahr repräsentieren“, die von Flugzeugen und Autos auf die Schiene verlagert werden  sollten.

Vor diesem Hintergrund soll die UIC-Arbeitsgruppe Nachtzug eine Partnerschaft unter den Playern im Nachtzugsegment aufbauen, Standards für Nachtzugwagen und Vertriebssysteme implementieren, zur Stärkung der wirtschaftlichen Situation von Nachtzügen beitragen und dazu auch Fragen der Trassen- beziehungsweise Gleiszugangsentgelte für Nachtzüge beraten. UIC-Mitglieder könnten auch ihr Interesse bekunden, Vorsitzende*r oder Mitvorsitzende*r dieser neuen Arbeitsgruppe zu werden.

Polen hat viele Nachtzüge…

Offenbar ist vielen UIC-Funktionären – die zumeist aus Westeuropa kommen – unbekannt, dass alleine in Polen jede Nacht je nach Saison zwischen zehn und 20 Nachtzüge fahren, traditionsgerecht mit Sitz-, Liege-und Schlafwagen. Gerade wurde der Präsident der polnischen Staatsbahn PKP Krzysztof Mamiński zum UIC-Präsidenten gewählt. Er könnte die Bahnfunktionäre der anderen Länder aufklären. Die PKP betrieb vor der Pandemie auch einen internationalen Nachtzug zum ukrainischen Lwiw/Lemberg, der demnächst wieder fahren soll.

Im Jahresbericht des Personenverkehrsunternehmens PKP Intercity von 2018 ist aufgeführt, dass das Unternehmen 135 Nachtzugwagen im Bestand hält. Davon waren nur zehn zwischen elf und 15 Jahre alt, die meisten hatten ein Alter zwischen 25 und 35 Jahren. Inzwischen hat die PKP ein Modernisierungsprogramm für den Altbestand aufgelegt und bestellt auch wieder neue Wagen für den Tages- und Nachtbetrieb.

Im Portal polsatnews.pl wird der Journalist Wiktor Kazanecki zitiert. Fahrkarten für Inlandszüge würden ab 30 Tage vor dem Abfahrtsdatum verkauft, in der Regel ab 30 Minuten nach Mitternacht. In der Urlaubszeit seien oft zwei Stunden später schon keine Schlafplätze in Nachtzügen mehr frei: „Es geht also um den Seelenfrieden. In den "Schlafzimmern" stört Sie niemand mitten in der Nacht mit der Ticketkontrolle, macht das grelle Licht an. Uns wecken auch nicht die höchst wichtigen Lautsprecherdurchsagen, dass wir in zehn Minuten in Opole eintreffen und der Zug 15 Minuten Verspätung hat, diese aber bis vier Uhr morgens aufholen wird.“

Ein weiterer Vorteil: „Die Glücklichen mit dem „Bett-Ticket“ verpassen auch ihre Station nicht, denn ein eigens dafür entsandter Mitarbeiter weckt Sie eine halbe Stunde vor dem Aussteigen.“ Ein Schlafwagenbegleiter der PKP schilderte die Schlafwagen-Glückseligkeit so: „Du springst abends in den Zug, kannst Dich im Abteil einschließen und Dich sicher fühlen, stehst morgens erfrischt auf und bekommst Hygieneartikel, ein warmes Getränk und einen Snack zum "Guten Morgen." Was wollen die Reisenden mehr?

…Aber Parlamentarier haben Vorrang

In Polen fahren also erfreulich viele Nachtzüge. Doch das Platzangebot ist stets zu gering. Mitschuld daran hat der polnische Staat. Die derzeitige rechts-nationale Regierungspartei PiS inszeniert sich als Beschützer der einfachen Leute. Doch auch bei ihr ist bei den Nachtzügen Schluss mit Lustig. Regelmäßig blockiert die Warschauer Parlamentsverwaltung für Abgeordnete der ersten Kammer Sejm und der zweiten Kammer Senat drei Abteile in Nachtzügen, entdeckte das Portal polsatnews.pl. Oft hat ein Nachtzug jedoch nur einen Schlafwagen mit neun Abteilen: „Für Normalsterbliche werden die Plätze erst wenige Stunden vor Abfahrt des Zuges verfügbar.“

Nicht so toll ist auch die jüngste Idee der PKP Intercity, den nächtlichen IC "Karkonosze" zwischen Szklarska Poręba (Schreiberhau, polnisch-tschechische Grenze) und Białystok (nahe Bielarus) mit Großraum-Waggons vom Elektrotriebzug-Typ Dart zu realisieren. Somit bekommen die Nachtreisenden genau das, was sie nicht wollen: beständig grelle Beleuchtung, laute Sprachansagen und Zugbegleiter, die immer dann die Karten kontrollieren wollen, wenn man gerade eingeschlafen ist. PKP-Präsident Mamiński kann also in der UIC-Arbeitsgruppe auch etwas lernen.  (red./hfs)

Artikel Redaktion Eurailpress
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