Finanzprobleme: Abellio droht mit Insolvenz

Ein Abellio-Zug im Wuppertaler Hauptbahnhof; Quelle: H. Schmidtendorf

„Geld her - oder Pleite!“ titulierte die Sachsen-Anhaltinische „Volksstimme“ zu den aktuellen finanziellen Problemen des Regionalbahn-Unternehmens Abellio. Der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra forderte von deutschen Ministerpräsidenten noch im Juni Geld für das finanziell schwächelnde Unternehmen.

Ansonsten, so Hoekstra an die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Thüringen und Baden-Württemberg, sei „die Fortführung eines qualitativ hochwertigen Schienenpersonennahverkehrs durch Abellio“ gefährdet. Abellio ist ein Tochterunternehmen der niederländischen Staatsbahn NS und führt in den genannten Bundesländern regionale Personenverkehre durch. Diese werden durch die Aufgabenträger der Länder im Rahmen einer Ausschreibung für zumeist zehn bis 15 Jahre vergeben, wobei ein Preisangebot der Bewerber Basis ist.

„Tatsächlich gab es in den letzten Jahren mehrere Kostensteigerungen, welche zum Zeitpunkt von Ausschreibungen nicht vorhersehbar waren und die gesamte Branche betreffen“, erläuterte gegenüber bahn manager Dr. Matthias Stoffregen, der Geschäftsführer des Bündnisses für fairen Wettbewerb im Schienenpersonenverkehr mofair. Diese betreffen vor allem gestiegene Personalkosten und die Bahn-Infrastruktur. Dabei gehe es nicht um die Lohnsteigerungen an sich für die Bahnpersonale. Vielmehr haben Gewerkschaften in letzter Zeit durchgesetzt, dass Bahnbeschäftigte zwischen mehr Geld und mehr Freizeit wählen können. Dr. Stoffregen: „Für Aufgabenträger und Bahnunternehmen überraschend entscheiden sich viele Bahnbeschäftigte bei tariflichen Wahlmodellen für mehr Zeit.“

Das aber bedeutet, dass Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) kurzfristig mehr Personale einstellen müssen als vorgesehen. Das EVU Transdev habe errechnet, dass dadurch nach der Annahme eines solchen Tarifvertrags die Personalkosten schlagartig um 15 Prozent stiegen. Ebenfalls sei es vor Jahren unvorstellbar gewesen, dass der Bund so deutlich mehr Geld für Reparaturen, Modernisierungen und Neubau von Bahn-Infrastruktur bereitstellt wie in dieser Legislaturperiode. Das ist gut für die Zukunft, bringt aber deutlich mehr Baustellen. Züge werden dadurch unpünktlich, Bus-Ersatzverkehr ist einzurichten. Doch die Standard-Verträge zwischen Ländern und EVU schieben diese Mehrkosten den sowieso schon knapp kalkulierenden EVU zu. Für jede Verspätung müssen sie sogar eine Strafsumme zahlen, obwohl sie auf Baustellen keinen Einfluss haben.

Seit mehreren Jahren werden notwendige Änderungen in der Branche diskutiert, führt weiter der mofair-Geschäftsführer aus. Im März 2021 habe die Bundesarbeitsgemeinschaft der ÖPNV-Aufgabenträger (BAG ÖPNV) zu diesem Thema eine „Empfehlung“ für zukünftige Ausschreibungen ausgesprochen. Die derzeitigen Forderungen Abellios betreffen jedoch bereits laufende Bestandsverträge. Offenbar möchte das Unternehmen unter anderem bereits gezahlte Pönalen wegen Verspätungen zurückbekommen. Doch eventuelle Zugeständnisse der Länder brauchen Weile. Sie müssen vergaberechtlich und firmenbezogen neutral sein – eine „Lex Abellio“, das scheint sicher zu sein, kann es nicht geben.

Derzeit ist über ein drohendes Ende von Abellio Deutschland offenbar trotz der postalischen Philippika des niederländischen Finanzministers das letzte Wort nicht gesprochen. Auf Anfrage der Rheinischen Post erklärte das EVU, eine kurzfristige Aufgabe des Geschäftes sei doch nicht geplant:  „Abellio fährt weiter. Abellio in Deutschland ist gewillt, seine langfristig eingegangenen Vertragsbeziehungen nach bestem Wissen und Gewissen im Interesse aller Fahrgäste zu erfüllen.“ Übrigens: Es war der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra, an dessen Veto im April fast das Corona-Hilfsprogramm der EU gescheitert wäre. Der sich als strikter Sparmeister gerierende Wopke hatte für Staaten wie Italien äußerst hohe Zugangsbarrieren zum Hilfsprogramm gefordert und seine Blockade erst im letzten Moment zurückgezogen. Interessant, dass derselbe Minister so generös deutsches Ländergeld für seine Staatsbahn-Tochter Abellio einfordert, die er schließlich auch aus dem eigenen Staatsbudget stützen könnte.   (red./hfs)

Artikel Redaktion Eurailpress
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