Neue EU-Sicherheitsrichtlinie - Höhere Hürden für EVU: Drei Fragen an Agilis

Bernd Loos ist Eisenbahnbetriebsleiter und Leiter Eisenbahnsicherheit bei agilis. Das EVU betreibt rund 10 Prozent des bayerischen Schienenpersonennahverkehrs; Quelle: Agilis

Im März 2021 bekam die in Regensburg ansässige Agilis Verkehrsgesellschaft mit Unterstützung des TÜV Rheinland die neue obligate Sicherheitsbescheinigung entsprechend der neuen Sicherheitsrichtlinie (EU) 2016/798 und der neuen Delegierten Verordnung DVO (EU) 2018/762 bezüglich der Anforderungen an Sicherheitsmanagementsysteme. Ein bahn manager-Gespräch mit dem Betriebsleiter. 

Wie aufwendig ist die Erlangung der neuen Sicherheitsbescheinigung?

Bernd Loos: Obwohl unser bestehendes Sicherheitsmanagementsystem (SMS) sich mit den Anforderungen nach der alten Eisenbahnrichtlinie sehr gut deckt, ist der Arbeitsaufwand bei der Erlangung der einheitlichen Sicherheitsbescheinigung hoch. Das neue System orientiert sich an der High-Level-Structure (HLS), eine durch die Internationale Organisation für Normung (ISO) veröffentlichte Grundstruktur für Managementsystemnormen. Aus diesem Grund war eine Strukturanpassung unvermeidlich.

Müssen alle EVU diese Sicherheitsbescheinigung erlangen, bis wann? Wie hoch ist die Hürde, eine Bescheinigung zu erlangen? Ist das selbstverständlich, oder kann es auch sein, dass ein EVU dies nicht schafft?

Nach § 7a (1) Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) muss jedes EVU die einheitliche Sicherheitsbescheinigung erlangen, wenn es auf dem übergeordneten Netz teilnimmt. Eine einheitliche Sicherheitsbescheinigung ist generell für die Dauer von fünf Jahren gültig, allerdings kann sie für eine kürzere Dauer erteilt werden, wenn aus Sicht der Bewertungsstelle das eingerichtete Sicherheitsmanagementsystem die Anforderungen nicht vollständig abdeckt. agilis hat mit gründlicher und gewissenhafter Arbeit die volle Bescheinigungsdauer mit Gültigkeit bis 7. April 2027 erhalten.

Die Abteilung Eisenbahnsicherheit bei agilis beschäftigt sich bereits seit einem längeren Zeitraum sehr aktiv mit der Umsetzung des Vierten Eisenbahnpakets, das in Deutschland zum 16. Juni 2020 erfolgte. agilis konnte aufgrund dieser Vorarbeit - als zweites Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) überhaupt in Deutschland - die Sicherheitsbescheinigung nach den neuen Rechtslagen erlangen. Unseres Erachtens gibt es diverse Faktoren, die die Zertifizierung eines Sicherheitsmanagementsystems mit verschiedenen Faktoren beeinflussen. Diese können bei jedem Unternehmen anders aussehen. Der Grad der Schwierigkeit bei der Zertifizierung hängt deshalb von der Organisation, der strategischen Planung und den Ressourcen des jeweiligen EVU ab.

Zu den neuen Anforderungen gehört auch der „Human Factor“: Förderung von Sicherheit, Wohlbefinden und Zufriedenheit; Berücksichtigung menschlicher Schwächen – was verbirgt sich hinter diesem menschlichen Faktor bei agilis?

Neben technischen Sicherheitseinrichtungen wie Signalsystemen und Zugbeeinflussungsanlagen, Festlegung von geeigneten Prozessen, Verfahren und Regelwerken wird die Sicherheitsleistung vom „Faktor Mensch“ beeinflusst. Dabei spielt die Interaktion zwischen Technik, Regelwerk, dem Menschen, dessen individuellen, situativen, gruppenbezogenen, organisatorischen und auch kulturellen Verhaltensweisen sowie vorhandenem Verständnis auf allen Ebenen eine Rolle. Dass der Mensch Fehler macht, muss akzeptiert werden. Unser Ziel bei agilis ist es, aus Fehlern, insbesondere bei Ereignissen, zu lernen und so die Wiederholung zu verringern und deren Auswirkungen deutlich zu begrenzen. Dies gilt sowohl für jeden einzelnen Menschen als auch für die gesamte Organisation. Die menschlichen und organisatorischen Faktoren sind deshalb in verschiedenen Bereichen zu berücksichtigen, wie zum Beispiel bei der Festlegung von Sicherheitszielen, Verteilung von Verantwortlichkeiten, Arbeitsplatzgestaltung sowie Einsatzplanung. Dieser Punkt ist agilis besonders wichtig: Das Sicherheitsmanagementsystem bildet prozessorientiert alle wesentlichen Elemente zum Aufbau und Erhalt eines sicheren Eisenbahnbetriebs ab und gilt verbindlich für alle Mitarbeiter auf allen Ebenen.

Die Fragen stellte Hermann Schmidtendorf.

Artikel Redaktion Eurailpress
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