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Peter Balzer: „Wir brauchen eine neue Innovationskultur im Schienengüterverkehr“

Peter Balzer, CEO der Wascosa AG; Quelle: Wascosa

Peter Balzer ist CEO des Schweizer Familienunternehmens Wascosa AG. Bereits vor der Übernahme der Wascosa-Geschäftsführung war er in der Logistik tätig und hatte die Wascosa AG mehr als zehn Jahre extern beraten. Unter seiner Führung wuchs die Flotte von 6000 auf über 15 000 Güterwagen.

Trotz aller politischen Bemühungen verharrt der Schienengüterverkehr in Europa auf einem niedrigen Aufkommensniveau. Sehen Sie noch Chancen für eine Verkehrswende?

Das wird auf jeden Fall schwierig, trotz des großen Potenzials. Mit der Klimadiskussion und dem daraus resultierenden Green Deal der Europäischen Kommission bekommt der Schienenverkehr sicherlich Rückenwind. Denn auch mit elektrischem Antrieb wird die Straße den Vorteil der Schiene bei den CO2-Emissionen niemals aufholen. Nur leider ist die Straßenlobby so viel besser organisiert als die der Schiene. Eine Wende kann nur gelingen, wenn sich der Bahnsektor endlich gemeinsam auf das große Ganze konzentriert.

Was stimmt Sie diesbezüglich optimistisch?

Es gibt durchaus positive Entwicklungen in der Zusammenarbeit wie beispielsweise den Technischen Innovationskreis Schienengüterverkehr (TIS). Mitbewerber wie VTG, Ermewa, GATX und Wascosa haben Berührungsängste verloren und ziehen stärker zu allseitigem Nutzen am gleichen Strang. Aber das kann nur ein Anfang sein, das reicht noch nicht im Wettbewerb mit dem Lkw.

Wenn Sie drei Wünsche an die europäischen Verkehrsminister formulieren dürften, welche wären das?

Gerade meine Erfahrungen mit dem TIS haben mir wieder gezeigt: Das Schlüsselwort für den Erfolg der Schiene heißt – immer noch – Standardisierung. Ohne diese verzichten wir auf essentiell notwendige Skaleneffekte und Effizienzgewinne. Konkret stehen dabei drei Maßnahmen an der Spitze meiner Wunschliste: Erstens die schnellstmögliche europaweite Migration einer Digitalen Automatischen Kupplung, zweitens die deutliche Beschleunigung der Einführung von ERTMS/ETCS zumindest auf den europäischen Güterverkehrskorridoren und drittens die Verständigung auf Englisch als single european language im Bahnverkehr.

Was muss die Industrie ihrerseits unternehmen, um den Schienentransport wieder attraktiver zu machen?

Die Bahnindustrie ist weiterhin viel zu abhängig von der Politik. Wir brauchen mehr Planungssicherheit. Ohne deutliche Signale der nationalen Regierungen bleibt es zu unsicher, dass sich Investitionen in Innovationen tatsächlich auszahlen. Und die braucht es dringend, damit die Bahnindustrie und allen voran Eisenbahnverkehrsunternehmen und –infrastrukturbetreiber eine wettbewerbsfähige Qualität liefern können. Trotz der Megastaus auf den Autobahnen fährt die Schiene bei Verlässlichkeit und Pünktlichkeit dem Lkw derzeit meilenweit hinterher.

Im Personenverkehr ist aktuell viel von Mobility- as-a-Service zu hören. Letztlich steht dabei der Aufbau von multimodalen Plattformen im Vordergrund, die mir das komplette Mobilitätsangebot aus einer Hand bereitstellen können. Sehen Sie eine ähnliche Entwicklung auch im Güterverkehr?

Da hat der Personenverkehr einen bedeutenden Vorteil. Auf der Basis verbindlicher Fahrpläne und hoher Taktfrequenzen lassen sich attraktive intermodale Reiseketten erstellen. Diese neuen Mobilitätskonzepte der situativ gewählten Mischung von Verkehrsmitteln wird sich durchsetzen. Dass wir alle ein eigenes Auto besitzen, ist doch extrem ineffizient. Das sieht im Güterverkehr etwas anders aus. Reine Kooperationsansätze sind momentan mit einem hohen Zuverlässigkeitsrisiko behaftet. Daher muss ich als Logistiker die komplette Transportkette wirklich kontrollieren können. Wenn mir das gelingt, ergeben sich tatsächlich Chancen, den Baustein Bahn in der Kette zu forcieren. Dem Kunden ist es letztlich egal, wie seine Güter zu ihm gelangen, wenn Preis und Zuverlässigkeit stimmen. Er will nur eines: eine Lieferung just-in-time.

Zum Thema Innovationen proklamieren Sie auf Ihrer Webseite „Wie sie sehen, glauben wir nicht an Grenzen.“ Welche Grenzen wollen Sie als nächstes überwinden?

Innovationen sind definitiv ein wichtiger Teil der DNA von Wascosa. Aktuell stossen wir aufgrund der Rahmenbedingungen jedoch tatsächlich selbst an Grenzen. Vor drei Jahren haben wir den Wascosa e-car® in München vorgestellt. Dieser verfügt trotz hohen Aufwands heute immer noch nicht über alle benötigten nationalen Zulassungen. Und jetzt kommen auch noch veränderte Zulassungsbestimmungen der ERA hinzu. Einen Mittelständler stellt es vor enorme Herausforderungen, Innovationen auf die Schiene zu bringen. Wenn die Verkehrsverlagerung gelingen soll, bedarf es diesbezüglich zwingend einer größeren Unterstützung der staatlichen Behörden, einer neuen Innovationskultur bei Themen, die zulassungstechnisch so anspruchsvoll und teuer sind.

In welcher Position sehen Sie Wascosa in 20 Jahren? Wie wird die Güterverkehrswelt dann voraussichtlich gesamthaft aussehen?

Damit Wascosa in 20 Jahren noch besteht, muss das Unternehmen die digitale Transformation erfolgreich bewältigen. Wenn uns das gelingt, wird die Wascosa AG einer von drei bis fünf Güterwagenvermietern sein, die dann den europäischen Markt dominieren. Ähnlich wie in den USA wird sich die Marktkonzentration in den kommenden Jahren fortsetzen.

Ich frage abschließend gerne nach Büchern, die Sie in den vergangenen Monaten beeindruckt haben und warum?

Aus dem Technischen Innovationskreis Schienengüterverkehr ist ein sehr lesenswertes Weißbuch hervorgegangen. Um die Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs zu erhöhen, reicht es nicht aus, isoliert wagenspezifisch den Fortschritt voranzutreiben. Der TIS hat im Weißbuch «IG2» auf den Güterzug als Ganzes fokussiert. Mich überzeugt der Gestaltungsansatz, dass Innovativer Güterwagen und Intelligenter Güterzug zusammengefügt mehr als die Summe beider Teile ergeben. Dies könnte tatsächlich einen enormen Produktivitätsschub auslösen und den so dringend erforderlichen hochautomatisierten Schienengüterverkehr Realität werden lassen.
 

Das Interview führte Dr. Thomas Sauter-Servaes
Das Interview stammt aus der Ausgabe Eisenbahntechnische Rundschau 4/2020.

Artikel Redaktion Eurailpress
Artikel Redaktion Eurailpress