Alstom-Bombardier-Fusion kostet 300 Millionen Euro weniger, vier Interessenten für Werk Reichshofen

Foto: hfs / bahn manager

Am 16. September 2020 gab Alstom die formelle Unterzeichnung des Vertrags zur Übernahme von Bombardier Transportation mit Bombardier Inc und der Caisse de Depot et Placement du Québec (CDPQ) bekannt. Dabei wurden die Bedingungen der Akquisition "angesichts der aktuellen Situation überarbeitet".

Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager

Am 17. Februar 2020 war für die Akquisition noch eine Preisspanne von 5,8 bis 6,2 Milliarden Euro angegeben worden. Jetzt brachte Alstom die nicht rosige finanzielle Lage des Bombardier-Konzerns zu eigenem Nutzen ins Gespräch und erreichte nach eigenen Angaben einen Kaufpreis von „bis zu 5,3 Milliarden Euro“. Die Preisspanne für den Erwerb aller Anteile an Bombardier Transportation "ohne zusätzliche Abwärtskorrekturen im Zusammenhang mit dem Mechanismus zur Anpassung der Netto-Barkassenposition" betrage "5,5 bis 5,9 Milliarden Euro“. So wurde eine Reduzierung des Kaufpreises um 300 Millionen Euro vereinbart.

Die Zustimmung der EU zu dem Deal wurde unter Auflagen erteilt. Dazu gehört, dass das französische Alstom-Werk Reichshoffen (Département Bas-Rhin) einschließlich der dortigen Produktion der Régiolis-Triebzüge für den französischen Markt (Coradia Polyvalent) sowie die in Hennigsdorf bei Berlin beheimatete Produktion des Bombardier-Triebzugs Talent 3 verkauft werden. Am Standort Reichshoffen beschäftigt Alstom derzeit 780 Mitarbeiter*innen.

Als die Verkaufsentscheidung im Juli 2020 publik wurde, reagierten die dortigen Gewerkschaften entsetzt.

"Wir sind angewidert und fassungslos über diese Entscheidung",

empörte sich Daniel Dreger, CGT-Betriebsratsvorsitzender bei Alstom in Reichshoffen. "Unser Auftragsbuch ist weit davon entfernt, dem Untergang geweiht zu sein, wir werden verkauft wie fauler Fisch", beklagte der Gewerkschaftsführer.  "An wen sollen wir verkauft werden? Werden wir an eine spanische, deutsche oder chinesische Gruppe verkauft? Mit welchen Abkommen? Welche Löhne? Welche Arbeitskräfte?"

Eigentlich wollte die Alstom-Führung aktuelle Informationen zu diesem Thema erst später bekanntgeben, doch jetzt preschten die Gewerkschaften CGT, CFE-CGC und FO vor. Chinesen oder Deutsche werden wohl nicht zum Zuge kommen. Stattdessen wurden der russische Bahnhersteller Transmaschholding TMH und der spanische Bahnhersteller Talgo in Reichshoffen vorstellig. Konkrete Absichtserklärungen für die Übernahme von Reichshoffen reichten bisher der spanische Bahnproduzent CAF sowie der tschechische Bahnhersteller Škoda Transportation ein. CAF ist seit der Übernahme des ehemaligen Soulé-Werks in Bagnères-de-Bigorre ( Département Hautes-Pyrénées) im Jahr 2008 bereits in Frankreich präsent. Škoda Transportation begann seine internationale Expansion 2015 mit der Übernahme des finnischen Eisenbahnherstellers Transtech.

Für den weiteren Zeitrahmen gibt Alstom an: "Angesichts des Fortschritts der Gespräche mit den Wettbewerbsbehörden wird die Transaktion voraussichtlich im ersten Quartal 2021 abgeschlossen sein, vorbehaltlich behördlicher Genehmigungen und der üblichen Voraussetzungen." Keine konkreten Auskünfte gibt es bisher zu einen möglichen Käufer der Bombardier-Plattform Talent 3 in Hennigsdorf. Dort sind etwa 200 Mitarbeiter*innen betroffen. Das gesamte Werk abgesehen von den für den Talent 3 benötigten Produktionsräumen soll weiterhin durch den fusionierten Konzern genutzt werden.

Die derzeit für den Talent 3 genutzte Produktionshalle befindet sich direkt inmitten der anderen Werksproduktion. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass konkret diese Halle einem externen Käufer der Zugplattform übergeben werden könnte. Allerdings ist es möglich, die Produktionsanlagen des Talent 3 in eine andere Fertigungshalle am Rande des Werks zu verlagern und den Werkszaun entsprechend umzubauen. Dann könnten der Zug weiterhin in Hennigsdorf entstehen, die Arbeitsplätze der jetzt dort eingesetzten Mitarbeiter*innen wären gesichert.

Am 30. September 2020 besuchte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke das dortige Bombardier-Werk. Dabei gab er sich optimistisch: „Durch die Fusion der Eisenbahnhersteller entsteht ein neues europäisches Schwergewicht auf dem internationalen Markt. Beide Unternehmen gehören zu den Weltmarktführern im Schienenverkehr. Brandenburg möchte die Wertschöpfungstiefe und ein möglichst hohes Niveau an Know-how für das gesamte System Schienenfahrzeug sowie die hochwertigen Industriearbeitsplätze erhalten. Das ist gerade jetzt wichtig, da es endlich einen gesellschaftlichen und politischen Konsens gibt, den Bahnverkehr auszubauen und zu stärken. Das freut mich und ist auch für diesen Standort von großer Bedeutung.“

Auch Bombardier-Geschäftsführer Marco Michel sieht die Zukunft positiv: „ Wir sind davon überzeugt, dass die Transaktion für alle Beteiligten, einschließlich Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Aktionäre sowie unsere lokalen Gemeinden, einen Mehrwert schaffen wird. Der Standort Hennigsdorf ist für die Zukunft gut aufgestellt. In der Entwicklung und Fertigung von Schienenfahrzeugen kommen hier modernste Technologien zum Einsatz, von der Anwendung virtueller Realität bis hin zum 3D-Druck von Bauteilen. Gleichzeitig bauen wir andere Bereiche konsequent aus, allen voran die Services-Sparte mit der Wartung und Instandhaltung, da wir in diesem Bereich große Zukunftschancen sehen. In der Zwischenzeit ändert dies nichts an der Tatsache, dass Alstom und Bombardier Transportation getrennte Unternehmen und Wettbewerber bleiben und ihre Geschäftstätigkeit als solche fortführen.“

Artikel Redaktion Eurailpress
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