Das Privat-EVU Transdev gewinnt erste Ausschreibung in Frankreich

Nicht mehr selbstverständlich: Ein TER-Regionalexpress der staatlichen SNCF; Quelle: Hermann Schmidtendorf

Jetzt müssen nur noch am 29. Oktober die Regional-Deputierten der Region Süd zustimmen – dann hat das private Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) Transdev als erstes Privat-EVU überhaupt in Frankreich eine Ausschreibung gewonnen und darf ab 2025 für zehn Jahre die Bahnlinie Marseille – Toulon – Nizza bedienen.

Damit wird eine bisher goldene Regel des französischen Bahnwesens durchbrochen: Die Züge produziert Alstom, und die Fahrtleistung übernimmt die Staatsbahn SNCF. Diesmal hatte sich Alstom als Partner der Transdev präsentiert. Diese ist mit aktuell 83.000 Mitarbeitenden in 17 Ländern und den Anteilseignern Caisse des Dépôts sowie der inhabergeführten RETHMANN-Gruppe eine führende private Mobilitätsanbieterin. Der Vertrag kann um zwei Jahre verlängert werden. Er umfasst 50 Millionen Euro Jahresumsatz.  Hinzu kommen 220 Millionen Euro für den Bau eines Wartungszentrums in Nice Ville durch NGE, einen weiteren Partner von Transdev, sowie für die Bestellung von 16 Omneo Premium-Triebzügen, die Bombardier konzipierte und jetzt Alstom liefert. Geplant sind auch Entwicklungen im Bereich Vertrieb, Fahrgastinformation und Ticketing.

SNCF: Teuer, verspätet, Zugausfälle

Seit der Abstimmung über den Bahnpakt im Juni 2018 können die französischen Regionen als Verkehrsträgerinnen ihr regionales Schienennetz ganz oder teilweise dem Wettbewerb öffnen. Dann konkurriert die etablierte SNCF Mobilité mit anderen in- und ausländischen Bewerber*innen. „Region Sud“, Region Süd, ist seit Juni 2018 der zusätzliche kürzere Name für die Provence-Alpes-Côte d'Azur, die gemeinhin abgekürzt auch als PACA bezeichnet wird. Die Region im Südosten Frankreichs grenzt an Italien und das Mittelmeer und vereint sechs bevölkerungsstarke Départements, die Hauptstadt ist Marseille. Nicht von ungefähr wird hier jetzt erstmals für Frankreich ein privates Bahnunternehmen getestet. Mit der staatlichen SNCF waren die Regionalpolitiker chronisch unzufrieden, zitierte 2019 das Bulletin Le Gazette des Communes: „20 Prozent der Züge haben Verspätung, 10 Prozent der Züge fallen aus, 90 Tage Streik pro Jahr, 17 Prozent Betrug durch den teuersten Vertrag des Landes, er kostet rund eine Million Euro pro Tag“.

Bei der Ausschreibung der TER-Zuglinien der Region (Transport express régional = Regional-Expresszüge) meldeten sich zehn interessierte Unternehmen, unter ihnen neben der SNCF auch die Tochtergesellschaft von Trenitalia Thello. „Die Region Süd ist sowohl wegweisend als auch vernünftig“, erklärt jetzt der für Verkehr zuständige Vizepräsident der Region Jean-Pierre Serrus, beschwichtigt aber zugleich: Die meisten Bahnlinien werden auch weiterhin durch die SNCF betrieben.  Serrus hat sich generell eine Optimierung der öffentlichen Personenverkehre der Region auf seine Fahnen geschrieben. Der ehemalige Politiker der konservativen Republikaner und jetzige Gefolgsmann von Präsident Macrons „Republique en Marche“-Partei will beispielsweise die für den Verkehr in der Region Paca geltenden 230 Tarife auf acht Formate reduzieren und dabei auch die Preise für Bahntickets (TER) und Regionalbusse (LER) harmonisieren: „Bescheidene Haushalte sollten profitieren, aber Reisende, die ihre Tickets an Bord kaufen, zahlen viel mehr.“

Gewinne privat, Verluste öffentlich?

Zwar ist die mit dem „Lot Métropoles“ vergebene Strecke nur 160 Kilometer lang und stellt ein Zehntel der dortigen Regionalstrecken dar. Doch hier wird ein Drittel der Einnahmen generiert. Deshalb warnt der France 3-Journalist Julien Cholin vor einer „Privatisierung der Gewinne und Vergesellschaftung der Verluste“. Für anspruchsvolle Bahnstrecken mit wenigen Einnahmen wie die Bahnstrecke von Nizza in die Berge startete bei der Ausschreibung überhaupt nur die SNCF. Wenn diese jetzt keine Querfinanzierung mit ertragreichen Strecken mehr durchführen könne, sei das Gesamtergebnis nicht unbedingt ein besserer Service. Und die jetzt angekündigte Verdoppelung der Zugpaare zwischen Marseille und Nizza sei kein Verdienst der siegreichen Transdev, sondern schlicht eine Kern-Forderung des „Lastenhefts“, also der Ausschreibungsbedingungen.

Gewerkschaften: Sozialdumping

Vizepräsident Serrus erklärte in einem Fernsehinterview, Transdev habe von allen Bewerbern „am meisten Punkte für die Erfüllung des Lastenhefts“ erhalten. Interessant dürfte sein, dies im Detail nachzuvollziehen. Erst einmal befürchten Bahn-Gewerkschaften ein „Sozialdumping“ und drohen mit Gegenmaßnahmen. Der SNCF-Präsident Jean-Pierre Farandou erklärte am 12. September 2021 in einem Interview für RTL, Le Figaro und LCI: Die auf 400 Euro pro Jahr und Person geschätzten Tarifvorteile der Bahnbeschäftigten gelten nur für SNCF-Bedienstete. Bei Privatbahnen müssten die Beschäftigten für solche Besserstellung schon ihre Gewerkschaften in Marsch setzen… (red./hfs)

Artikel Redaktion Eurailpress
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