Digitalisierung durchzieht alle Ebenen des Schienenverkehrs

Der Sonderzug Connecting Europe Express (CEE) wurde für seine Fahrt durch 26 EU-Staaten bereits mit einer Digitalen Automatischen Kupplung ausgestattet. Foto: DB AG / Pablo Castagnola

Vor dem Hintergrund, dass der Bund bis 2030 doppelt so viele Fahrgäste in die Abteile und deutlich mehr Güterverkehr auf die Schiene bringen will, ist die effiziente und sichere Steuerung von Fahrzeugen und Betriebsabläufen entscheidend – sowohl für den Fracht- als auch für den Personenverkehr.

 

Inzwischen gibt es zahlreiche Unternehmen und Initiativen zur Weiterentwicklung Digitaler Leit- und Sicherheitstechnik (DLST) und damit einen regelrechten Boom um neue Hardware- und Softsysteme, welche die für ein nahtloses Management erforderlichen Daten erfassen, konsolidieren und verarbeiten. Parallel treten Aspekte wie sichere Plattformkonzepte, Automatisierung und Künstliche Intelligenz (KI) in den Fokus. Ein Status Quo.
Branchenexperten sagen für den globalen Markt von Leit-, Management- und Sicherheitswendungen im Bahnsektor bis 2026 ein Volumen von 6,2 Mrd. US-Dollar voraus. Damit ergäbe sich ein weltweites Wachstum von 7,5 % in sechs Jahren. In der Studie „Rail Control System Market Forecast (2021-2026)“ werden internationale Ausbauprojekte, die schnell fortschreitende Urbanisierung und die Umsetzung intelligenter Schienenverkehrsdienste als zentrale Faktoren dieser Marktentwicklung benannt. Digitale Kompetenzbereiche wie KI, Cloud Computing oder Block Chain bilden auch in Europa die Grundlage für neue Geschäftskonzepte – und haben laut einer Untersuchung der Beratungsgesellschaft SCI Verkehr dafür gesorgt, dass knapp 40 % von mehr als 100 mittelständischen und unabhängigen Unternehmen aus der Bahnbranche in den vergangenen zehn Jahren gegründet wurden.

Eine konsolidierte Plattform für heterogene Anwendungen

Das Fortschreiten der digitalen Transformation bringt hohe Anforderungen an die Interoperabilität und Sicherheit von Systemen mit sich. Gerade in komplexen und heterogenen Ökosystemen wie dem Bahnsektor ist deshalb das Thema Plattformtechnologie von grundlegender Bedeutung. Um den Herausforderungen eines sicheren Prozess-, Daten- und Anwendungsmanagement zu begegnen, hat die DB Netz AG mit einer Reihe von Partnern – darunter unter anderem die Schweizerische Bundesbahn (SBB), Siemens Mobility, SNFC Voyageurs, Sysgo und Thales – eine Kooperation ins Leben gerufen. Unter dem Dach der Initiative Digitale Schiene Deutschland haben die Bahninitiativen Reference CCS Architecture (RCA) und Open CSS Onboard Reference Architecture (OCORA) bereits 2020 begonnen, ein Safe Computing Platform-Konzept zu entwickeln. Die Plattformansätze sollen die Basis für sicherheitsrelevante Applikationen auf Zug- und Infrastrukturseite abbilden. Eine erste Veröffentlichung der Spezifikationen ist noch in diesem Frühjahr geplant.

ETCS-Realisierung erfordert Modernisierung auf der Strecke und an Bord

Das European Train Control System (ETCS) ist ohne Zweifel ein wesentlicher Treiber der europäischen Digitalisierungsbemühungen auf der Schiene. Um ETCS flächendeckend zum Einsatz zu bringen, müssen die Bahnnetze allerdings mit der erforderlichen Leit- und Sicherheitstechnik ausgestattet sein – und das sowohl Hardware- als auch Software-seitig. Allerdings ist ein Großteil der bestehenden Signalinfrastruktur in Deutschland nicht in die neue Steuerungsinfrastruktur inte­grierbar. Gerade auf regionalen Linien besteht deshalb ein akuter Modernisierungsbedarf, um ein flächendeckendes digitales Netzwerk zu ermöglichen. Mit der Finanzspritze des Bundes über 500 Mio. EUR arbeitet die Branche seit 2020 mit Nachdruck an der erforderlichen Hochrüstung.

Bordseitig bedarf es ebenso einer Modernisierung: Digitale Schieneninfrastrukturen sind wenig zielführend, wenn die Fahrzeuge nicht entsprechend mit intelligenten Systemen ausgestattet sind. Damit ETCS auch in den Zügen funktioniert, müssen diese mit einer ETCS On-Board-Einheit ausgestattet sein – inklusive der Option, weitere Anwendungen wie beispielsweise Automatic Train Operation (ATO) oder Train Integrity Monitoring System (TIMS) einzubinden, wenn diese erforderlich sind. Allein in Deutschland müssen zur Umsetzung von ETCS 12 750 Schienenfahrzeuge bis 2030 umgerüstet werden.

Hochmoderne Stellwerke und automatisierte Kupplungssysteme

Ein weiteres Element der fortschreitenden Umstellung auf IT-gestützte und (teil-)automatisierte Prozesse ist das Digitale Stellwerk (DSTW). Als Weiterentwicklung des Elektronischen Stellwerks (ESTW) besteht ein DSTW aus einzelnen, klar spezifizierten Teilsystemen und Komponenten wie der Zentraleinheit, Weichen oder auch Signalen, die über standardisierte Schnittstellen miteinander verbunden sind. Diese offenen, IP-basierten Interfaces ermöglichen die Integration von Komponenten unterschiedlicher Hersteller zu einem Gesamtsystem – denn auch hier ist ein hoher Grad von Interoperabilität erforderlich, um das Zusammenspiel der einzelnen digitalen Hardware- und Softwarekomponenten zu ermöglichen.

Im Januar stellte die Deutsche Bahn den ersten Zug mit einer Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) für einen mehrmonatigen Praxistest auf die Gleise. Die DAK ist laut Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) ein wesentlicher Bestandteil der Digitalisierung von Güterzügen. „Sie ist damit ein entscheidender Hebel, um die Schiene gegenüber der Straße wettbewerbsfähiger zu machen“, so das Ministerium. Die Technologie ermöglicht es, dass Güterwagen automatisch und damit ohne manuelle Handgriffe gekuppelt werden können. Auch die Wagenverbindungen für die Bremsen werden automatisch hergestellt. Im Rahmen des Projekts ­DAC4EU zur Demonstration, Erprobung und Zulassung der DAK soll die Auswahl eines Kupplungsdesigns für eine europaweite flächendeckende Einführung vorbereitet werden – auch hier mit dem Ziel, eine umfassende Automatisierung und Digitalisierung des Schienengüterverkehrs in Europa voranzutreiben.

Dispositionssoftware als digitaler Dienst aus der Cloud

Ein weiterer Trend, der sich in der Digitalisierung des Eisenbahnverkehrs abzeichnet, ist die Nutzung von Komplettsystemen als Software-as-a-Service (SaaS). Ein Beispiel aus dem europäischen Ausland: Auf der schwedischen Mälarbanan plant und disponiert das skandinavische Bahnunternehmen MRT Nordic ihr Personal und ihre Fahrzeuge seit Dezember 2021 mit der integrierten Standardlösung IVU.rail. Die Litauische Eisenbahn (LTG) migriert derzeit ebenfalls auf die SaaS-Lösung des Berliner Systemhauses IVU. Ebenfalls Unterstützung aus der Cloud erhalten derzeit die DB Regio NRW, National Express und VIAS Rail: Um den durch den Marktaustritt von Abellio erforderlich gewordenen Betreiberwechsel durchzuführen, müssen die systemseitigen Voraussetzungen für den Betrieb geschaffen werden – sowohl in den Fahrzeugen als auch in den landseitigen Systemen. Hierzu nutzen die Betreiber die modular aufgebaute Lösung InCloud. Schnittstellenstandards wie RailML, LeiDis und VDV453/454 ermöglichen laut des involvierten IT-Dienstleisters Interautomation eine schnelle Implementierung des neuen Betriebsleitsystems.

Fahrgastinformation profitiert von ­konsolidierter Datenerfassung

Die automatisierte Erfassung und die harmonisierte Zusammenführung von aktuellen Betriebsdaten bilden die Basis für neue, optimierte Fahrgastinformationsdienste. Integrierte Lösungen wie beispielsweise Mobile-ITCS von Init können umfassende Inhalte einbinden und teilweise automatisiert verarbeiten. So steigt mit der KI-orientierten Fähigkeit zu maschinellem Lernen bei vielen Betriebsleitsystemen die Genauigkeit bei der Abfahrtsprognose, betriebsrelevante Parameter wie Batterieladezustände oder auch Wartungsbedarfe werden systemseitig erfasst und automatisch ausgewertet. Offene, standardbasierte Architekturen und Schnittstellen unterstützen die Anbindung an spezifische Bedienoberflächen und sämtliche Informationskanäle der Fahrgastkommunikation.

Die kommenden acht Jahre werden spannend: Bis 2030 wird ein Großteil der Projekte zur Realisierung der digitalen Schiene abgeschlossen sein. Momentan befinden sich bereits viele Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in der Pilotphase, weshalb für dieses und das kommende Jahr aufschlussreiche Ergebnisse insbesondere in den Bereichen Stellwerk- und Kupplungstechnologie, bei den integrierten Leit- und Bediensystemen (iLBS) oder auch aus den Projekten Bahnbetriebliches IP-Netz (bbIP) und IT-Security (ITsec) zu erwarten sind. (baf)

Artikel Redaktion Eurailpress
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