ÖBB: Neues Jahr, Neue Nachtzüge

Foto: ÖBB/Harald Eisenberger

Zum kommenden Winterfahrplan im Dezember 2021 wollen die ÖBB das europäische Nachtzugnetz um die Relationen Wien-München-Paris und Züricih-Köln-Amsterdam erweitern. Deutsche Bahn-Chef Rüdiger Lutz agiert dabei, als sei er ein Chinese.

Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager Magazin

Am Rande einer Konferenz der EU-Verkehrsminister hatte Deutschlands Ressortchef Andreas Scheuer seine Kollegen aus Österreich, Frankreich und der Schweiz sowie die entsprechenden Chefs der nationalen Eisenbahnunternehmen separat eingeladen. „Die ersten konkreten Ergebnisse dieser Ausweitung der Kooperation“, so die gemeinsame Presseerklärung, „sind vier neue Nightjet-Linien, die in den nächsten Jahren insgesamt 13 europäische Millionenmetropolen miteinander über Nacht verbinden werden.“

Bravo! möchte man als engagierter Freund nächtlichen Zugfahrens sagen. Nightjet, das sind die Nachtzüge der ÖBB, die werden jetzt endlich offiziell gewürdigt.  Doch für die Deutsche Bahn ging es offenbar vor allem darum, sich bei Minister Scheuer Lieb Kind zu machen angesichts dringend benötigter Milliarden-Zuschüsse. Der Minister erfindet ein Konzept TEE 2.0 und will Nachtzüge? Klaro, wir waren immer schon dafür! Teilweise klappte diese PR-Masche auch. „Aufgewacht - Die Deutsche Bahn baut ab 2021 mit Partnern das Nachtzugnetz aus - dabei hatte sie sich schon aus dem Geschäft verabschiedet“, titelte etwa die Süddeutsche Zeitung nach dem Treffen.

Ist die DB-Spitze aufgewacht? Wirklich? 2016 hatte die Deutsche Bahn voller Ekel den eigenen „City Night“-Nachtzugverkehr abgestoßen. Er sei zu teuer und habe zu wenig Reisende. In der Österreichischen Botschaft zu Berlin, während der Präsentation des Nightjet-Konzepts durch ÖBB-Chef Andreas Matthä, verstieg sich am 7. Oktober 2016 DB-Vorstand Berthold Huber in Anwesenheit des Verfassers dieser Zeilen zu der Aussage: „Auch in Zukunft wird es ein attraktives Nachtreiseangebot in Deutschland geben" – attraktiv? Ha! Nur eben im Sitzen! Denn der Erfolg der Fernbusse zeige, dass auch Nachtfahrten vor allem etwas für, so Huber, "preissensible, junge Kunden" seien. So strich die DB allen Nachtzugverkehr und baute stattdessen eine eigene Fernbusflosse europaweit auf. Diese wurde Ende 2020 sang- und klanglos eingestellt. Stattdessen nun das Hohe Lied der DB auf den vorher verschmähten Nachtzugverkehr.

Als naiver Anhänger des Ehrlichen, Guten und Wahren hätten wir jetzt erwartet, dass der Vorstandschef der Deutschen Bahn die Gelegenheit nutzt, um Fehler seiner Vorstands-Vorgänger beim Namen zu benennen. Wie viel Sympathie, Souveränität, Standing könnte er so gewinnen! Vom Saulus zum Paulus, das geht am besten, wenn man sich von vorherigen Einstellungen distanziert. Aus welcher Krone würde Herrn Lutz eine Zacke fallen, hätte er gesagt: Unser Konzern hat die Nachtzüge damals falsch eingeschätzt, hat mit den Diesel-Fernbussen statt dem Ausbau eigener attraktiver Zugangebote die falschen Akzente gesetzt. Jetzt korrigieren wir die Fehler.

Aber nein! Stattdessen hörten wir im O-Ton DB-Chef Lutz:

„Klar, dass Deutschland allein wegen seiner Größe und Lage eine wichtige Rolle im europäischen Nachtzugnetz spielt. Dieser Rolle sind wir uns bewusst, und ihr wollen wir auch weiterhin voll und ganz gerecht werden.“

Weiterhin! Voll und ganz! Aus der Kulturenkunde wissen wir, dass Asiaten und insbesondere Chinesen als worst case den Gesichtsverlust betrachten. Ein im christlichen Abendland übliches Mea Culpa wird man dort kaum öffentlich hören – es sei denn, bei einem Schauprozess. Ist DB-Chef Lutz ein Chinese? Oder ein Anhänger des Neusprech à la Orwell – Krieg ist Frieden, Unwissenheit ist Stärke, gegen den Nachtzug ist für den Nachtzug? Frönt er womöglich fröhlich dem Freibrief von einst: Die Partei denkt heute so und morgen so, doch die Partei hat immer Recht?

Aber vielleicht ist DB-Chef Lutz auch ein verkappter deutscher Verteidigungspolitiker? Erklärte er doch gleichzeitig mit Verve, man könnte auch sagen Chuzpe: „Wenn jede Bahn ‚ein bisschen Nachtzug‘ machen würde, wäre niemandem geholfen.“ Wie niedlich! Also redet die DB vom Nachtzug, doch die Kosten hat vor allen Österreich. Ganz wie die deutschen Vorbilder im Verteidigungssektor, denen die USA seit Jahren vorwerfen: Ihr wollt Sicherheit, doch wir sollen das bezahlen…

Übrigens: Bei einem Umsatz von 90 Millionen Euro fuhr die Deutsche Bahn mit den Nachtzügen 2016 einen Jahresverlust von etwa 30 Millionen Euro ein, hieß es damals bei der DB. Bei der DB-Tochter für Güterverkehr DB Cargo verlor der Konzern 2019 etwa 300 Millionen Euro, und bei der Tochter für Auslands-Personenverkehr Arriva war 2020 sogar eine 1,4 Milliarden Euro schwere Sonderabschreibung fällig. Na und! Wird jetzt DB Cargo, dem Muster der Nachtzüge folgend, an die ÖBB verkauft? Schließlich „können“ die ja offensichtlich Bahn?

Man verzeihe uns den Spott, natürlich nicht! Aber andersherum, war der damalige DB-Verlust im Nachtverkehr nicht doch Ergebnis eines störrischen Nicht-Investieren-Wollens, gepaart mit kleinstaatlicher Trägheit und Mangel an europäisch-ökologischen Visionen? Warum spricht ein DB-Chef dies nicht einfach mal aus? Und kauft dann, ganz als Bruder im neuen Geiste, einige Mehrsystem-Elektroloks, mit denen er den Nachtverkehr nach Österreich, den Niederlanden, Skandinavien und… und… auch unter Einsatz eigenen Geldes unterstützen kann? Wie sagte doch Herr Lutz so schön? „Die Lösung ist eine klare Arbeitsteilung, eingebettet in echtes Teamplay.“

Artikel Redaktion Eurailpress
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