Kapazitätsmanagement: Wege aus dem Chaos

Baustellen unter Verkehr sollen unter anderem helfen, die Kapazitätsengpässe zu verhindern. Foto: DB AG / Frank Kniestedt

Die Bahnen klagen seit Monaten über schlechtes Kapazitätsmanagement auf dem deutschen Schienennetz, insbesondere für den Güterverkehr. Sogar das Verkehrsministerium ist eingeschaltet, und will mehr Baustellen unter rollendem Rad. Die Privaten erhoffen sich auch vom Umbau der DB-Infrastrukturunternehmen in eine gemeinwohlorientierte Sparte Einiges in Sachen Betriebsqualität. 

Anhaltendes Chaos“, „außergewöhnlich viele Probleme“, „Funktionsfähigkeit steht auf dem Spiel“: So hat der Güterbahnen-Verband Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) um die Jahreswende 2021/2022 das Kapazitätsmanagement auf dem deutschen Schienennetz beschrieben. Europäische Verbände schlossen sich an, in einem Brief an die Kommission warnen sie vor „Stillstand“ auf dem deutschen Netz. Adressatin der Beschwerden: die Betreiberin DB Netz AG.
Probleme auf der Infrastruktur zeigen sich auch in Zahlen: Laut einer Sonderausgabe der Marktuntersuchung Eisenbahnen der Bundesnetzagentur (BNetzA) waren im ersten Halbjahr 2021 37,7 % der Güterzüge in Deutschland verspätet, nach EU-Definition also mindestens eine Viertelstunde nach Plan am Ziel. Das Problem ist nicht neu: Laut dem BNetzA-Bericht waren 2018 sogar 38,2 % Güterzüge in Deutschland unpünktlich. Im Jahresverlauf 2021 eskalierte die Lage aber, zwischen Januar und November 2021 waren schon 41,6 % der Güterzüge über eine Stunde verspätet. Das zeigt die Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag. Detaillierte Daten, aus denen konkrete Verspätungsdauern hervorgehen, sollen DB Netz demnach nicht vorliegen – obwohl im Anreizsystem der DB Netz auch Verspätungsdauern erfasst werden dürften. Eine entsprechende Anfrage ließ der Infrastrukturbetreiber bislang unbeantwortet.

LAGE IM NETZ NOCH IMMER PROBLEMATISCH
Die Klagen der Güterbahn- und Logistikverbände waren so laut, dass sie auch in Volker Wissings (FDP) Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) erhört wurden. Schon Ende Dezember 2021 berief der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eine Krisensitzung ein, weil sich seine Bahn-verladenden Mitglieder nicht mehr auf Lieferungen verlassen konnten. Ende Januar lud dann das BMDV zu einem Verbändegespräch. Vom Ministerium soll dem Vernehmen nach der Leiter der Abteilung Eisenbahnen, Hugo Gratza, dabei gewesen sein. Die DB Netz AG habe in dem Gespräch dargelegt, wie sie künftig Kapazitätsengpässe im Netz verhindern wolle, berichtet das BMDV. Zu den Vorhaben zählten „effizienteres Baustellenmanagement, eine bessere Auslastungssteuerung und bessere Kommunikation“. Konkrete Sofortmaßnahmen sollen wohl nicht beschlossen worden sein, die DB Netz gab auch hierzu keine Auskunft. 
Kurzfristig hat sich die Lage im Netz indes kaum gebessert. Zwar ist sie nicht mehr ganz so dramatisch wie bei der Jahresendspitze bei den Baustellen: Jetzt herrsche wieder das „normale Chaos“, so das NEE. Die Bahnen hätten aber weiterhin „großen Aufwand, um ihre Züge auf die und entlang der Strecken zu bekommen und der Frust ist weiterhin groß“. Auch das Deutsche Verkehrsforum (DVF) berichtet, es gebe „nach wie vor Beschwerden der Bahn-Kunden über mangelnde Kommunikation“.

DB NETZ WILL UNTERNEHMEN FRÜHER INFORMIEREN
In der Zukunft sollen die Unternehmen früher in die Baustellenplanung einbezogen werden, dafür wurden die Bau- und Informationsdialoge (BID) erweitert. Zusätzlich zu den regulären regionalen BID hat DB Netz in diesem Jahr zu digitalen sogenannten Bautakt-BID eingeladen. Dabei wurden Anfang März die Eisenbahnverkehrsunternehmen über die Planungsstände größerer Baumaßnahmen (über 30 Tage) schon für das Fahrplanjahr 2025 informiert. Die Veranstaltungen fanden nach Regionen unterteilt statt. Das Format soll einer „frühzeitigen Kundenbindung“ dienen und DB Netz ermöglichen, „Vorschläge der Zugangsberechtigen für alternative Kapazitätseinschränkungen“ zu prüfen und einzubeziehen. Bei den regulären regionalen BID in der Region Ost seien testweise auf „Bitte unserer Kund:innen“ die Inhalte nach Relevanz für den Personen- und den Güterverkehr getrennt worden, hatte DB Netz angekündigt.
Gleichzeitig ist das Ziel, die – zweifelsohne notwendigen – Baustellen kapazitätsschonender zu gestalten. „Wir drängen auf Baustellen unter Verkehr“, machte auch ­Michael Theurer (FDP), Schienenbeauftragter der Bundesregierung und Parlamentarischer Staatssekretär (PStS) beim BMDV, im Februar vor Branchenvertretern klar. In der aktuellen, seit 2020 gültigen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) III sind pro Jahr 100 Mio. EUR für „Kundenfreundliches ­Bauen“ vorgesehen. Mit Maßnahmen wie Mehrschichtbetrieb, gesplitteten Bauabläufen oder dem Einbau von Bauweichen, Hilfsbrücken oder bauzeitlichen Gleisen sollen betriebliche Einschränkungen durch den Bau reduziert werden. Im Jahr 2020 etwa hat die DB laut Infrastrukturzustands- und -entwicklungsbericht rund 46,6 Mio. EUR für kundenfreundliches Bauen eingesetzt.

UNKLAR,  WAS „GEMEINWOHLORIENTIERUNG“ BRINGT
Die Verbände der privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen – sowohl im Güterverkehr als auch im SPNV – sehen auch die Ausrichtung der DB-Infrastruktursparten als Hemmschuh für eine gute Leistung im Netzmanagement. Das Ziel der Gewinnmaximierung müsse einer – im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vorgesehenen – „Gemeinwohlorientierung“ weichen, um eine „Programmierung“ der DB-In­frastruktur auf Qualität zu erreichen, schreibt der Personenverkehrs-Wettbewerberverband Mofair. Schienenbeauftragter Theurer dämpfte die Erwartungen: Ob sich die Hoffnung, „dass mehr Geld in den dringend notwendigen Infrastrukturausbau fließen kann“ bewahrheite, wolle er „mal dahingestellt lassen“, sagte er im Februar.
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) betont, dass vor allem „infrastrukturelle Rahmenbedingungen“ (u. a. flächenerschließender Zugang zu Schienenwegen und Serviceeinrichtungen, wettbewerbsfähige und planbare Infrastrukturnutzungsentgelte) die Marktchancen bestimmten. „Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen bestimmten Organisa­tionsformen der Eisenbahnen und ihren Marktchancen besteht nicht“. Unter Umständen könnten die Rahmenbedingungen „auch durch die Organisationsstruktur der Unternehmen unterstützt werden“.
Das NEE erwartet von der Abkehr von der Gewinnorientierung und je nach Ausgestaltung der Umstrukturierung durchaus eine Verbesserung für die Zugangsberechtigten – etwa dadurch, dass ein weiterer Anstieg der Trassenpreise zwecks Gewinnerzielung verhindert werden könnte. Es fordert deshalb „zeitnah“ eine entsprechende „partielle Änderung des Eisenbahnregulierungsrechts“. Außerdem sollen die Satzungen der Infrastrukturunternehmen die Gemeinwohlorientierung abbilden und die Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträge mit dem Konzern beendet werden. Weiterhin erwartet der Verband, dass eine tatsächliche Qualitätssteigerung durch Gemeinwohlorientierung außerhalb des DB-Konzerns stattfinden würde: „Wir halten es für erforderlich, dass bald eine Bundesbehörde etabliert wird, mit der die Umsetzung der strategischen Ziele des Bundes gesichert wird.“ Ein Umbau könne schrittweise erfolgen, ohne zu viel Zeit und zu viele Ressourcen zu binden.
Den Infrastrukturbereich der Bahn übersichtlicher zu strukturieren, um mehr Effizienz zu erreichen, sei „sicherlich sinnvoll“, findet das DVF. Der Verband setzt vor allem auf den Infrastrukturausbau zur Kapazitäts- und Qualitätssteigerung, mit Schwerpunkt auf den „Netzgedanken und die Resilienz des Verkehrssystems“. Auch eine gemeinwohlorientiere Organisation könnte die zur Verfügung stehenden Mittel dafür „effektiv und effizient“ einsetzen.
Der VDV pocht darauf, dass unter allen Umständen „die in den Masterplänen Schiene und Schienengüterverkehr vereinbarten Maßnahmen – gerade auch mit Blick auf die In­frastruktur – beschleunigt umgesetzt werden“. Das würde bedeuten: Weiter viele Baustellen, die im Idealfall mit möglichst geringen Kapazitätseinschränkungen vonstattengehen. (jgf)

Artikel Redaktion Eurailpress
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