Kartelle: Erst Schienenfreunde, jetzt Flachstahlfreunde

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2011 stellte die deutsche Staatsanwaltschaft fest, dass zehn der wichtigsten Eisenbahnhersteller jahrelang Schienen zu überhöhten Preisen verkauft hatten. Das illegale Kartell operierte unter dem Kryptonym „Schienenfreunde“. Doch es waren nur Freunde des erbeuteten Geldes.

Alleine 2006 soll die Deutsche Bahn aufgrund überhöhter Preise rund 100 Millionen Euro zu viel für Schienen bezahlt haben, insgesamt wurde der Schaden auf etwa 300 Millionen Euro summiert – und die DB war ja nur einer der geschädigten Kunden. Zumindest von 2006 bis 2011, so stellten es Gerichte fest, wahrscheinlich aber wohl schon seit 1998 unterliefen 14 Stahlmanager mit selbstgegebenen Decknamen wie "Domina" und "Hannibal Lecter" den Wettbewerb. Direkte Selbstbereicherung fand wohl nicht statt, doch die Herren pflegten einen ausschweifenden Lebensstil.

Klandestine Zusammenkünfte fanden in der Duisburger Pizzeria "Da Bruno" statt, die durch Mafia-Schießereien bekannt wurde, aber auch in dem Berliner Etablissement „Bel Ami“. Alleine die Manager eines der Geheimbündler reichten bei ihrem Unternehmen Spesenrechnungen für Champagner zum Flaschenpreis von  250 Euro ein, die sich mit weiteren Dienstleistungen auf über 100.000 Euro summierten und zunächst offenbar durchgewunken wurden.

Der Deal kam ans Licht, als der indische Konzern Arcelor-Mittal 2008 den Stahlhersteller Huta Katowice kaufte und Schienen anbot, die bis zu 35 Prozent billiger waren als die von Thyssen-Krupp, Voest Alpine und Kollegen. Das Bundeskartellamt verhängte in einem Verfahren über vier deutsche Unternehmen Bußgelder von über 124 Millionen Euro, die Unternehmen mussten den entstandenen Schaden ersetzen. Doch die Buße hielt wohl nicht lange.

Das Bundeskartellamt verhängte im Dezember 2019 gegen vier Flachstahlhersteller

wegen Preisabsprachen bei Quartoblechen in Deutschland Bußgelder in Höhe von insgesamt 646 Millionen Euro. Darüber informierte den bahn manager die auf private Kartellschadensregulierung spezialisierte Anwaltskanzlei Hausfeld (Berlin/Düsseldorf). Offenbar fiel dieses Mal auch eine Tochter von Arcelor-Mittal negativ auf – das Stahlmetier scheint zu verlockend zu sein, um stets eine strahlend weiße Weste zu tragen.

Die Höhe der Bußgelder, so Hausfeld, lässt auf erhebliche Volumina der betroffenen

Quartobleche schließen. Außerdem habe das Bundeskartellamt im Juli 2018 und im Januar 2019 gegen sieben Edelstahlhersteller, zwei Verbände und mehrere Einzelpersonen Geldbußen in Höhe von insgesamt etwa 290 Millionen Euro wegen Preisabsprachen und des Austausches wettbewerblich sensibler Informationen verhängt. Gegen weitere Unternehmen dauern die Ermittlungen an. Die Edelstahlhersteller hatten von mindestens 2004 bis längstens November 2015 Kartellabsprachen zu Stahl-Langerzeugnissen der Produktgruppen Edelbaustahl, Werkzeug- und Schnellarbeitsstahl sowie RSH-Stahl getroffen.

Laut einer Studie führender Wirtschaftswissenschaftler im Auftrag der Europäischen Kommission („Oxera-Studie“) liegt die durchschnittliche kartellbedingte Preisüberhöhung bei ungefähr 18 bis20 Prozent des Kartellpreises. Diese kartellbedingte Preisüberhöhung kann den Marktpreis auch solcher Anbieter verfälschen, die selbst nicht Teil des Kartells waren – für versierte Wirtschafts- und Anwaltskanzleien bieten sich viele Ansätze, um Mandanten zum Schadensersatz zu verhelfen. Denn die Feststellungen des Bundeskartellamts zu Kartellen sind für Zivilgerichte bindend und können von den Stahlherstellern nicht bestritten werden. Geschädigte Unternehmen müssen den ihnen entstandenen Schaden allerdings selbst ermitteln und nachweisen. Die Kanzlei Hausfeld rät möglicherweise betroffenen Unternehmen, sich ausführlich zu informieren und gegebenenfalls eine Zivilklage zu prüfen. Denn für die ältesten Vorkommnisse des Kartellzeitraums droht bald die Verjährung.

Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager

Artikel Redaktion Eurailpress
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