Mission Impossible? Tom Cruise will polnische Bahnbrücke sprengen – doch es gibt Protest

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Foto: pixabay

Seit Monaten hält Polens Öffentlichkeit die Meldung in Atem, in seinem nächsten Agentenfilm wolle Hollywood-Star Tom Cruise in Polen eine Eisenbahnbrücke in die Luft jagen – fragt sich nur, welche!

Früher demolierten Amerikas Filmschaffende immer nur eigene Eisenbahnbrücken. Im Jahrhundertfilm THE GENERAL (DER GENERAL) von 1926 lockt der grandiose Buster Keaton die ihn verfolgende gegnerische Armee an die strategisch wichtige Rock River Bridge, entzündet deren hölzerne Konstruktion in der Mitte, und zack! schon sackt die Brücke in sich zusammen, und eine Dampflok plumpst in den Fluss.

1961 – zwei Jahre, bevor er als der ständig vor der Polizei fliehende Dr. Richard Kimble berühmt wurde – hatte der Schauspieler David Janssen in „Ring Of Fire“ (Feuersturm) seine erste Hauptrolle. Janssen spielt einen Sheriff, der mit Dampflok und einigen Personenwagen die Bewohner der Kleinstadt Verona/Oregon aus der Umklammerung durch brennende Wälder befreit. Doch sie müssen über eine hölzerne Bahnbrücke, die auch schon zu brennen beginnt. Es gelingt, alle Zuginsassen mitsamt Sheriff ans rettende andere Ufer zu führen, dann stürzt die Brücke in sich zusammen und reißt Dampflok sowie Wagen mit sich in die Tiefe.

Bei den zerstörten amerikanischen Bahnbrücken war Denkmalschutz kein Thema. Keaton baute eine Brücke speziell für den Film, also durfte sie gerne zu Bruch gehen. Die Verona-Brücke war nutzlos geworden, nachdem das dortige Sägewerk seine Arbeit und damit auch den Bahntransport eingestellt hatte. Bei dem für 2021 angesetzten siebten Teil des Agententhrillers „Mission Impossible“ sieht das anders aus. Cruise, der auch als Regisseur agieren wird, will ausländische Bahnbrücken heimsuchen. Als Agent Ethan Hunt soll Cruise unter einer Lokomotive Sprengstoff anbringen, diese soll dann auf einer Brücke explodieren. Auf welcher? Bis Mitte August sollte die 1906 erbaute einjochige Stahlbrücke in Fischbauchträgerkonstruktion im niederschlesischen Pilchowice dran glauben. Sie wurde am Bober-Stausee auf zwei Pfeiler aus Stein gesetzt, die 85 Meter voneinander entfernt sind – eine seltenes Zeugnis dieser europäischen ingenieurstechnischen Konstruktion. Doch am 18. August wurde das Brückenunikat als Ergebnis anhaltender Bürgerproteste im Expresstempo in die Liste geschützter Kulturdenkmäler aufgenommen. Gleichzeitig wurde die Strafe für die Zerstörung von Denkmälern von sechs auf acht Jahre erhöht.

DENKMALSCHUTZ : EXPLOSION IMPOSSIBLE

Doch damit nicht genug: Ein neuester Eintrag in der Web-Enzyklopädia Wikipedia erklärt: „Die Thesaurus-Stiftung hat Klage gegen PKP PLK eingereicht wegen des Schutzes des verfassungsmäßigen Rechts zur Nutzung des nationalen Erbes, des Verbots, seitens PKP PLK jedwede Maßnahmen zu ergreifen, die es beschädigen könnten, und der Erteilung von Zustimmungen für solche Maßnahmen durch Dritte. Darüber hinaus reichte die Stiftung eine Mitteilung ein über die Möglichkeit der Begehung einer Straftat mit dem Versprechen eines finanziellen Vorteils in Höhe von 7 Millionen Zloty durch den Präsidenten eines an der Produktion des Films beteiligten polnischen Unternehmens und die Nichterfüllung der Verpflichtungen des stellvertretenden Kulturministers Paweł Lewandowski sowie der Beamten des Zentralen Büros zur Korruptionsbekämpfung.“ Der Minister, ein Denkmalschänder oder Schlimmeres? Mission Impossible!

Tatsächlich hatte sich der Vizeminister weit aus dem Fenster gehängt. Salopp hatte er das Industriedenkmal Bahnbrücke als „postindustrielles Relikt“ abgetan: „Nicht jedes alte Ding ist ein Denkmal. In Kunst und Kultur entsteht dieser Wert nur, wenn eine Beziehung zwischen einem Kulturobjekt und einem Menschen besteht. Wenn das Objekt also ungenutzt und unzugänglich ist, hat es keinen solchen Wert.“ Darf man dann auch die ägyptischen Pyramiden sprengen? raunte es im Polnisch sprachigen Internet. Die sind schließlich auch ungenutzt und unzugänglich. Im gleichen Geist wie der Vizeminister meinte gar der Chef der Warschauer Produktionsfirma Alex Stern, die für den polnischen Teil der Dreharbeiten für "Mission Impossible" zuständig ist, die Sprengung der Brücke sei „eine Wohltat für die gesamte Region“.

Piotr Rachwalski, ehemaliger Präsident des niederschlesischen Wojewodschafts-EVU Koleje Dolnośląskie, sieht antideutsche Ressentiments im polnischen nationalistischen Regierungslager als Wurzel für diese Nonchalance: „Sogenannte postdeutsche Denkmäler wie diese Brücke sind für eine bestimmte Personengruppe nicht wertvoll. Aber für Menschen aus Niederschlesien ist dies ein Erbe wie jedes andere. Vielleicht ist es für Leute aus Warschau alt und ehemals deutsch, also darf man es abreißen, aber nicht für uns.“ Rachwalski glaubt auch nicht, dass die US-Produktionsfirma Paramount wirklich den Neubau einer Bahnbrücke an gleicher Stelle zahlen würde, zumal direkt in Polen die kleine Warschauer Produktionsfirma agieren wird: „Diese Brücke wird nicht wieder aufgebaut, da sie in der gegenwärtigen Realität 30 bis 40 Millionen Zloty kostet (etwa 10 Millionen Euro).“

RENOVIERUNG DER BAHNSTRECKE

PKP PLK ist der Verwalter aller staatlichen Bahntrassen in Polen. Das Unternehmen zeigte an der Regionallinie 283, zu der die genannte Brücke zählt, seit Jahren kein Interesse. Die Brücke als solche ist in gutem Zustand, nur die Bahnlinie nicht. Im Dezember 2016 musste der Zugverkehr eingestellt werden, weil einzelne Langsamfahrstellen von 5 bis 10 auf … Null Stundenkilometer herabgestuft wurden. Rachwalski:

„Ein legaler Trick von PKP PLK.“

Jetzt muss sich wohl die Region an den Renovierungskosten für die Strecke beteiligen, es sei denn, das Zentralbudget aus Warschau stützt die in Polen „Revitalisierung“ genannte Renovierung der Bahnstrecke. Dass es dazu kommen wird, hat der niederschlesische Regierungspräsident, der Marschall,  versprochen – ein gutes Ergebnis der explosiven Debatte.

Zwar kann die PKP gegen den Denkmalschutz der Brücke in Pilchowice noch Rechtsmittel einlegen. Doch angeblich haben die amerikanischen Filmproduzenten inzwischen erklärt, sie würden sich ganz aus Polen zurückziehen. Sowieso hätte die Explosion der Bahnbrücke laut Filmdrehbuch in der Schweiz gespielt, also kaum als Promotion Polens gewertet werden können. Dennoch hatten Vertreter der PKP den Amerikanern in den letzten Tagen noch eine weitere Brücke zur Sprengung angeboten: ein auf sieben Pfeilern stehendes ebenfalls „postdeutsches“ Objekt von 1910 in Stobnica. Die dortige Bahnstrecke Nr. 381 wurde 1994 letztmalig genutzt und war dann abgebaut worden. Doch auch hier kam sofort Protest der örtlichen Bevölkerung auf, der örtlichen Politiker und auch des Denkmalschutzamts.  Denn die technisch ebenfalls seltene Fachwerk-Strebenträgerbrücke wird noch als Fußgängerbrücke genutzt, solange der Region das Geld für einen eigenen Neubau fehlt. Außerdem kam weitere Konsternation auf – denn PKP PLK hatte 2012 das Eigentum an der Brücke in Stobnica an den Staat übertragen, der sie den Selbstverwaltungsorganen in Szamotuły (Samter) übergab. Wie kann sie dann die Sprengung einer Brücke vorschlagen, die ihr gar nicht gehört?

Wer hätte das gedacht: Der Kampf um den Erhalt alter Bahnbrücken eint die sonst politisch ja recht zerstrittene polnische Gesellschaft gegen „die in Warschau“ – und mag vielleicht sogar zur Wiederinbetriebnahme eingestellter regionaler Bahnstrecken führen.

Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager  

Artikel Redaktion Eurailpress
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