­Optimierte Güterlogistik von der Hochsee ins Hinterland

Mit dem Wachstumsprogramm „Rail Connected“ soll der Schienengüterverkehr angekurbelt werden. Foto: Port of Rotterdam / Eric Bakker

Der Rotterdamer Hafen wird in den kommenden zwei Jahren zum Schauplatz eines innovativen Pilotprojekts: Im Zuge des Vorhabens Rail Connected soll die Digitalisierung des Schienengüterverkehrs vorangetrieben werden. Mit einer Reihe ähnlicher Ansätze soll nun auch die eher schwerfällige Güterschiene auf Zukunftskurs gebracht werden – die Schlüssel für diesen Trend sind intelligente Algorithmen und moderne Kommunikationsinfrastrukturen.

Das Wettrennen zwischen Schiene und Straße hat im Güterverkehr eine lange Tradition – mit der Digitalisierung trat allerdings ein Gamechanger auf die Bühne, den Lkw-Logistiker früher und schneller zu ihren Gunsten zu nutzen wussten. Dabei würde ein digitalisierter Schienengüterverkehr durchaus das Potenzial mit sich bringen, neue Dynamik in den logistischen Wettbewerb zu bringen. Der Berliner Verkehrsexperte Stephan Müller, Forscher am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR e.V.), konstatiert in seinem ­Dossier „­Digitalisierung und der Schienengüterverkehr – Eine innovationsökonomische Perspektive auf den Güterwagen“ im Mai 2021, dass die technologische Modernisierung des Schienengüterverkehrs eigentlich ein Selbstläufer sein müsste. Er zieht hierbei die Parallele zu vielen anderen Sektoren, in denen marktgetrieben Kapital eingesetzt wird, um Effizienzpotenziale auszuschöpfen. „Aber für den Schienengüterverkehr gilt, dass die Digitalisierung nicht oder nur schwerfällig stattfindet. Es droht sogar, dass der Sektor den Anschluss an die Wirtschaftsdynamik verliert und sich die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Konkurrenten ‚Lkw‘ weiter verschlechtert, der sich gleichzeitig automatisiert.“ Seit dieser Prognose ist gut ein Jahr ins Land gegangen und durchaus Bewegung ins Spiel gekommen. Die Ansätze reichen von ETCS (­European Train Control System) über Digitale Stellwerke und den automatisierten Rangierbetrieb bis hin zu digitalen Kupplungssystemen. Im Hinblick auf die Innovationsbereitschaft des Sektors unterstreicht Müller: „Risikovermeidende Instanzen und starre Normen sind kon­traproduktiv. Basisinnovationen müssen vom Standard abweichen, sonst wären sie keine. Und, es muss experimentiert und gelernt werden, inklusive möglicher Fehlversuche.“ Genau diese Prämisse wird nun auch im Rotterdamer Hafen mit dem Digitalisierungsprojekt Rail Connected aufgegriffen.

Projekt soll für mehr Effizienz, Transparenz und Zuverlässigkeit sorgen
Anfang April haben insgesamt 19 niederländische und internationale Partner eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet, mit der sie sich zur Beschleunigung der Digitalisierung und zum Datenaustausch im Schienengüterverkehr verpflichten. Um dieses Abkommen in die Praxis zu bringen, wurde unter der Federführung des Port of Rotterdam das Wachstumsprogramm Rail Connected mit einer Laufzeit von zwei Jahren auf den Weg gebracht. „Aufgrund unserer Nachhaltigkeitsziele streben wir als Hafenbetrieb Rotterdam gemeinsam mit dem niederländischen Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft und den Logistikunternehmen in den kommenden Jahren ein erhebliches Wachstum im Schienenverkehr an“, sagt Matthijs van Doorn, kaufmännischer Direktor des Hafenbetriebs Rotterdam. Deshalb sei es wichtig, dass die Branche zusätzliche Schritte in puncto Effizienz, Transparenz und Zuverlässigkeit unternehme. „Dazu sind neben einer guten Infrastruktur und guten Marktbedingungen die Digitalisierung und der Datenaustausch unerlässlich“, so van Doorn. Das Projekt Rail Connected ist Bestandteil des niederländischen Maßnahmenpakets „Maatregelenpakket Spoorgoederenverkeer“ – zu Deutsch Maßnahmenpaket Schienengüterverkehr – und wird vom niederländischen Infrastrukturministerium sowie vom Port of Rotterdam finanziert. Zu den beteiligten Projektpartnern gehören unter anderem die DB Cargo Nederland, KombiRail Europe, Neska Intermodal, Contargo, Haeger & Schmidt ­Logistics und RTB Cargo.

Präzise wie ein Uhrwerk: Nahtlose Abläufe am Rotterdamer Hafen
TEU – Twenty-foot Equivalent Unit – ist in der Logistik die gängige Messgröße für Verladeleistungen. Hier rangiert Rotterdam unangefochten an der Spitze Europas. Allein im Jahr 2021 wurden in der niederländischen Hafenstadt 15,3 Mio. TEU umgeschlagen. Zum Vergleich: Hamburg liegt in Sachen Containerumschlag mit 8,7 Mio. TEU auf Platz 3 der europäischen Häfen. Ein komplexes und hochgetaktetes Ökosystem, in dem Funktionalität und Wirtschaftlichkeit maßgeblich davon abhängen, dass Prozesse reibungslos ineinandergreifen. Schließlich müssen Hunderte von Akteuren vereint werden, um Güter so schnell, sicher und zuverlässig wie möglich zu befördern. Das ist in einem fragmentierten Markt mit zahlreichen Verladern, Spediteuren und sonstigen Logistikdienstleistern eine Herausforderung: Jeder verwaltet einen Teil der anfallenden Logistikdaten, während niemand den Gesamtüberblick besitzt. Zugleich wünschen sich Verlader und Spediteure bessere Einblicke und einen Zugriff auf Daten- und Informa­tionsketten, um nicht von unvorhergesehenen Problemen überrascht zu werden. Ein bereits bewährter Lösungsansatz liegt im sogenannten Port-Community-System (PCS): Damit jeder Teilnehmer der Logistikkette unkompliziert und ohne große Aufwände Informationen austauschen kann, stellt der Port of Rotterdam schon seit einigen Jahren ein PCS zur Verfügung. Die vom Systemhaus Portbase entwickelte Lösung weist in den Niederlanden eine nahezu landesweite Abdeckung auf und vernetzt Logistikprozesse damit auch über einzelne Verladehäfen hinaus.

Verbesserte Anbindung von Hinterlandlogistik
Ein zentraler Aspekt des Digitalisierungsvorhabens ist die Weiterentwicklung des PCS-Moduls Hinterland Container Notification (HCN) – ein multimodales Portal zur Voranmeldung von Containerfracht bei Seeterminals, Inlandterminals und Depots für die logistischen Hinterlandaktivitäten Lkw, Schiene und Binnenschifffahrt. Laut Emile Hoogsteden, Vice President Commercial des Rotterdamer Hafens, ist zwischen dem Deepsea-Transport und der Hinterlandlogistik über die Jahre ein wachsendes Ungleichgewicht entstanden. Dabei kommt es in den großen Seehäfen immer wieder zu hohen Spitzenlasten, die möglichst reibungslos in das Hinterland abtransportiert werden müssen. Aus diesem Grund ist es so wichtig, die Hinterlandkette und damit auch die Kapazitäten auf der Güterschiene genau einsehen zu können. „Ein Transporteur möchte zum Beispiel zum richtigen Zeitpunkt über die richtigen Informationen verfügen und nicht mehr zehn verschiedene Leute anrufen oder Faxe verschicken und verschiedene Websites zurate ziehen müssen“, so Hoogsteden. Iwan van der Wolf, Managing Director von Portbase, erklärt die zentrale Funktion des neuen Software-Moduls HCN: „Bald wird es beispielsweise möglich sein, Züge zentral am Terminal anzumelden und Informationen über die Zusammensetzung des Zuges abzurufen.“ Liefen die Voranmeldungen für die verschiedenen Modalitäten bisher über getrennte Dienste ab, so führt die HCN-Plattform künftig alle Akteure aus den unterschiedlichen Logistiksparten zusammen. Van der Wolf fährt fort: „Durch die Standardisierung und Digitalisierung des Informationsaustauschs werden Daten zugänglich gemacht. Zu einem späteren Zeitpunkt können wir diese, versehen mit den entsprechenden Genehmigungen und auf sichere Art und Weise, dem Schienengüterverkehrssektor und möglicherweise anderen Parteien zur Verfügung stellen.“

Kostenverteilung sorgt für Kritik
Aus der Sicht von Prozessoptimierern und IT-Experten bringt die Weiterentwicklung von Digitalisierungsprogrammen wie Rail Connected dem Frachtsektor zahlreiche Vorteile, allen voran einen effizienteren Containerumschlag, eine optimierte Nutzung der landseitigen Logistikressourcen und zuverlässigere Planungsvorläufe. Allerdings gibt es seitens der Transporteure auch kritische Stimmen: Zahlreiche Unternehmen sehen vor allem Mehrkosten auf sich zukommen, da Dienste wie im Rotterdamer Hafen nach einer Einführungsphase voraussichtlich kostenpflichtig werden. Hoogsteden beschreibt die Vorbehalte der Transporteure: „So wie es jetzt läuft, machen wir es schon seit 20 Jahren, und auf einmal muss dafür bezahlt werden.“ Das Entwicklungskonsortium hat sich deshalb laut Aussage des Software-Entwicklers Portbase bewusst dafür entschieden, die Weitergabe der operativen Kosten für die HCN-Dienste schrittweise umzusetzen – stets daran gemessen, welche Funktionen zu welchem Zeitpunkt entwickelt werden. Portbase-CEO van der Wolf weist zudem darauf hin, dass nicht nur den Transporteuren Kosten entstehen: „Die Terminals zahlen schon seit Jahren mit und werden auch in den kommenden Jahren weiter ins Hinterland investieren. Außerdem werden auch zahlreiche andere Parteien im Hafen mitbezahlen, wie die Spediteure, Reedereiagenturen und Verlader.“ So gäbe es schließlich eine faire Verteilung der Lasten auf alle Parteien in der Hinterlandkette. Zudem seien die Kosten im Vergleich zu den Vorteilen begrenzt.

Datenschutz: Einhaltung von ISO-Norm sichert ab
Nicht nur die Zusatzkosten für den HCN-Dienst sorgen für Skepsis: „Außerdem machen sich die Transporteure Sorgen über den Datenschutz und die Datennutzung. Was passiert mit meinen Daten? Verdienen andere mit meinen Daten Geld?“ – Emile Hoogsteden kennt die Bedenken der Logistikunternehmen. Damit das Port-Community-System im Rotterdamer Hafen keinen vermeidbaren Datenschutzrisiken ausgesetzt ist, befasst sich rund um die Uhr ein Information Security Manager mit allen relevanten Sicherheitsfragen. Um die Logistikkette vor Hacker-Angriffen oder sonstigen Bedrohungen zu schützen, werden jährlich unabhängige Sicherheitsaudits durchgeführt. Die PCS-Prozesse und Daten von Verladern und Logistikunternehmen werden an zwei unabhängigen Standorten vorgehalten, um bei Problemen einem vollständigen Systemausfall vorzubeugen. Zudem müssen die eingebundenen Hosting-Partner den Anforderungen der ISO-27000 und damit dem weltweiten Standard für Informationssicherheit genügen. Innerhalb der Anwendung selbst gibt es ebenfalls Sicherheitsmechanismen wie etwa ein klares Rollenkonzept, das nur Personen mit einer entsprechenden Berechtigung den Zugriff auf spezifische Informationen erlaubt. Der Datenverkehr verläuft sowohl zwischen den Servern als auch zu den Endnutzern über sichere HTTPS-Verbindungen.

Wachstum durch Digitalisierung
Mit erfolgreicher Umsetzung von Rail Connected sollten Frachtführer, Verfrachter, Transportdienstleister und Verlader in der Lage sein, alle Containerdaten über ein zentrales System vorab auf elektronischem Wege anzumelden. Eine schnellere und effizientere Verteilung von Gütern auf die Schiene als Hinterlanddienst ist eine wichtige Voraussetzung, um ehrgeizige Ziele in die Tat umzusetzen: Innerhalb der kommenden zehn Jahre sollen 50 % mehr Fracht über die niederländische Schiene transportiert werden. Das wäre ein Wachstum von 40 auf 61 Mio. t in nur einer Dekade. Durch die Digitalisierung „kann letzten Endes die Nutzung des Schienennetzes, der Züge sowie der Einsatz des Personals optimiert werden. Das wird das Wachstum des Schienengüterverkehrs ankurbeln. Mit dem Wachstumsprogramm ‚Rail Connected‘ wird jetzt ein erster, wichtiger Schritt in diese Richtung gemacht“, resümiert Hafendirektor van Doorn. (baf)

Artikel Redaktion Eurailpress
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