SNCF und DB: Wegen Corona weniger Reisende, unterschiedliche Strategien

Foto: HFS / bahn manager

Zu den vergangenen Feiertagen verzeichneten die Staatsbahnen Frankreichs und Deutschlands weniger Reisende als erwartet.

Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager Magazin

Die französische SNCF hatte ab dem 2. November 2020 wegen der verschärften Corona-Schutzmaßnahmen des Staates ihren Fernverkehr reduziert, die Regio-Züge TER folgten diesem Schritt teilweise. Die Deutsche Bahn hatte hingegen trotz der zu erwartenden geringeren Nachfrage wegen Corona das Angebot über Weihnachten sogar noch um etwa hundert zusätzliche Fernzüge ausgeweitet. Da zum Fahrplanwechsel Mitte Dezember außerdem 15 neue ICE-4-Züge dauerhaft in Betrieb genommen wurden, erhöhte sich das Sitzplatzangebot noch einmal um 13.000 Plätze.

Auf diese Weise wollte die Deutsche Bahn nach eigenen Angaben möglichen Ängsten wegen einer Ansteckungsgefahr in einem Zug den Wind aus den Segeln nehmen. Vor Weihnachten war von Beobachtern moniert worden, dass sich Bundesbedienstete auf Staatskosten einen zweiten leeren Sitzplatz buchen konnten, um unter allen Umständen den gewünschten antiviralen Sicherheitsabstand zu erhalten. Die DB hatte dann das Buchungssystem so umgestellt, dass von vornherein nur Fensterplätze zu buchen waren, der daneben befindliche Sitzplatz also frei bleiben sollte, auch wenn die Reisenden keine Beamt*innen sind. Da die DB von einer Auslastung der ICE-Züge über die Feiertage von durchschnittlich 35 bis 40 Prozent ausging, hatte die Steigerung des Sitzplatzangebots eine gewisse Logik und wurde offenbar durch die Bundespolitik auch gewünscht.

TGV UND ICE: NUR 25 PROZENT AUSLASTUNG

Doch die öffentlichen Appelle, wegen der immer noch steigenden Corona-Ansteckungszahlen zu Hause zu bleiben, führten dazu, dass, so die DB, „zwischen dem 23.12. und dem 27.12. rund 700.000 Reisende verzeichnet“ wurden - nur halb so viele Menschen waren mit der Bahn gereist wie in 2019. Das ergibt eine Auslastung im Fernverkehr von lediglich etwa 25 Prozent gegenüber 70 bis 100 Prozent in den Vorjahren und wird die Minusbilanz des Staatskonzerns weiter antreiben. Ein schwacher Trost:  Rund 89 Prozent der Fernzüge kamen laut DB pünktlich am Ziel an, das heißt nach DB-Statistikmethoden: mit unter sechs Minuten Verspätung.

In Frankreich fielen die Reisendenzahlen laut France Info deutlich weniger ab. Im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2018 beförderten die Fernverkehrszüge TGV und Intercité 70 Prozent der Reisenden. Das entspricht 3,7 Millionen Reisenden. Von den eingesetzten höherpreisigen TGV waren weniger als 20 Prozent voll oder fast voll. Der Vergleich mit 2018 wurde gewählt, weil es in Frankreich 2019 zum Jahreswechsel Streiks gab, die auch ohne Pandemie die Zahl der kursierenden Züge drastisch reduzierten.

Während die Deutsche Bahn an mehr als einem Dutzend Bahnhöfe in Deutschland über Weihnachten rund 100.000 sogenannte FFP2-Masken verschenkte, setzt Frankreichs SNCF auch auf Vater Staat als gestrengen Aufpasser. Bereits an den Eingängen der wichtigsten Bahnhöfe werden Maskenmuffel durch die reguläre Polizei und die Bahnsicherheit „ausgefiltert“, heißt es vielsagend auf der SNCF-Webseite. An den Bahnsteigen sind durch farbige Kreise die Wartepositionen der Reisenden markiert. Personen ohne Maske im Gesicht dürfen nicht einsteigen. Dies gilt auch für Kinder ab elf Jahren, nicht wie in Deutschland bereits ab sechs Jahren. Die Strafe für Maskenmuffel beträgt einheitlich 135 Euro. In Deutschland überwiegen abhängig vom jeweiligen Bundesland Strafen zwischen 50 und 150 Euro.

REGIONALPARLAMENT: WIR WOLLEN MEHR TGV!

Seit dem 2. Januar 2021 gilt in 15 Départements eine verlängerte Ausgangssperre zwischen 18.00 und sechs Uhr. Reisen sind zu diesen Zeiten nur aus außergewöhnlichen Gründen gestattet. „Wenn Ihr Fernverkehrszug zwischen 20 Uhr und 6 Uhr morgens fährt oder ankommt, dürfen Sie reisen“, beruhigt jedoch die SNCF-Webseite. „Ihre Fahrkarte dient als Nachweis.“

Abgeordnete des Regionalparlaments der französischen Region Grand Est („Großer Osten“, am 1. Januar 2016 aus dem Gebiet der vorherigen Regionen Elsass, Lothringen und Champagne-Ardenne gebildet) brachten sich derweil vorsorglich schon einmal öffentlich in Verteidigungsposition. Sie befürchten, dass die jetzige reduzierte Versorgung ihrer Region mit TGV-Fernzügen auch nach dem Ende des derzeitigen zweiten Lockdowns stillschweigend beibehalten wird. Schließlich fühlte sich diese „Region am Rande“ schon in der Vergangenheit durch die Zentrale oftmals stiefmütterlich behandelt – da ist „denen in Paris“ offenbar alles zuzutrauen, sind offenbar die Gedankengänge.

Daher nahmen die Abgeordneten  am 27. November 2020 einen Antrag an, in dem es heißt: „Die TGV-Bedienung mittelgroßer Städte in der Region Grand Est ist nicht die Variable für die Ausgleichung der strategischen Fehler der SNCF! … Alle Änderungen der Zugdienste wegen des zweiten Lockdowns und darüber hinaus müssen vorab mit den Nutzerverbänden, dem Regionalrat und dem dezentralen Staat abgestimmt werden.“ Die zuständige Abteilung der Staatsbahn SNCF Voyageurs solle sich einsetzen für eine „Rückkehr des normalen TGV-Verkehrs so schnell wie möglich“.

ZUGABSAGEN „LA DERNIÈRE MINUTE“

Das, wie es euphemistisch heißt, „angepasste Angebot“ der SNCF während des derzeitigen Lockdowns bringt für die Reisenden erhebliche Unsicherheiten mit sich. Das ahnt der aufmerksame Leser dieser Instruktion auf der SNCF-Webseite: „Wenn Sie ein Ticket für eine Zugreise haben, werden Sie spätestens zwei Tage vor Ihrer Reise per SMS oder E-Mail über den Verkehr oder die Stornierung Ihres Zuges informiert. Für alle unsere Züge finden Sie täglich um 17.00 Uhr Informationen zu den Zügen des nächsten Tages in der Anwendung SNCF Assistant. Für Ihre Reisen im Zusammenhang mit einer TER können Sie auch die Fahrpläne für den nächsten Tag auf der TER-Website der entsprechenden Region einsehen. Die Grand Voyageur Lounges sind geschlossen, und das Catering an Bord ist ausgesetzt.“

Reisende sind also bis kurz vor der geplanten Abfahrt unsicher, ob ihr gebuchter Zug auch fährt – offenbar schafft es selbst das prinzipiell zentralistisch regierte Frankreich nicht, von heute auf morgen einen einheitlichen „Corona-Fahrplan“ einzuführen, der dann, wenn auch mit reduziertem Angebot, doch verlässliche Verbindungen und akzeptable Umsteigezeiten absicherte. Das sollten all diejenigen bedenken, die an der DB wegen ihres weiterhin hohen Zugeinsatzes Kritik üben. Streichen geht schnell, doch sollen dann Regio-Passagiere stundenlang auf den nächsten Fernzug warten? Könnte das nicht eine generelle Abkehr vom Bahnfahren bewirken? Freilich, zum Null-Tarif gibt es Verlässlichkeit nicht, und auch Mitbewerber der DB sollten mit staatlichen Hilfen bedacht werden.

Übrigens: „Vom 5. Januar bis einschließlich 7. März sind Umtausch und Rückerstattung für Reisen mit TGV INOUI, OUIGO1, INTERCITÉS und TER-Anschlusszüge bis zu 3 Tage vor Abfahrt kostenlos“, teilt die SNCF-Webseite mit. Doch was ist, wenn die Reise nicht angetreten wird, weil ein Zug schlicht im last minute-Verfahren, pardon, dans la dernière minute, gestrichen wurde? Auch hier dürfte die kulant wirkende Lösung nicht alle Fälle abdecken und für weitere Zweifel sorgen.

Artikel Redaktion Eurailpress
Artikel Redaktion Eurailpress