Stadler-Bilanz 2020: Weniger Umsatz, höherer Reingewinn

Peter Spuhler

Corona-bedingt lag der Umsatz des ostschweizerischen Bahnherstellers Stadler Rail 2020 mit 3,08 Milliarden Franken (2,79 Milliarden Euro) 3,5 Prozent unter dem Vorjahresergebnis von 3,20 Milliarden Franken. Doch der Reingewinn stieg gegenüber 128.5 Millionen Franken im Vorjahr auf 138.4 Millionen Franken (125,3 Millionen Euro).

Das insgesamt erfreuliche Jahresergebnis für 2020, das Stadler Rail am 11. März 2021 veröffentlichte, ist umso erstaunlicher, als es zunächst wegen der Corona-Pandemie zu massiven Behinderungen und Einbrüchen kam. Der starke Mann bei Stadler, Exekutiver Verwaltungspräsident und Group CEO ad interim Peter Christoph Spuhler, berichtete beispielhaft, dass die Zulieferer in Norditalien im Frühling während zehn Wochen geschlossen hatten. Das eigene spanische Werk in Valencia musste auf Geheiß der Behörden für drei Wochen stilllegt werden. Insgesamt habe Stadler nach eigenen Angaben 25.000 Arbeitstage durch die Pandemie verloren.

Dazu verzögerten Reisebeschränkungen die Ausführung von Serviceverträgen und fällige Abnahmen. 2020 lieferte Stadler 465 Fahrzeuge aus, ein Plus von 21 Exemplaren gegenüber dem Vorjahr. Allerdings hätten es „deutlich über 500“ sein sollen. Immerhin: „Die Corona-bedingt nicht ausgelieferten Fahrzeuge sind weitestgehend fertiggestellt und bereit zur Zulassung und Kundenabnahme“, schreibt Stadler. Dann werden sie auch in der Bilanz umsatzwirksam. Und: „Es kam weder zu Stornierungen laufender Aufträge, noch wurden Ausschreibungen ausgesetzt.“

Um ein möglichst reibungsloses Funktionieren in der Pandemie zu gewährleisten, führte das Unternehmen ein umfangreiches Paket an Sicherheitsregeln durch, zu denen Maskenpflicht in den Betrieben sowie weitgehende Arbeit von zuhause für Bürokräfte gehörten. Die Ebit-Marge stieg dann trotz den Pandemie-Behinderungen in der zweiten Jahreshälfte gegenüber dem ersten Semester wieder auf 7,0 Prozent gegenüber nur 0,5 Prozent im ersten Halbjahr. Im Gesamtjahr erreichte Stadler eine Ebit-Marge von 5,1 Prozent gegenüber 6,1 Prozent im Vorjahr.

Der Bestellungseingang lag mit 4,3 Milliarden Franken 15 Prozent unter dem allgemein als außerordentlich hoch eingeschätzten Auftragseingang von 5,1 Milliarden Franken des Vorjahrs. Der mehrjährige Auftragsbestand beträgt über 16 Milliarden Franken – ein beruhigendes Portfolio für die nächsten Jahre. Die Nettoverschuldung stieg per 31. Dezember 2020 auf 608 Millionen Franken. Zur Begründung wird insbesondere auf Pandemie-bedingte Verzögerungen in den Zulassungsprozessen sowie Kundenabnahmen und den Eingang der damit verbundenen Schlusszahlungen verwiesen, aber auch auf weiterhin starke Investitionen in die Entwicklung innovativer Produkte und in das Wachstum der Gruppe.

Als überdurchschnittlich margenstark gilt das Segment Service & Components. Hier will sich Stadler zukünftig verstärkt in Stellung bringen – auch im Wettbewerb zu den konkurrierenden Großkonzernen Alstom und Siemens. Das scheint bislang zu klappen. Der Auftragseingang im Segment Service & Components lag im Jahr 2020 bei 1,46 Milliarden Franken und damit 75 Prozent über dem Vorjahresniveau von 0,83 Milliarden Franken. Die Umsätze im strategisch wichtigen, weil langfristig kontraktierten Service-Geschäft stiegen 2020 um 32 Prozent auf 343,3 Millionen Franken (2019: 260,9 Millionen Franken). Stark im Auf- und Ausbau ist auch der Signalling-Bereich mit dem ETCS-Zugsicherungssystem GUARDIA 2020.

Zum 1. Juli 2021 soll der aktuelle Chef von Stadler Minsk in Belarus Philipp Brunner ins operative Führungsgremium von Stadler Rail einziehen. Er soll zukünftig die gesamte Division Zentraleuropa leiten und ausbauen. Stadler hatte moderne breitspurige Reisezug- und Nachtzugwagen nach Aserbaidschan verkaufen können, deren Drehgestelle zudem automatisch auf europäische Normalspur umstellbar sind. Die Schweizer hatten sich damit gegen das spanische Talgo-Konzept durchgesetzt, das durch die Russischen Eisenbahnen angeschafft wurde. Man kann die Kaufentscheidung der postsowjetischen Republik durchaus als Signal einer bahnpolitischen Eigenständigkeit interpretieren, der Stadler gerne zuliefern würde.

Bei Stadler ist Peter Spuhler nicht nur Verwaltungsratspräsident und Konzernchef, sondern auch mit einem Anteil von 41,5 Prozent Ankeraktionär. Bemerkenswert: Wegen der Pandemie verzichtete Spuhler 2020 und jetzt erneut für 2021 auf sein Gehalt als CEO. So werden die Aktionäre auf der anstehenden Generalversammlung milder auf den Vorschlag des Konzernvorstands blicken, diesjährig statt 1,20 Rappen im Vorjahr nur noch 85 Rappen je Aktie als Dividende auszureichen.

Im Mai 2020 hatte Spuhler kurzfristig den Posten des Konzernchefs übernommen, nachdem er zu seinem damaligen CEO Thomas Ahlburg unüberbrückbare Differenzen über die strategische Ausrichtung des Unternehmens festgestellt hatte. Jetzt legte Spuhler mehrere Verwaltungsratsmandate und Funktionen in anderen Unternehmen nieder, so auch beim Autozulieferer Autoneum. Dadurch könne er sich stärker auf Stadler konzentrieren. Beobachter schließen daraus, Spuhler werde die Doppelfunktion erst dann aufgeben, wenn die derzeitigen Harzigkeiten bei Stadler überwunden sind, also vielleicht 2022 oder 2023.

Das kann offenbar manchen Industriellen in der Schweiz nicht schnell genug gehen. Das Wirtschaftsmagazin Bilanz berichtete, der aktuelle Präsident des Industrieverbands Swissmem Hans Hess habe intern dem Vorstand angekündigt, sein Amt abgeben zu wollen. Da wäre natürlich Peter Spuhler, er ist dort schon jetzt Mitglied des Verwaltungsrats, für die Amtsnachfolge allererste Wahl. (red/ Hermann Schmidtendorf)

Artikel Redaktion Eurailpress
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