Trotz Corona - Frankreichs Staatsführung liebt die Bahn

Metro U-Bahn
Foto: pixabay

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts MV2 ergab im Juli 2020, dass Unbehagen wegen möglicher Corona-Ansteckung derzeit 17 Prozent der Befragten von der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel abhält. Da stimmt es zuversichtlich, dass zumindest Frankreichs Regierungschef Jean Castex und sein Verkehrsminister Jean-Baptiste Djebbari die Bahn lieben.

Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager

92 Prozent der in Frankreich befragten Bürger*innen gaben an, mit den im öffentlichen Verkehr umgesetzten Corona-Schutzmaßnahmen eher zufrieden oder zufrieden zu sein (sehr zufrieden 23 Prozent). Das Forschungsinstitut MV2 führte die Umfrage Anfang Mai, Ende Mai und Mitte Juni durch. Skeptische Antworten zum Gesundheitsstandard im ÖPNV gaben zunächst 20 Prozent und bei dritten Mal immer noch 17 Prozent der Befragten. 16 Prozent der Befragten gaben an, jetzt öfter als „vor Corona“ mit Zug, Tram und Bus fahren zu wollen. Skeptiker befürchteten, sich in den Verkehrsmitteln viral anstecken zu können, auch, weil vielleicht Mitreisende den sozialen Abstand nicht einhielten.

STRINGENTER CORONA-SCHUTZ

Aus diesem Grund erklärt die Staatsbahn SNCF auf Plakaten und Bildschirmbannern: „Ich schütze mich, ich schütze die Anderen. Ich nutze eine Einmal-Gesichtsmaske.“ Maske tragen ist auf Bahnhöfen, in Zügen und in Verkaufsbereichen Pflicht, heißt es auf der Webseite https://de.oui.sncf/.  Auch die Ansteckung durch hustende Mitreisende ist unwahrscheinlich, so die Webseite: „Um die Einhaltung des Social Distancing zur Eindämmung der Verbreitung des Virus zu gewährleisten, ist die Anzahl der an Bord jedes Zuges verfügbaren Plätze auf einen von zwei Sitzplätzen begrenzt. Jeder Reisende hat somit zwei Sitze anstelle von einem.“ Dennoch befürchten Beobachter*innen, neue Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der sprießenden Telearbeit und einer möglichen Zunahme der Arbeitslosigkeit könnten die Steigerung der Passagierzahlen im ÖPNV bremsen.

REGIERUNGSCHEF CASTEX: BAHN FAHREN!

Gut, dass Frankreichs Regierungschef Jean Castex offenbar den nötigen langen Atem mitbringt, um auch in schweren Zeiten das Bahnsystem weiter zu entwickeln. Castex sei ein Bahnbegeisterter, verriet der Schulfreund und Anwalt Philippe Netto dem Mediendienst Ville Rail & Transports (Stadt Bahn & Transporte). „Er ist langjähriger Abonnent von La Vie du Rail (Das Leben der Bahn), hat den größten Teil der Sammlung, ihm fehlen wohl nur ein paar Ausgaben! Er hat Züge, Lokführer und die Geschichte geliebt, seit er ein Kind war. Jean Castex hat den Zug immer dem Flugzeug vorgezogen. Er zögert nicht, seine Freunde zu ermutigen, den Zug zu nehmen. Er war derjenige, der mir den Talgo vorschlug, um nach Madrid zu fahren, während ich sonst eher das Flugzeug nehme. Er lobte auch die Vorzüge, mit dem Nachtzug nach La Tour-de-Carol zu fahren und Frankreich zu durchqueren ..."

Da passt es ins Bild, dass Frankreichs aktueller Premierminister vor etwa zwei Jahren ein Buch über die Eisenbahnlinie von Perpignan nach Villefranche schrieb. „Er schaut sehr aufmerksam auf alles, was mit den Provinzen und ihrer Entwicklung zu tun hat. Er ist sich der Bedeutung der Bahn für die Erschließung unterversorgter Regionen bewusst“, sagt sein Wegbegleiter.

Weithin bekannt wurde Castex als „Monsieur Déconfinement“, der von Präsident Emmanuel Macron Beauftragte für die nationale Strategie zur Beendigung der Corona-Einschränkungen. Das Management der „Dekonfinierung“ wird weithin gelobt, während es am Management der Virus-Bekämpfung als solcher weiter starke Kritik gibt. Doch Castex hatte schon viele andere Aufgaben:  Regierungsverantwortlicher für die Olympischen Spiele 2024, Sozialberater von Präsident Nicolas Sarkozy, stellvertretender Generalsekretär des Elysee-Palastes... Auch als Nachfolger des Ende 2019 aus dem Amt geschiedenen Präsidenten der Staatsbahn SNCF Guillaume Pepy war er im Gespräch gewesen.

Wie Frankreichs Bahnwesen aus der Corona-Schieflage herauskommen und zugleich für die Zukunft ertüchtigt werden soll, erörterte Verkehrsminister Jean-Baptiste Djebbari Ende Juli in der Tageszeitung Le Figaro. Genau genommen handelt es sich um den Beigeordneten Minister für Verkehr beim Minister für den Ökologischen Übergang (Umweltministerium) – eine französische Spezialkonstruktion in der Regierungshierarchie. Die Zuordnung des Verkehrswesens zum Umweltressort signalisiert, dass die Regierung dem Verkehr eine wesentliche Aufgabe bei der Erreichung der umweltpolitischen Ziele beimisst. Nachdem somit ein eigener Ministerposten für das Verkehrsressort nicht zur Debatte steht, ist der „Beigeordnete Minister“ die nächsthohe Rangposition, sie steht über einem Staatssekretär.

VERKEHRSMINISTER: BAHN FÖRDERN, MAUT SENKEN

Viele der Antworten des französischen Verkehrsministers ähneln denen seines deutschen Kollegen. Allerdings gilt es wie auch in Deutschland, noch vieles zu präzisieren, und Unterscheide fallen ebenfalls auf. Entsprechend den Festlegungen von Präsident Macron am 14. Juli zur Entwicklung des Bahnwesens erklärte Djebbari, zwischen der Rekapitalisierung der SNCF oder der Übernahme ihrer Schulden - oder auch einer Kombination aus beiden Ansätzen - müsse noch die Wahl getroffen werden. Das sind etwas andere Töne als in Deutschland, wo Corona-Schäden, Alt-Schulden und Zukunftsbedarf nicht ins letzte aufgeschlüsselt werden.

Der französische Verkehrsminister versicherte, "der Staat investiert beträchtliche Beträge und erwartet im Gegenzug eine wirtschaftliche, umweltpolitische und soziale Leistung der SNCF auf hohem Niveau, ohne wieder Schulden zu machen". Im Allgemeinen bleibt die Ankündigung des Ministers, im Zuge der Reform von 2018 werde das Schienennetz innerhalb von zehn Jahren modernisiert sein.

Als essenziell bezeichnete Djebbari die weitere Förderung des Schienengüterverkehrs in Frankreich. Deshalb bestellte er bei seinen Mitarbeitern einen Plan zur langfristigen Stabilisierung der staatlichen Güterverkehrssparte, der Fret SNCF. Inspiriert von einem Vorschlag der Alliance 4F (Allianz für Güterverkehr) beabsichtigt der Minister jedoch auch die Senkung der Schienentrassenmaut "für Unternehmen, die im nationalen Netzwerk tätig sind", also für alle Player, die Unterstützung des Einzelwagen-Güterverkehrs, Verstärkung der Hilfe für den kombinierten Transport und die Beschleunigung des Starts neuer „Eisenbahnautobahnen“.

BIS 2022 NEUE NACHTZÜGE

Weiter als in Deutschland wagt sich die französische Regierung beim Thema Nachtzüge vor. Diese Zuggattung liegt explizit dem Präsidenten Macron am Herzen, also soll sie mit den Worten des Ministers von den "Ambitionen" der Regierung profitieren. Man könne doch, so Jean-Baptiste Djebbari, "bis 2022 zwei zusätzliche Nachtzüge neu starten, davon einen auf der Strecke Paris – Nizza - warum nicht?" Die dazu notwendige Renovierung oder auch Neubeschaffung des Rollmaterials würde der Staat dann mit übernehmen.

Interessant ist auch, wie weit die Regionalisierung des Schienenverkehrs im Bereich der Infrastruktur gehen soll. Neubelebung vor Stilllegung heißt die Parole. Dazu sortiert der Minister die in Frankreich so genannten „kleinen Linien“ in solche, „die am häufigsten verwendet werden“ – sie sollen von der staatlichen Infrastrukturgesellschaft SNCF Réseau „übernommen“ werden – und in die weniger oft frequentierten, die von den Regionen übernommen werden könnten. Dann würden die Regionen selber entscheiden, wie viel Bahnverkehr es in diesem Bereich gibt, stünden aber auch in der Pflicht zur Mitfinanzierung der entsprechenden örtlichen Infrastruktur.

FRANKREICHS VERKEHRSMINISTER BEIM VDB

Wenn alles klappt, wird Frankreichs Verkehrsminister Jean-Baptiste Djebbari am 24. September 2020 an dem VDB DIALOG FORUM DIGITAL des Verbands der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) am 24. September 2020 von 11 bis 13 Uhr teilnehmen. Ansprechpartnerin für das Forum ist im VDB Frau Silvana Vogel (Telefon 030 20 62 89 30, E-Mail: vogelnoSpam@noSpambahnindustrie.info). Schon jetzt können Fragen an den prominenten Referenten gestellt werden!

Artikel Redaktion Eurailpress
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