Bahnverbände: Missmanagement bei DB bringt Güterverkehr „nahezu zum Erliegen“

Die Deutsche Bahn schafft es nicht, alle eingeplanten Gelder des Bundes zeitnah für Baumaßnahmen auszugeben; Quelle NEE

Wenn der designierte Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing sein neues Büro bezieht, wird ein wenig angenehmer Brief schon auf ihn warten. Wesentliche europäische Bahnverbände beklagen sich bitter über angebliches Missmanagement bei DB Netz. Der Bundesrechnungshof und mit ihm weitere Bahnverbände machen zusätzlich Druck: Die Bundesregierung solle endlich Ordnung schaffen.

Auf dem deutschen Schienennetz der DB Netz laufen derzeit aufgrund eines Investitionsstaus sehr intensive Bauarbeiten“, schreiben unter anderem die Europäische Bahnfracht-Assoziation ERFA, der Europäische Reedereien-Rat ESC und das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen NEE an EU und Bundesregierung. „Wir erwarten jedoch, dass diese Arbeiten professionell und perfekt geplant durchgeführt werden, einschließlich eines hohen Maßes an Koordination und Notfallplänen zur Behebung von Störungen. In den letzten zwei Wochen waren wir aufgrund von Störungen an Weichen, Stellwerken und der Nichterreichbarkeit von Personal der DB Netz mit einer inakzeptablen Situation konfrontiert. Viele Teile des Systems – insbesondere entlang des Schienengüterverkehrskorridors Rheinalpen – waren nicht funktionsfähig, und Dutzende von internationalen Güterzügen mussten entweder geparkt werden und/oder hatten starke Verspätung.“

„Problem von europäischer Dimension“

 Die Frachtverbände beklagen, die „Problemlösungsfähigkeit“ der Infrastruktursparte der Deutschen Bahn sei „äußerst schwach“ bis kaum vorhanden: „Dadurch entsteht ein Problem von europäischer Dimension. Die aktuelle Situation hat das Potenzial, dem europäischen Schienengüterverkehr erheblichen Reputations- und Wirtschaftsschaden zuzufügen. Sie verschärft bestehende Überlastungsprobleme in europäischen Seehäfen und deren Hinterland und trägt zu weiteren Engpässen in der Lieferkette bei. Die Lage im EU-Schienengüterverkehr ist kritisch, und es besteht sofortiger Handlungsbedarf von DB und DB Netz.“

Klagen über Probleme des Güterverkehrs auf den chronisch überlasteten Bahnstrecken links und rechts des Rheins hatte es schon mehrfach gegeben. Doch nie klang es so bitter wie jetzt. Dabei ist doch alles, so könnte es scheinen, „business as usual“? „Bei einem Unwetter war am Sonntagnachmittag ein Intercity auf der linksrheinischen Bahnstrecke bei St. Goarn in Rheinland-Pfalz entgleist, Dabei wurden elf Menschen verletzt. Wegen des Unglücks ist die linksrheinische Bahnstrecke auch heute noch für den Bahnverkehr gesperrt. Die Züge werden über die rechte Rheinseite umgeleitet“, berichtete am 13. September 2021 die Internetzeitung „report-k.de“.

Pech, dass auch die rechte Rheinstrecke nicht immer verfügbar ist. Am 12. November 2021 vermeldete der SWR: „Die rechte Rheinstrecke der Bahn zwischen Koblenz und Wiesbaden bleibt weiter gesperrt. Das teilt die Bahn mit. Als Ersatz fahren Busse. Die Fahrzeit verlängert sich demnach um über eine Stunde. Ein Bagger hatte am Donnerstag bei Bauarbeiten ein Kabel beschädigt, deshalb ist das Stellwerk in Oberlahnstein außer Betrieb. An rund 20 Bahnübergängen im Rheintal gehen nach Angaben der Bahn die Schranken nicht mehr auf.“

Kann doch mal passieren, so ein Ausrutscher eines Baggerfahrers, ein Unfall, Unwetter oder auch Steinrutsch wie im Frühjahr! Dazu kommen natürlich die lange vorgeplanten Baumaßnahmen. Der DB-„Baustellen-Max-Maulwurf“ vermeldet dazu im Internet: „Bis Ende des Jahres haben die DB-Expert:innen noch ein anspruchsvolles Bauprogramm vor der Brust: In der Zeit von Freitag, 12. November, bis Freitag, 10. Dezember, bauen sie zwischen Köln und Brühl drei neue Signalbrücken über den Gleisen, errichten zwei neue Signalausleger und gründen rund 70 neue Signalfundamente. Außerdem verlegen sie Kabelkanäle, bauen Kabelschächte und stellen Gleisquerungen her.“ Die DB-Netzseite „Fahrplanabweichung“ fasst trocken zusammen: „Aufgrund von Stellwerksarbeiten (ESTW Linker Rhein) und Gleis-/Weichenarbeiten in Köln Süd kommt es zu umfangreichen Fahrplanänderungen zwischen Köln und Bonn. Montags bis Freitags ist tagsüber ein eingleisiger Betrieb möglich. Nachts und an den Wochenenden ist die Strecke komplett gesperrt. Neben der RE 5 (RRX), und RB 45 und anderen Zugverkehren ist auch die RB 26 im benannten Zeitraum betroffen.“

Bessere Planung ist gefordert 

Und betroffen ist wohl auch der Güterverkehr? Die ihn vertretenden europäischen Bahnverbände fordern jedenfalls für die europäischen Hauptschlagadern des Güterverkehrs, die Rheinstecken, erneut eine vorausschauende internationale Koordination und Kommunikation seitens DB Netz und eine bessere Planung von Umleitungs-Fahrplänen bei Notfällen.

Ein weiteres Fass machte der Bundesrechnungshof auf. Am 30. November stellte er in seinem Jahresbericht zahlreiche „Bemerkungen“ auf, die sich kritisch mit dem Handeln der Deutschen Bahn AG und des sie formell als Eigentümer kontrollierenden Bundesverkehrsministeriums (BMVI) befassen. Bemängelt wird zum Beispiel die Besetzung des DB-Aufsichtsrats. Das BMVI habe bei mehreren Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Bundesbediensteten „Doppelfunktionen“ hingenommen, „durch die Unternehmens- und Bundesinteressen kollidieren können.“

Direkt in die Illegalität verweist diese Überschrift: „Deutsche Bahn AG hält Gewinne zurück: Hoher Millionenbetrag fehlt für den Erhalt des Schienennetzes“. Dazu schreibt der Bundesrechnungshof (BRH): „Die Deutsche Bahn AG (DB AG) zahlte die Gewinne ihrer Eisenbahninfrastrukturunternehmen dem Eigentümer Bund nicht in jedem Jahr vollständig als Dividende aus, obwohl sie dazu vertraglich verpflichtet war. Da die Gewinne für Ersatzinvestitionen vorgesehen waren, fehlte ein hoher Millionenbetrag für den Erhalt des Schienennetzes.“ Der BRH wirft dem BMVI eine „unzureichende“ Vertragsüberwachung vor, die es zugleich der Deutschen Bahn erlaubte, gesetzwidrig „Gewinne der Eisenbahninfrastrukturunternehmen … in anderen Konzernbereichen“ zu verwenden.

Bundesrechnungshof: Schlendrian bei DB

Auch an anderer Stelle wirft der BRH der DB-Führung vor, sie könne nicht korrekt mit Geld umgehen, und das Ministerium schaue weg: „Der Bundesrechnungshof hat acht Baumaßnahmen geprüft und bei allen mangelhafte Planungen und Ausführungen festgestellt. Die Mängel verursachten vermeidbare Mehrausgaben in Millionenhöhe. Diese Mehrausgaben lagen zwischen 5 und 17 % der Gesamtausgaben. Die Feststellungen des Bundesrechnungshofes lieferten konkrete Hinweise auf grob fahrlässiges Handeln der Eisenbahninfrastrukturunternehmen, das zur unwirtschaftlichen Mittelverwendung geführt hat. Gleichwohl verzichtete das BMVI darauf, die Verwendung vertieft zu prüfen und unwirtschaftlich verwendete Bundesmittel zurückzufordern.“

In dieses Bild passt diese zeitgleich durch den Güterverbahnen-Verband NEE veröffentliche Mitteilung: „Schon seit Jahren schafft es die vom Bund mit der Umsetzung beauftragte DB Netz AG nicht, selbst die zu geringen Mittel vollständig auszugeben. Seit 2014 hat sich der „Ausgaberest“ auf 839 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Eine offizielle Begründung für den Mittelverzicht gibt es nicht, es dürfte sich aber um eine Mischung aus zu geringen Planungskapazitäten, zu langsamer Umsetzung und möglicherweise auch eine bewusste Zurückhaltung des Vorstandes der DB Netz AG handeln, der 10 Prozent jedes Projekts aus „Eigenmitteln“ mitfinanzieren muss.“

Wie das, könnte man fragen, die zehn Prozent „“Eigenmittel“ fehlen, obwohl dem Bundeshaushalt zustehende Gelder nicht voll abgeführt werden? Auf jeden Fall wird sich der neue Bundesverkehrsminister hier schnell ein schonungsloses Bild machen und etwaige Fehlentwicklungen abstellen müssen. Auf Teile der Regierungsfraktionen im Bundestag darf Dr. Wissing dabei sicher setzen. Der sächsische FDP-Bundestagsabgeordnete und Obmann im Verkehrsausschuss Torsten Herbst erklärte umgehend: „Der neue Bericht des Bundesrechnungshofs zu den Versäumnissen der scheidenden Bundesregierung bei der Deutschen Bahn AG unterstreicht einmal mehr den dringenden Reformbedarf. Ein „Weiter so“ im DB-Konzern darf es nicht geben.“

Die im Ampel-Koalitionsvertrag festgelegte Gemeinwohlorientierung der Infrastruktursparte, so der FDP-Bahnpolitiker, sei „ein erster Reformschritt. Weiterhin muss sich der Bahnkonzern auf den Schienenverkehr im Inland konzentrieren und darf sich nicht länger mit unzähligen Auslandsaktivitäten wie Arriva und Schenker verzetteln. Der Konzern muss durch Verkäufe und den Abbau von Hierarchien deutlich schlanker, agiler und kundenorientierter werden. Nur so lassen sich die Verkehrsziele im Inland erreichen.“ Auch ein Verkehrssprecher der Grünen äußerte sich ähnlich. Weniger klar ist derzeit noch der Standpunkt der SPD, die in der Vergangenheit genauso wie CDU/CSU durch Vertreter im DB-Aufsichtsrat vertreten war und dadurch potentiell die monierten Vorfälle mit durch gewunken haben könnte. 

Verbände fordern Enquete-Kommission

Die Verbände werden jedenfalls nicht locker lassen, darf man auch nach der Stellungnahme des Verbands der Wettbewerbsbahnen mofair vermuten. „Der Bundesrechnungshof dokumentiert in dankenswerter Klarheit das Ausmaß der Schlampigkeit und der Uneinsichtigkeit von Deutscher Bahn AG und Bundesverkehrsministerium“, heißt es dort. „Bei der Neuaufstellung der DB-Monopolbereiche in einer gemeinwohlorientierten Gesellschaft sollten beispielsweise auch Vertreter aller Eisenbahn-Verkehrsunternehmen (und nicht nur der DB-Transportgesellschaften) in die Aufsichtsgremien entsandt werden.“

NEE-Vorstandsvorsitzender Ludolf Kerkeling geht noch weiter. Er fordert, der Deutsche Bundestag solle die Deutsche Bahn AG grundlegend durchleuchten: “Entweder die neue Regierung beruft eine unabhängige Expert:innenkommission, oder das Parlament setzt eine Enquete-Kommission ein, die Handlungsempfehlungen zur überfälligen Runderneuerung der Eisenbahnpolitik ausarbeiten.“ Jedenfalls würden die Wettbewerbs-Güterbahnen nicht klaglos hinnehmen, dass die Deutsche Bahn womöglich mit Wettbewerber-Abgaben für die Bahntrassennutzung „unzulässigerweise“ die eigene „hoch defizitäre DB Cargo“ oder andere eigene Start-Ups unterstütze. Das sei „europarechtlich unzulässig und verhindert die Verlagerung von Verkehren auf die Schiene.“  (red./br/ne/mo/hfs)

Artikel Redaktion Eurailpress
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