Ersatzteile auf Knopfdruck

Im 3D-Druck können Bauteile binnen weniger Stunden gefertigt und bereitgestellt werden. Foto: DB AG

Additive Fertigungstechniken, insbesondere der 3D-Druck von Bauteilen, haben in den vergangenen Jahren deutlich an Zuspruch gewonnen. Hohe Verfügbarkeiten, Lieferantenunabhängigkeit, eine Reduzierung von kostspieligen Lagerflächen – ­Unternehmen profitieren auf vielfältige Weise von neuartigen Produktionstechnologien. Vorteile, die auch die Deutsche Bahn zu schätzen weiß.

Der Trend, in der Beschaffung und im Lieferantenmanagement möglichst flexibel zu sein, zeichnete sich bereits ab, als die aktuellen Lieferengpässe und Rohstoffverknappungen noch nicht absehbar waren. Heute zeigt sich, dass Betriebe gut beraten sind, wenn sie Produktions-, Instandhaltungs- und Wartungsprozesse so unabhängig wie möglich gestalten. Ansonsten drohen Stillstände oder kostspielige Ausfälle, weil die Wartezeiten auf Rohstoffe, Materialien oder Ersatzteile lang werden können. Eine Situation, die nicht nur Industriebetriebe, sondern auch den Verkehrssektor betrifft. Die Deutsche Bahn AG (DB) setzt deshalb zusehends auf autarke Konzepte wie die additive Fertigung zur Bereitstellung von spezifischen Modulen: „Mit 3D-Druck können wir Ersatzteile schneller beschaffen und nicht mehr lieferbare Teile selbst nachbauen“, erklärt DB-Vorständin für Digitalisierung und Technik Daniela Gerd tom Markotten.

Steigende Investitionen in die Additive Fertigung
Laut einer internationalen Studie des 3D-Drucker-Herstellers Essentium ist die Zahl der Unternehmen, die dazu übergegangen sind, additive Fertigungsverfahren zu nutzen, von 14 % im Jahr 2020 auf 24 %  im Jahr 2021 angestiegen. Auch die DB investiert in 3D-Druck-Technologien: Konzernweit hat die Bahn laut eigenen Angaben bisher rund 750 000 EUR in entsprechende Anlagen investiert. „Unser Ziel ist ein digitales Warenlager: Bis 2030 sollen rund 10 000 Bauteile quasi auf Knopfdruck im 3D-Drucker bestellbar sein“, so Gerd tom Markotten. Damit würden bei der DB etwa ein Zehntel der in der Fahrzeuginstandhaltung benötigten Teile additiv gefertigt werden.

Europäisches 3D-Druck-Netzwerk für die Schiene
Um bahnrelevante Entwicklungen im Bereich der additiven Fertigung voranzutreiben, hat die DB Fahrzeuginstandhaltung (DB-FZI) das 3D-Druck-Netzwerk Mobility goes Additive mit über 130 Partnern und acht weiteren europäischen Bahnen ins Leben gerufen. In mehr als einem Dutzend Arbeitsgruppen senken die Mitglieder gemeinsam Hürden für die Einführung und Anwendung additiver Fertigungsverfahren, die ein Unternehmen allein nicht überwinden kann. Die branchenübergreifenden, behandelten Themen sind weitreichend: von der anwendungsorientierten Validierung von Materialien über die Identifikation von druckbaren Bauteilen bis hin zu Software, Qualitätsprüfung und Ausbildung. Im Bahnsektor geht es primär um die langfristige Verfügbarkeit von Ersatzteilen und die Reduzierung von Lagerkosten durch Print-on-demand, insbesondere für selten abgerufene Teile. „Als alternativer Beschaffungsweg für abgekündigte Komponenten und verfügbarkeitskritische Bauteile lassen sich mittels 3D-Druck System­ausfälle und Fahrzeugstillstände reduzieren oder Liefer- und Auftragszeiten verkürzen“, heißt es seitens Mobility goes Additive. So arbeitet inzwischen unter anderem auch die staatliche französische Eisenbahngesellschaft SNFC mit additiven Verfahren. Mittels der Software 3YOURMIND analysierte das Unternehmen, dass über 10 %  der rund erforderlichen 60 000 Ersatzteile im 3D-Druck erstellt werden können – mit einer Reduzierung der Lieferzeiten von bis zu 85 %. Auch Alstom setzt im Rahmen seines Industry of the Future-Programms auf die additive Fertigung. 2021 präsentierte der französische Konzern ein interessantes Pilotprojekt: Alstom stattete die Straßenbahnen in der algerischen Stadt Sétif mit 3D-gedruckten Ablassschrauben aus, um Schäden an den Scheinwerfern zu verhindern. Dauerte es in der Regel bis zu 45 Tage, um diese speziellen Ersatzteile zu erhalten, so konnten diese nun innerhalb von nun 48 Stunden gefertigt werden. Der örtliche Straßenbahnbetreiber konnte seine Fixkosten für die Ablassschrauben um 80 %  senken.

Run2Rail will leichte Züge drucken
Eine weitere grenzübergreifende Initiative, die darauf abzielt, die Fertigungsprozesse im Bahnsektor in Richtung 3D zu transformieren, ist das europäische Run2Rail-Projekt. 2018 wurde es von Professor Simon Iwnicki vom Institute of Railways Research (IRR) an der University of Huddersfield ins Leben gerufen. Die Perspektive geht über die Produktion einzelner Ersatz- und Bauteile hinaus: Die Forscher wollen mithilfe von 3D-Druck und Kohlefaser leichtere, sicherere und leisere Züge konstruieren. Dank des verwendeten Verbundwerkstoffs und der Technologie sind die Projektbeteiligten davon überzeugt, in Zukunft auch Teile von komplexer Geometrie mit reduziertem Gewicht, aber erhöhter Festigkeit herstellen zu können. So unterstreicht zudem Iwnicki, dass der 3D-Druck die Herstellung kleiner Bauteile wie Achslager oder Lagerteile ermöglicht. Als Zusammenschluss von insgesamt 15 europäischen Partnern zielt Run2Rail außerdem darauf ab, durch leichtere Fahrzeuge Energiebedarfe zu senken und so den ökologischen Fußabdruck der europäischen Eisenbahnindustrie zu reduzieren.

Große Bandbreite an Bauteilen
Zurück zur heimischen Schiene: Die erste operative 3D-Druck-Anlage der DB, die auch Hochleistungskunststoffe verarbeiten kann und den strengen Auflagen für Bauteile im Schienenverkehr gerecht wird, befindet sich im schleswig-holsteinischen Neumünster – inzwischen ist dort die Produktion von Ersatzteilen aufgenommen worden. Seit die DB sich mit 3D-Druck befasst, wurden bereits über 30 000 Teile in über 500 verschiedenen Anwendungen umgesetzt. „Die Bandbreite ist immens: Sie reicht von Ersatzteilen für Züge bis hin zu Bauteilen für die Infrastruktur wie für den Oberbau oder Stellwerke“, erläutert Stefanie Brickwede, Leiterin des Konzernprojekts 3D-Druck bei der DB und darüber hinaus Geschäftsführerin von Mobility goes Additive. Der Expertin zufolge eigneten sich für digitale Warenlager insbesondere jene Teile, die kaum Lagerumlauf haben und recht selten ersetzt werden müssen – und nicht selten auch nie mehr eingesetzt werden. Oder auch Teile, die aufgrund großer Mindestabnahmemengen regelmäßig in Massen auf Lager gelegt werden müssen, „da sie sonst schlichtweg nicht beschaffbar sind“, so Brickwede.

Hohe Anforderungen an unterschiedliche Materialien
Die Normen und Standards, die im 3D-Druck berücksichtigt werden müssen, hängen zum einen von branchenspezifischen Vorgaben ab. Darüber hinaus bringt die konkrete Verwendung eines Moduls unterschiedliche Anforderungen an das Material, die Bruch- und Reißfestigkeit oder auch an die Temperaturbeständigkeit mit sich. Bei der DB werden diese Vorgaben zumeist durch die Bauartverantwortung vorgegeben, die auch für die Freigaben von Ersatzteilen zuständig ist. Zusätzlich können Arbeitsschutzvorschriften ins Spiel kommen, die bei der Fertigung ebenfalls zu beachten sind. „Bei der Bahn finden vorrangig Kunststoff- und Metallteile als additiv hergestellte Bauteile Anwendung, wobei der Kunststoffanteil deutlich überwiegt. Künftig denkbar sind aber auch der Ersatz mittels industriellem 3D-Druck von Bauteilen anderer Materialien wie Kupfer, Buntmetalle, Keramik oder auch der Druck von Beton für DB Station & Service“, berichtet Brickwede.

Ersatzteil-Shopping auf Knopfdruck
Ein digitales Warenhaus funktioniert im Grunde ähnlich wie ein Onlineshop: Zuvor eingestellte Bauteile können dort per Klick abgerufen werden. Idealerweise sind die Systeme an betriebliche ERP (Enterprise Resource Planning)-Umgebungen andockbar, sodass die Unternehmen in ihren betrieblich geübten Abläufen und Systemen verbleiben können. Weitere Vorteile der 3D-Druck-basierten Ersatzteilbereitstellung sind optimierte Durchlaufzeiten und geringere Logistikkosten. Zudem können Vorratsbestände drastisch reduziert werden. Dazu Brickwede: „Aktuelle Studien gehen davon aus, dass bis zu 10 % der Lagerbestände additiv herstellbar sind und nicht bevorratet werden müssen.“ Zusätzlich unterstützt ein digitales Warenhaus dabei, die Teileverfügbarkeit zu erhöhen und flexibler auf ungeplante Lieferengpässe reagieren zu können – hier kommt das Schlagwort digitale „Just-in-Case“-Lagerhaltung zum Tragen. Bei einer Bestellung kommt dann das Bauteil binnen weniger Tage beim Kunden an.

Teiledruck in wenigen Minuten
Der eigentliche Fertigungsprozess für die digitalen Warenlager läuft wie folgt ab: An erster Stelle steht das „Befüllen“ des digitalen Warenhauses, wozu geeignete Teile aus dem aktuellen Inventar identifiziert werden. Im zweiten Schritt werden diese Teile dann für eine additive Fertigung digitalisiert und technisch aufbereitet. Am Ende stehen die Dokumentation und Ablage der Druckfreigaben, um baugleiche Reproduzierungen zu gleichen Vorgaben und Eigenschaften für die Zukunft zu ermöglichen. Die Druckzeiten variieren je nach Wahl des Verfahrens, der Bauteilgröße, des verwendeten Materials, der Maschine und der Druckparameter stark: Die Bandbreite reicht von Minuten bis hin zu einigen Stunden. 3D-Druck-Expertin Stefanie Brickwede betont, dass Bauteile in der Regel binnen weniger Tage beim Kunden vor Ort sind – „sobald ein voll funktionsfähiges digitales Warenlager aufgesetzt ist“.

Digitale Warenlager auch in Cottbus und Bremen
Der zentrale Vorteil eines digitalen Warenlagers besteht darin, dass es grundsätzlich überall zu jeder Zeit aufgebaut werden kann und verfügbar ist. „Unsere Kapazitäten in der Eigenfertigung nutzen wir künftig bei sehr akuten Lieferengpässen der Ersatzteile, z. B. wenn der gewartete Zug binnen weniger Tage das Werk wieder verlassen soll, sofern wir eine geeignete Umsetzung gewährleisten können“, so Brickwede. Zusätzlich greife die DB aber auch weiterhin auf ihr bestehendes Partnernetzwerk an 3D-Druck-Dienstleistern zurück und könne dadurch viel mehr Bauteile additiv umsetzen. Die Wahl der Standorte mit Eigenfertigung spielen für den 3D-Druck daher im Grunde keine übergeordnete Rolle. Bei der DB steht dennoch fest: Auf das norddeutsche Werk sollen weitere konzerneigene Standorte zur additiven Fertigung in Cottbus und Bremen folgen. Laut DB wird damit „einer Schlüsseltechnologie in Zeiten von Lieferengpässen und Rohstoffmangel“ der Weg bereitet. „Unsere Züge sollen für unsere Kunden rollen und nicht in der Werkstatt stehen“, schlussfolgert Vorstandsmitglied Daniela Gerd tom Markotten. Das Prinzip des digitalen Warenlagers leistet hierzu einen wichtigen Beitrag. (bf)

Artikel Redaktion Eurailpress
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