Mammutkonzern Alstom vollendet – Bahnmarke Bombardier verschwindet
Schneller als erwartet verkündete der französische Alstom-Konzern zum 29. Januar 2021 die Vollendung seiner Übernahme der Bahnsparte des kanadischen Mischkonzerns Bombardier. Es entsteht der weltgrößte Bahnkonzern nach dem chinesischen Umsatzführer CRRC.
Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager
Unter dem Leitmotiv „Alstom in Motion“ hat der neu aufgestellte Konzern nach eigenen Angaben einen kombinierten Pro-forma-Umsatz von etwa 15,7 Milliarden Euro und einen Auftragsbestand von 71,1 Milliarden Euro. 75.000 Mitarbeiter in weltweit 70 Ländern ermöglichen, ein umfassendes Portfolio aus bahntechnischen Produkten und Lösungen anzubieten. Der Übernahmepreis für Bombardier Transportation wird mit 5,5 Milliarden Euro angegeben. „Der Bahntechnik-Markt wird bis 2025 voraussichtlich jährlich um 2,3 Prozent wachsen“, heißt es in einer Alstom-Erklärung.
Daher sei zunächst an keine Kündigungen gedacht: „Die Angestellten von Bombardier Transportation gehören ab dem 29. Januar 2021 zur Alstom-Gruppe. Diese neuen Talente werden Alstoms Profil auf allen Ebenen bereichern und mit den Alstom-Angestellten ein agiles, inklusives und verantwortungsvolles Team bilden.“ Allerdings, so Alstom-CEO Henri Poupart-Lafarge zu gewerkschaftlichen Forderungen, könne er keine dauerhaften Bestandsgarantien für Jobs exklusiv in Deutschland abgeben, weil das eine Diskriminierung der Beschäftigten an anderen Standorten sei.
In der Unternehmens-Erklärung heißt es weiter: „Alstom bleibt bei seinem Ziel, auf Basis der jährlichen Ergebnisse bis zum vierten oder fünften Jahr Kostensynergien in Höhe von 400 Millionen Euro pro Jahr zu generieren und die Gewinnspanne von Bombardier Transportation mittelfristig wieder auf einen Standardwert zu bringen.“ Es werde erwartet, dass „die Transaktion ab dem 2. Jahr nach Übernahmestichtag einen zweistelligen Gewinnzuwachs pro Aktie mit sich bringt und Alstoms starkes Bonitätsprofil mit einem Baa2-Rating bewahrt.“
„Wir tragen die Verantwortung, der Welt die Innovationen bereitzustellen, die erforderlich sind, um diese extremen Herausforderungen zu bewältigen“,
betonte Alstom-CEO Henri Poupart-Lafarge die gesellschaftliche und ökologische Verantwortung der Mobilitätsindustrie. „Zudem verpflichten wir uns, allen Menschen weltweit Zugang zu hochwertigen und effizienten Mobilitätslösungen zu geben, damit sie zur Arbeit kommen oder Freunde und Verwandte besuchen können. Gleichzeitig bekennen wir uns dazu, den Planeten für nachfolgende Generationen zu schützen.“
Mit Vollzug der Transaktion wird die frankokanadische Pensionskasse CDPQ - Caisse de dépôt et placement du Québec - Alstoms Hauptaktionär mit 17,5 Prozent am Aktienkapital. Der bisherige französische Hauptaktionär Bouygues hält jetzt etwa sechs Prozent des Alstom-Aktienkapitals.
EINE TRANSAKTION, DREI BLICKWINKEL: KANADA
Mit einem Schuss Wehmut wurde die Meldung in Kanada aufgenommen. Sicher, die finanzielle Schieflage des Bombardier-Konzerns erforderte Veränderungen. Auch kündigte Alstom an, das operative Geschäft in der Region vom neuen Hauptsitz von Alstom Amerika in Montreal, Quebec, zu führen. Außerdem soll ein „Centre of Excellence für Design und Engineering“ entstehen, „das von den Stärken Quebecs in den Bereichen Innovation und nachhaltige Mobilität profitieren wird“. Doch kann das die bisherige Bedeutung des Konzerns für die frankokanadische Region ersetzen?
„Trotz allem wird sein Abenteuer im Schienenfahrzeugsektor die Industrielandschaft von Quebec prägen“, versicherte „La Presse Canadienne“ in einem Rückblick auf die Bahn-Entwicklung Bombardiers in den letzten 50 Jahren. In der Tat ein Abenteuer: Der Flugzeugkonzern habe damals wichtige Aufträge unter anderem für U-Bahnen übernehmen wollen, ohne zunächst eigene Expertise zu haben. Also habe sich Bombardier an lokale mittelständische Unternehmen gewandt, „die nach und nach Fachwissen erwarben, das es ihnen ermöglichte, ihren Horizont zu diversifizieren und zu erweitern“. So entstanden, angestoßen durch Bombardier, regionale Kompetenzcluster, die inzwischen auch anderen öffentlichen Verkehrsunternehmen zuliefern. Jetzt gibt es Arbeitsplatzsorgen unter anderem am Produktionsstandort La Pocatière, wo zu besten Bombardier-Zeiten über 1.400 Mitarbeiter werkten.
REICHSHOFFEN UND TER REGIOLIS
Im Mutterland Frankreich wird die Erstarkung des Alstom-Konzerns allgemein begrüßt. Diese Fusion werde viel ruhiger vor sich gehen als die geplant gewesene Fusion Alstom-Siemens, die 2019 durch die Europäische Kommission abgelehnt wurde, konzedierte „Le Monde“. Denn die zunächst angesteuerte Lösung wäre durch eine „Zweideutigkeit“ belastet gewesen: „Der Chef wird Franzose sein, Alstoms Henri Poupart-Lafarge, aber in deutscher Hand, Siemens besitzt 50 Prozent des Ganzen.“ Jetzt bleibe der Franzose Herr im eigenen Haus.
Die Alstom-Führung freut sich, dass sie sich jetzt das große Bombardier-Werk im französischen Crespin (Nord) eingliedern kann, das seit Jahrzehnten Vorort- und Regionalzüge herstellt. Das stärkt die eigene Marktposition. Verkaufen muss Alstom hingegen – so wurde es der Europäischen Union im Gegenzug für die Genehmigung der Fusion versprochen - das Reichshoffen-Werk (Bas-Rhin) sowie die Produktion der dort angesiedelten TER Regiolis-Züge. Alstom bestätigte inzwischen, dass für den Kauf des Werks „privilegierte Verhandlungen“ mit dem tschechischen Bahnhersteller Škoda Transportation geführt werden. Nicht gewünscht ist bei Alstom offenbar der Verkauf an den anderen Interessenten, die spanische CAF-Gruppe.
Dazu hatte bahn manager in seiner Ausgabe 6/2020 berichtet: „Die Tschechen seien auf dem französischen Markt ein weniger gefährlicher Konkurrent als die Basken. Genau deshalb präferieren die Gewerkschaften in Reichshoffen jedoch den Verkauf an CAF — dieses Unternehmen sei durch einen ersten Großauftrag für die SNCF bereits in Frankreich aktiv, was ihre Arbeitsplätze sicher mache. Škoda sollte bereits 2017 durch den chinesischen Weltkonzern CRRC übernommen werden, was nur an übertriebenen Forderungen der Chinesen an den tschechischen Staat scheiterte. In der Zukunft könnte der jetzige Eigentümer Petr Kellner Škoda an CRRC verkaufen, dann wären die Chinesen durch die Hintertür doch in Frankreich.“
Tatsächlich ist der reichste Tscheche dafür bekannt, dass er über seine PPF-Gruppe in eine Reihe von Branchen von Telekommunikation bis Biotechnologie investiert und dabei immer wieder Unternehmen kauft und verkauft. Im Jahr 2002 kaufte Kellners PPF das Fernsehunternehmen TV Nova, stabilisierte es und verkauft es 2005 an das Medienunternehmen CME. Im Oktober 2020 kaufte Kellner die gesamte CME für 1,84 Milliarden Euro und ist jetzt auch wieder Eigentümer von TV Nova. 2006 verkaufte die PPF-Gruppe eBanka an die österreichische Finanzgruppe Raiffeisen. Im Jahr 2011 kaufte PPF zusammen mit der KKCG-Investmentgruppe Karel Komárek Sazka. Ein Jahr später verkaufte PPF seinen Anteil jedoch an Komárek – und so weiter. Seine umfangreichen Geschäfte in China brachten Kellner dazu, eigene Lobbyisten dafür zu bezahlen, in Tschechiens Öffentlichkeit für ein China-günstiges Klima zu werben, geriet dadurch aber in schweres Schlagwasser.
Kellner hatte ein Memorandum of Cooperation mit dem chinesischen Technologieunternehmen Huawei unterzeichnet, welches den Aufbau des 5G-Netzwerks in Tschechien durch Huawei über die PPF-dominierten Unternehmen CETIN und Telco anvisierte. CETIN betreibt das größte Daten- und Kommunikationsnetz der Tschechischen Republik, verwaltet das mobile Zugangsnetz, das Backbone-Netz aus optischen und metallischen Kabeln, und bietet eine Abdeckung der Republik mit 2G-, 3G- und 4G-LTE-Netzen.
Doch das tschechische staatliche Sicherheitsbüro NÚKIB identifizierte Huawei als Sicherheitsrisiko für den Staat. Ende 2019 erklärte der staatliche Sicherheitsinformationsdienst Bezpečnostní informační služba (BIS), die Aktivitäten chinesischer Geheimdienste in Tschechien überstiegen inzwischen das Niveau der russischen Geheimaktivitäten. Der tschechische Online-Informationsdienst a2larm.cz formulierte plakativ: „Staatsfeind Petr Kellner“.
HENNIGSDORF UND TALENT
Zu derartigen möglichen Implikationen haben sich deutsche Gewerkschafter bislang nicht öffentlich geäußert. Die Bezirksleiterin der IG Metall für Berlin und Brandenburg Birgit Dietze begrüßte die Fusion Alstom-Bombardier und erklärte: "Jetzt steht für uns die Erwartung an zukunftssichere Arbeitsplätze und Standorte im Fokus. Hier sollte das neue Unternehmen schnell Klarheit schaffen." Öffentliche Auftragsvergaben sollten zukünftig mit einem klaren Bekenntnis zum Standort Deutschland verknüpft werden. Entsprechend den Absprachen mit der EU muss Alstom in Deutschland die Produktionslinie für den Regionalzug Talent verkaufen, die im Werk Hennigsdorf bei Berlin angesiedelt ist. Das betrifft etwa 200 Mitarbeiter*innen. Auch hier, so Alstom, sei Škoda Transportation privilegierter Verhandlungspartner.
Zum weiteren Procedere heißt es in der Alstom-Erklärung: „Alstom wird den Verkauf bestimmter Assets der kombinierten Gruppe fortsetzen und abschließen, in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen, die in der Presseerklärung der Europäischen Kommission vom 31. Juli 2020 beschrieben sind. Die Veräußerungen werden im Einklang mit allen anwendbaren gesellschaftlichen Prozessen und unter Einbeziehung der Angestelltenvertretungen erfolgen.“