Die Rückkehr der Stadtbahn in Kiel
Im November 2022 entschieden die Kieler Abgeordneten, dass das Vorhaben, eine neue Stadtbahn auf die Gleise zu bringen, weiter vorangetrieben werden soll. Läuft alles nach Plan, nimmt die erste Tramlinie schon zwischen 2033 und 2034 ihren Betrieb auf.
Dieser Artikel enstammt der bahn manager-Ausgabe 03/2023.
Von Barbara Feldmann
Das Prinzip Schiene ist den Kielern nicht fremd: Mehr als hundert Jahre fuhr eine Stadtbahn durch die nördlichste Großstadt der Bundesrepublik. Ihre Jungfernfahrt machte sie 1881, bereits 1896 wurde die Bahn elektrifiziert, bis sie 1985 schließlich aufgrund des sanierungsbedürftigen Gleisnetzes stillgelegt wurde. In wenigen Jahren sollen in Kiel wieder Bahnen über Gleise rollen. „Mit der neuen Stadtbahn korrigiert die Landeshauptstadt einen historischen Fehler“, so Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer. Die Mobilitätswende mit dem Neubau einer Tram enorm voranzubringen, sei für die Kieler Stadtentwicklung eine riesige Chance, die „nur vergleichbar mit den Olympischen Segelwettbewerben 1972 ist.“ Im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Kiel äußerte die Kieler Stadtbaurätin Doris Grondke: „Die Planung und der Bau einer Stadtbahn ist mehr als ein reines Mobilitätsprojekt: Es ist ein gesamtes Stadtgestaltungs- und Stadtentwicklungsprojekt.“
Trassenstudie fällt pro Bahn aus
Der Entscheidung, an die Mobilitätsgeschichte anzuknüpfen und erneut schienengeführte Nahverkehrsangebote zu etablieren, ging ein umfassendes Prüfungsverfahren voraus. „Es wurden unterschiedliche Systeme betrachtet, die für Kiel in Frage kommen könnten, um den öffentlichen Verkehr in seiner Attraktivität deutlich zu steigern“, erläutert Christoph Karius, Leiter der Stabsstelle Mobilität der Landeshauptstadt Kiel. So wurde – aufbauend auf der 2019 abgeschlossenen Grundlagenstudie „Mobilitätskonzept für einen nachhaltigen Öffentlichen Nah- und Regionalverkehr in Kiel“ – im Zeitraum von zwei Jahren bis Ende 2022 eine Trassenstudie erstellt. Im Zuge der Untersuchungen wurden zwei unterschiedliche Ansätze betrachtet: Stärken und Nachteile einer Stadtbahn wurden mit den Vorzügen und Schwächen eines Bus-Rapid-Transit (BRT)-Systems verglichen. „Grundsätzlich können sowohl ein BRT mit Doppelgelenkbus als auch eine Tram für deutliche Kapazitätssteigerungen sorgen“, erläutert Karius. Um zu entscheiden, welches Verkehrsmittel für Kiel das geeignetere ist, wurden insgesamt 46 Bewertungskriterien definiert und ausgewertet. Dabei fielen zentrale Aspekte wie Nutzerfreundlichkeit, Investitions-, Betriebs- und Lebenszykluskosten, volkswirtschaftlicher Nutzen, Förderfähigkeit, Realisierungszeitraum, Vereinbarkeit mit den Zielen der Stadt- und Verkehrsentwicklung, Kapazitätsreserven sowie Umweltverträglichkeit ins Gewicht. Die Analyse und Bewertung dieser Kriterien erfolgte in Zusammenarbeit mit dem aus Dänemark stammenden Ingenieur- und Planungsbüro Ramboll und im engen Dialog mit der Kieler Bürgerschaft. Das Ergebnis der Studie: Technisch und organisatorisch sind beide Systeme in Kiel umsetzbar. Die schienengebundene Lösung konnte sich allerdings durch einige markante Vorteile von einem BRT-System abheben. „Hierzu zählen neben einer grundsätzlich besseren Förderfähigkeit von SPNV-Projekten unter anderem auch die fehlenden Kapazitätsreserven“, sagt Karius von der Stadt Kiel.
Schiene auch auf lange Sicht kosteneffizienter
Dass der Bund zum aktuellen Zeitpunkt eine Stadtbahn fördern würde, die Einführung eines BRT-Busbetriebs hingegen nicht, war ein schlagkräftiges Argument, das auch die Ratsversammlung überzeugte. Schließlich können für Infrastrukturkosten schienengebundener Mobilitätsprojekte wie die Kieler Stadtbahn nach Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) Förderungen von bis zu 90 Prozent erwirkt werden. Doch nicht nur im Hinblick auf die Anfangsinvestitionen, sondern auch mittel- und langfristig ist der Betrieb des schienengebundenen Systems laut Trassenstudie wirtschaftlicher. Dass die finanziellen Aufwände im BRT-Betrieb vor allem durch den höheren Personalbedarf entstehen, hebt einen zusätzlichen Vorteil hervor: Der herrschende Nachwuchs- und Fachkräftemangel kann durch ein schienengebundenes ÖPNV-System besser kompensiert werden. Ein weiteres Argument, das schließlich zur Entscheidung pro Tram führte, waren die größeren Erweiterungsoptionen, insbesondere im Hinblick auf die Kapazität entlang der nachfragestärksten Korridore, die ebenfalls bereits während der Trassenstudie ermittelt werden konnten.
Positiver volkswirtschaftlicher Nutzen erwartet
Die Wirtschaftlichkeitsprognose für die neue Stadtbahn ist durchaus vielversprechend. „Wir haben einen positiven Kosten-Nutzen-Faktor von 1,47 ermittelt“, erläutert Nils Jänig, der als Verkehrsplaner und Berater für Ramboll tätig ist. Er begleitet das Kieler ÖPNV-Projekt von den ersten Prüf- und Planungsschritten an und war damit auch maßgeblich an der Trassenstudie beteiligt. „Im Klartext bedeutet das: Wir erwarten für jeden Euro, der in das neue Nahverkehrskonzept investiert wird, einen volkswirtschaftlichen Nutzen von 1,47 Euro“, erklärt Jänig. Laut Prognose wird die Gesamtinvestitionssumme bei rund 1,1 Milliarden Euro liegen – hier sind Folgekostenmaßnahmen im Straßenbau sowie umfassende Mittelkalkulationen für den Betriebshof und die Betriebshofstrecke bereits berücksichtigt. Nun besteht Jänig zufolge noch die Frage, inwiefern das Land die notwendigen Komplementärmittel von 15 Prozent bereitstellen kann. „75-15-10 – 75 Prozent Bund, 15 Prozent Land, 10 Prozent Kommune. Das ist die klassische Finanzierungsaufteilung“, so der Ramboll-Berater. Für Kiel bliebe damit also ein Zehntel der förderfähigen Investitionen – plus die Kosten für sämtliche Module und Maßnahmen, die nach aktueller Gesetzeslage nicht gefördert werden, zum Beispiel die Fahrzeuge.
Drei Linien plus Verstärker für Nachfragespitzen
Mit einem Kernnetz aus vier Linien wird die Stadtbahn das Herz der neuen Kieler ÖPNV-Infrastruktur sein. Die in Modellrechnungen ermittelten Nutzungsdynamiken sowohl zu Rand- als auch zu Stoßzeiten brachten die Verkehrsplaner zu dem Schluss, dass neben den drei Hauptlinien zusätzlich eine vierte Verstärkerlinie ihren Betrieb aufnehmen soll. Aktuell ist geplant, dass Linie 1 von der Fachhochschule Kiel im mittleren Osten der Stadt mit Halt an der Universität nach Suchsdorf im Nordwesten verläuft, Linie 2 vom südöstlichen Stadtteil Elmschenhagen in den Norden nach Wik führt, Linie 3 von Mettenhof im Südwesten nach Neumühlen-Dietrichsdorf fährt. Jede der vier Linien passiert den Hauptbahnhof und damit das Stadtzentrum. Linie 4 verstärkt den mittleren Streckenabschnitt sämtlicher Linien mit Ausläufern zur Linie 1 und Linie 2. Im Zuge der ersten Inbetriebnahmestufe soll die Linie 1 Universität – Wellingdorf aufgrund ihres besonderen verkehrlichen Nutzens, ihrer Bedeutung als innerstädtische Stammstrecke und zur Sicherstellung der Zufahrt zum geplanten Betriebshof idealerweise bereits im Zeitraum zwischen 2033 und 2034 den Betrieb aufnehmen. Bei allen Stadtbahnlinien wird der angedachte Grundtakt an Werktagen in der Hauptverkehrszeit bei zehn Minuten liegen.
Elektrifizierungskonzept noch nicht final
Die Stadtbahntrasse wird durchgehend zweigleisig gebaut, ihre Elektrifizierung soll grundsätzlich über eine konventionelle Oberleitung mit 750-Volt-Gleichspannung erfolgen. Nach derzeitigem Planungsstand sollen oberleitungsfreie Strecken wenn möglich vermieden werden. Der Grund: Die erhöhte Fahrzeugmasse, die sich aus der lediglich für diese Abschnitte benötigten zusätzlichen Ausrüstung wie etwa einem Akkumulator ergäbe, würde die Anforderungen an den physischen Ausbau der gesamten Trasse erhöhen. Wie aus der Trassenstudie hervorgeht, gibt es allerdings an spezifischen Streckenabschnitten benachbarte technische Anlagen, die durch das elektromagnetische Feld einer oberleitungsgeführten Straßenbahnbahn erheblich beeinträchtigt werden könnten. Inwiefern eine Verlegung oder Abschirmung der betroffenen Anlagen diese Problematik lösen kann, soll nun in vertiefenden Planungsschritten ermittelt werden. Um neben diesen funktionalen Anforderungen eine harmonische Einbindung der Gleisanlagen in das Stadtbild zu gewährleisten, soll der Oberbau grundsätzlich als Rasengleis ausgeführt werden. Hinzu kommt eine weitgehende Begleitung der Trasse durch separate Fahrradwege.
Die Vorplanungen laufen noch bis Ende 2024, dann beginnt die Entwurfs- und Genehmigungsphase, bis es schließlich in die heiße Bauphase geht. Bis dahin soll Personal aufgebaut, eine Gesellschaft zur Durchführung der nun anstehenden Realisierungsphasen gegründet und die Finanzierungsfragen abschließend geklärt werden.