Ökostrom, Digitalisierung, Hifen für ÖPNV und Bahn: Bahnverbände loben Konjunkturprogramm
Abends am 3. Juni 2020 beschloss der Koalitionsausschuss der Regierungsparteien CDU/CSU und SPD ein Konjunkturprogramm im stattlichen Umfang von 130 Milliarden Euro, davon betreffen etwa 50 Milliarden Euro den Verkehrssektor. Die EU signalisierte bereits Zustimmung, breites Lob äußern auch Verkehrs- und Bahnverbände sowie die Tarifpartner.
Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager
Das Konjunkturprogramm enthält Kapitel aus den Zuständigkeiten mehrerer Ministerien. Unter der Überschrift „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“ wird der tierfreundliche Stallumbau gefördert, Erhalt und nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder sind ebenso abgedeckt wie die nationale Herstellung und Bevorratung von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie Investitionen in einen Corona-Impfstoff und das Krankenhaus- und Gesundheitswesen. Breite Bevölkerungskreise werden von Stichpunkten profitieren wie Einmaliger Kinderbonus, Kurzarbeitergeld, Überbrückungshilfen, Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende, Auszubildendenförderung, Ausbau von Kinderkrippen, Kitas, Krippen und Gesamtschulen. Ab dem 1. Juli können sich alle Bürger*innen freuen über die auf sechs Monate befristete Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16 respektive von sieben auf fünf Prozent.
FORDERUNGEN DES SEKTORS AUFGEGRIFFEN
Die Bahn- und Verkehrsbranche wartete vor allem gespannt auf die sie betreffenden Kapitel. Hier sind wichtige Forderungen des Sektors aufgegriffen. Im Schlussdokument des Koalitionsausschusses heißt es unter anderem: „Der Bund wird eine Bundesrahmenregelung erarbeiten, die es den Ländern erlauben soll, ÖPNV-Unternehmen zum Ausgleich der stark verringerten Fahrgeldeinnahmen Beihilfen zu gewähren. Dafür ist eine Notifizierung durch die EU-Kommission erforderlich. Der Bund wird die Länder im Jahr 2020 bei der Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) unterstützen, da durch die Corona-Pandemie die Fahrgeldeinnahmen stark verringert sind. Dies erfolgt durch die einmalige Erhöhung der Regionalisierungsmittel in Höhe von 2,5 Milliarden Euro in 2020.“
Im Kapitel Mobilität wird unter anderem formuliert: „Der Bund hat bereits im Rahmen des Klimaschutzprogramms 2030 beschlossen, sich von 2020 bis 2030 jährlich mit 1 Mrd. Euro zusätzlichen Eigenkapitals an der Deutschen Bahn zu beteiligen. Dadurch wird die Deutsche Bahn in die Lage versetzt, zusätzliches Kapital in die Modernisierung, den Ausbau und die Elektrifizierung des Schienennetzes und das Bahnsystem zu investieren. Um dieses Ziel auch angesichts der Corona-bedingten Einnahmeausfälle weiter realisieren zu können, wird der Bund weiteres Eigenkapital in Höhe von 5 Mrd. Euro zur Verfügung stellen. Damit der Mobilfunk-Empfang entlang der 39.000 km Schienenwege in Deutschland deutlich verbessert werden kann, müssen die Zugendgeräte modernisiert werden (Umrüstung auf GSM-R). Der Bund wird dazu in 2020 und 2021 die nötige Umrüstung bei den 450 zugelassenen Eisenbahnverkehrsunternehmen noch stärker unterstützen.“
WASSERSTOFF, 5G, DIGITALISIERUNG
Um den Ausbau der Erneuerbaren Energien weiter zu forcieren, wird kurzfristig eine „Nationale Wasserstoffstrategie“ erarbeitet, welche auch „außenwirtschaftliche Partnerschaften“ umfasst. Ferner „wird der Deckel für Photovoltaik unmittelbar abgeschafft und das Ausbau-Ziel für die Offshore-Windkraft von 15 auf 20 GW in 2030 angehoben. Die Länder erhalten die Möglichkeit, zur Steigerung der Akzeptanz von Windkraft-Anlagen Mindestabstände von 1.000 Metern gesetzlich festzulegen. Darüber hinaus wird eine Möglichkeit geschaffen, mit der Kommunen und Anwohner stärker von den finanziellen Erträgen der Windkraft profitieren.“ Ausführlich werden Förderung im Glasfaser-Breitbandausbau angekündigt, zur Schaffung eines flächendeckenden 5G-Netzes bis 2025, zum Digitalisierungsschub und dem Ausbau der Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI).
Interessant ist, dass die Digitalisierungsexpert*innen der Regierung auch jenseits der großen Finanzzahlen inhaltliche Eckpunkte setzen konnten. So wird die „Bedeutung von Software in der Netzsteuerung“ beim 5G-Ausbau unterstrichen: „Dies eröffnet uns die Chance, unsere digitale Souveränität und zugleich die Innovationskraft unserer Unternehmen zu stärken. Deshalb werden wir innovative Unternehmen bei der Entwicklung und Erprobung neuer, softwaregesteuerter Netztechnologien gezielt fördern… Zudem wollen wir die rasche Erarbeitung und Durchsetzung von offenen Standards (openRAN) auf europäischer Ebene unterstützen.“
FÖRDERUNG DER E-MOBILITÄT
Ein ausführliches Kapitel betrifft erwartungsgemäß die Mobilität auf der Straße. Hier setzten sich die Sozialdemokraten durch - die staatliche, jetzt verdoppelte „Innovationsprämie“ für einen Pkw-Neukauf soll nur für elektrische Fahrzeuge, nicht für Diesel-und Benzin-Pkw gelten. Die Kfz-Steuer für Pkw wird stärker an CO2-Emissionen ausgerichtet. Zusätzliche 2,5 Milliarden Euro gehen „in den Ausbau moderner und sicherer Ladesäulen-Infrastruktur, die Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der Elektromobilität und die Batteriezellfertigung, unter anderem in weitere mögliche Standorte.“ Förderung sollen auch moderne, umweltverträglichere Schiffe und Flugzeuge erhalten.
Zu Bus und Lkw heißt es in dem Beschlusspapier: „Der Bund investiert in ein „Bus-und LKW-Flotten-Modernisierungs-Programm“, das privaten und kommunalen Betreibern zur Förderung alternativer Antriebe gleichermaßen offen steht. Um die Nachfrage nach E-Bussen zu erhöhen und den Stadtverkehr umweltfreundlicher zu machen, wird außerdem die Förderung für E-Busse und deren Ladeinfrastruktur bis Ende 2021 befristet aufgestockt. Die Bundesregierung wird sich bei der EU-Kommission dafür einsetzen, dass ein befristetes europaweites Flottenerneuerungsprogramm 2020/21 für schwere Nutzfahrzeuge zur Anschaffung von LKW der neuesten Abgasstufe Euro VI aufgelegt wird. Es soll einen Zuschuss beim Austausch von Euro 5-LKW von 15.000 Euro vorsehen, beim Austausch von Euro 3 oder Euro 4-Fahrzeugen von 10.000 Euro.
Der vollständige Wortlaut der Beschlüsse ist nachzulesen unter diesem LINK:
https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Sonstiges/20200603_Eckpunkte_Konjunkturpaket.pdf
VERBÄNDE LOBEN DAS KONJUNKTURPROGRAMM
„Ein Lob“ verdient das Konjunkturpaket der Bundesregierung nach Meinung des DVF-Präsidiumsvorsitzender Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner. Der Präside des Deutschen Verkehrsforums sprach von einem „großen Hilfspaket“ und formulierte: „Es zeigt, dass die Koalition diese nie dagewesene Krise sehr ernst nimmt, schnell handelt und vor allem der Wirtschaft und damit allen Bürgern eine Chance zum Neuanfang ermöglicht. Aus Sicht der Mobilitätswirtschaft begrüßen wir besonders die Investitionen in Zukunftstechnologien, Digitalisierung und Infrastruktur. Dies hilft der gesamten Wirtschaft, und es hilft beim Klimaschutz. Planungsbeschleunigung und Entbürokratisierung sind extrem wichtige Punkte, und wir hoffen, dass sie jetzt mit Nachdruck umgesetzt werden - auch auf EU-Ebene. Das Vorziehen von Investitionen, vereinfachte Vergabeverfahren usw. helfen dabei, die wirtschaftlichen Impulse schnell zu setzen, und darauf kommt es an. Für die Unternehmen und Nutzer der Mobilität sind die kurzfristigen steuerlichen Erleichterungen wie Mehrwertsteuersenkung, Aufschub der Fälligkeit der Einfuhrumsatzsteuer oder die Erweiterung des steuerlichen Verlustrücktrags für 2020 und 2021 gute Maßnahmen."
Klinkner weiter: "Der Bund investiert mit dem Konjunkturpaket auch in die Zukunft unseres Landes. Die bereits vor der Coronakrise als wichtig erkannten Zukunftsfelder werden gestärkt. Richtige Pfade müssen weiter gegangen werden, so etwa bei der Senkung der Stromkosten, bei der Planungsbeschleunigung oder bei der Umstellung der Einfuhrumsatzsteuererhebung auf ein Verrechnungsmodell. Gleichwohl wurden in der Kürze der Zeit gute Impulse gegeben. Nicht vergessen werden sollte, dass es für die Umsetzung Personal braucht. Die gegenwärtige Krise birgt auch eine Chance, die vielen offenen Stellen in Ämtern und Genehmigungsbehörden tatsächlich zu besetzen."
Auch die Allianz pro Schiene und der Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) e.V. begrüßen das Konjunkturprogramm der Koalition. „Das Konjunkturpaket ist ein wichtiger Beitrag, um der klimafreundliche Schiene durch die Krise zu helfen und sie für die Zukunft zu stärken“, sagte Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene. VDB-Hauptgeschäftsführer Dr. Ben Möbius betonte: „Das Konjunkturpaket stärkt die Schiene in der Krise und schafft damit die Basis für klimafreundliches Wachstum und die nachhaltige Mobilität der Zukunft.“
Die einmalige Erhöhung der Regionalisierungsmittel in Höhe von 2,5 Milliarden Euro in 2020 sei in diesem Zusammenhang ein richtiger Schritt, unterstrich der stellvertretende Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert. „Mit diesen Geldern kann zumindest ein teilweiser Ausgleich für die drastisch zurückgegangenen Fahrgastzahlen geleistet werden. Das ist ein gutes Signal für die Branche und auch für die Beschäftigten.“ Dem stimmen Allianz pro Schiene und VDB zu. Wichtig sei nun, dass die Länder zusätzlich den gleichen Betrag beisteuern. Der ÖPNV-Rettungsschirm sichere einen qualitativ hochwertigen, klimafreundlichen Nahverkehr für die Zukunft. Auch die Entlastung der Kommunen durch Kompensation der krisenbedingten Ausfälle der Gewerbesteuereinnahmen erzeuge Planungssicherheit für den Nahverkehr und Infrastrukturprojekte.
UMWELTHILFE UND FDP: JA, ABER…
Barbara Metz, Stellvertretende Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe (DUH), bewertete die „überfällige Ankündigung“ positiv, die Kfz-Steuer stärker nach CO2-Ausstoß zu gestalten und den aktuellen Flottengrenzwert als Maßstab zu nehmen. Die „vollständige Befreiung von E-Fahrzeugen von der Kfz-Steuer ohne jegliche Differenzierung“ sei hingegen nicht im Sinne einer Verkehrswende: „Gerade die Modelle deutscher Hersteller sind groß, schwer, beanspruchen viel Platz im öffentlichen Raum und sollten dafür ihren Anteil zahlen. Wichtig wird sein, die nun beschlossene zusätzliche Förderung der Deutschen Bahn dauerhaft auszubauen und auch andere Anbieter von öffentlichem Personenverkehr und Güterverkehr auf der Schiene einzubinden.“
„Schnellen Handlungsbedarf“ sieht der EVG-Vize Martin Burkert im Schienengüterverkehr. „Während der Pandemie ist noch einmal ganz deutlich geworden, wie wichtig der internationale, länderübergreifend Güterverkehr auf der Schiene ist. Jetzt müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit der Schienengüterverkehr nicht zum Verlierer der Krise wird“, stellte Burkert fest. Gefragt sei hier nicht nur Deutschland, das Thema müsse in Europa vorangetrieben werden. Dies müsse Deutschland im Zuge der Ratspräsidentschaft auf die Tagesordnung setzen.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete und Obmann im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages, Torsten Herbst, bemängelte erneut, es sei nach wie vor „unklar, wie hoch der Finanzbedarf bei der Deutschen Bahn aufgrund der Einnahmeausfälle in der Corona-Krise wirklich ist. Und dennoch sieht die Bundesregierung weder eine unabhängige Prüfung und Kontrolle noch Bedingungen für die Finanzhilfen vor. Ein solcher Blanko-Check für den DB-Konzern sendet ein fatales Signal. Die schwarz-rote Koalition wäre daher nun gut beraten, die Bahn-Subventionen an klare Auflagen zu knüpfen. Dazu sollten eine grundlegende Organisationsreform, eine Verschlankung des Konzerns und ein deutliches Verringern der Auslandsaktivitäten gehören. Zudem muss der Bundesrechnungshof aufklären, welchen Anteil die Corona-Pandemie tatsächlich an den Verlusten des DB-Konzerns hat.“