Robotik für die Bahnindustrie

Industrielle Roboterarme helfen schon heute, komplexe Aufgaben in der Schienenfahrzeuginstandhaltung zu verrichten. Foto: Philipp Richtermeier, DB Fahrzeuginstandhaltung GmbH

Gemütlich zieht er seine Bahnen und macht dabei mit großer Ruhe sauber. Die Rede ist von „­Manni“, dem Reinigungsroboter, der 2022 von der ­Deutschen Bahn AG auf dem Vorplatz des Frankfurter Hauptbahnhofs getestet wird. Er ist groß wie eine Kehrmaschine, lackiert wie die Züge der Deutschen Bahn, aber dennoch fast ein wenig unauffällig. Dabei kündigt er eine kleine Revolution an: den zunehmenden Einsatz von Robotik bei der Bahn. Woran das liegt, wo diese Roboter eingesetzt werden und welche Chancen sie eröffnen, soll in diesem Artikel beleuchtet werden.

Prädestinierte Aufgaben: Dirty, Dull and Dangerous
Roboter sind (teil-)autonome Systeme, welche komplexe Arbeiten verrichten können. Damit sind sie eines von vielen modernen Werkzeugen der Digitalisierung & Automatisierung. Tätigkeiten, für die Roboter insbesondere prädestiniert sind, sind manueller Natur und lassen sich zusammenfassen unter den drei D’s der Robotik: „Dirty“ (dreckig), „Dull“ (eintönig) und „Dangerous“ (gefährlich). Es handelt sich also um jene manuellen Tätigkeiten, bei denen es in vielerlei Hinsicht von Vorteil ist, sie von Robotern unterstützen zu lassen. In vielen Industrien sind Roboter bereits seit langem verbreitet, und es existiert bereits eine große Zahl an Beispielen für hochautomatisierte Fabriken, wie die kürzlich fertiggestellte Gigafactory von Tesla in Grünheide.
In der Instandhaltung von Schienenfahrzeugen und In­frastruktur, also dem Bereich, der in der Bahnindustrie einen großen Teil der Kosten verursacht, spielt Robotik bisher aber eine untergeordnete Rolle. Dies liegt mitunter an den komplexen Aufgaben und der wenig häufigen Wiederholung einzelner Tätigkeiten. Durch zwei maßgebliche Trends werden Roboter aber nun auch sehr relevant für die Instandhaltung.

Aktuelle Trends
Der erste Trend ist die direkte „Mensch-Roboter-Kollaboration“ (MRK), über welche Roboter näher an die Menschen „heranrücken“ können. Große Roboterarme, welche ganze Autos heben können und meist in Fabriken zu finden sind, sind allgemein bekannt. Diese sind aber umzäunt, um jeden Kontakt zu Menschen zu vermeiden und niemanden zu verletzen. Seit einigen Jahren drängen auch kollaborierende Roboter, sogenannte „Cobots“, auf den Markt: Diese sind kleiner, leichter und können in direktem Kontakt zum Menschen arbeiten. Sie verfügen über die entsprechende Sensorik, um Kollisionen mit Menschen zu verhindern oder im Falle einer Kollision richtig zu reagieren. Diese Roboter sind von Grund auf für die Interaktion mit dem Menschen konzipiert: Sie können auch von Hand geführt werden und so sehr intuitiv für neue Aufgaben programmiert bzw. angelernt werden. Eine weitere Form von Robotern, die eng mit dem Menschen zusammenarbeiten können, sind sogenannte aktive Exoskelette. Sie können von Menschen wie Kleidung getragen werden und entlasten bei physischer Arbeit, wie dem Heben von schweren Lasten.
Ein zweiter Trend ist der hin zu mehr Autonomie, gerade im Bereich der mobilen Robotik. Dieser Trend ist getrieben durch Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) und der Sensorik. Kleine und große autonome Vehikel transportieren Güter sowie Personen, reinigen Gebäude und Bahnhofsvorplätze oder laufen und fliegen umher. Der Bereich des autonomen Fahrens ist in dieser Hinsicht noch einmal ein eigener, großer Bereich.
Beide Trends lassen sich auch kombinieren zu mobilen Robotern mit Manipulationsfähigkeiten, einer sehr flexiblen Art der Robotik. Roboter dieser Art können komplexe Aufgaben an unterschiedlichen Orten verrichten, da sie einerseits Roboterarme tragen, aber auch aus einer mobilen Plattform bestehen.
Die genannten Trends führen dazu, dass Roboter auch in komplexen Umgebungen eingesetzt und mit herausfordernden, wechselnden Aufgaben betraut werden können. Gleichzeitig müssen sie nicht mehr in eigenen, umzäunten Bereichen arbeiten, sondern können mit Menschen – ob im Werk, am Bahnhof oder anderswo – Seite an Seite an die Arbeit gehen. Robotik wird so zum starken Effizienzhebel im Bereich manueller Tätigkeiten und ermöglicht Wachstum sowie Durchsatzerhöhung in bestehender Infrastruktur. Beides ist nicht nur wünschenswert, sondern im Sinne einer immer stärkeren Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene zwingend notwendig. Gleichzeitig wirkt der flächendeckende Einsatz von Robotik dem Fachkräftemangel im Zuge des demografischen Wandels entgegen und kann prozesssichere Kontinuität sicherstellen. Bei der Einführung von Robotik handelt es sich dabei auch um einen Change-Prozess. Wird dieser erfolgreich von allen Beteiligten durchgeführt, ergibt sich eine Reihe von Vorteilen für die Mitarbeitenden: Diese reichen von einer höheren Sicherheit bei manuellen Tätigkeiten bis hin zu spannenden, neuen Berufsbildern – wie bereits jetzt z. B. Drohnenpiloten.
 

Chancen und Blick in die Zukunft
Ganz konkret ergeben sich für die Bahnindustrie Chancen in einer Vielzahl von Bereichen, wie die Praxis bereits zeigt. Insbesondere in der schweren Instandhaltung reichen diese vom Handling von massiven Bauteilen mit industriellen Roboterarmen über die Entlackung und Reinigung von Fahrzeugen sowie Komponenten bis hin zur Materiallogistik mit fahrerlosen Transportsystemen. Auch Exoskelette spielen für das wiederholte Heben schwerer Lasten und zum Schutz der Mitarbeitenden vor Verletzungen bereits eine Rolle. Daneben können Roboter in der betriebsnahen Instandhaltung visuelle Inspektionsaufgaben im Gleisvorfeld oder im Unterflurbereich übernehmen, eine automatisierte Entfernung von Graffitis vornehmen, automatisierte Rangiervorgänge durchführen und sogar die Versorgung der Fahrzeuge sicherstellen. In Werken sowie in Bahnhöfen kommen Roboter für die Bodenreinigung, wie „Manni“ zum Einsatz. Auch im Bereich der Sicherheit bzw. als Drohnen spielen sie eine Rolle: Sie überwachen Werke und Gleisanlagen und können so vor einem Eingriff in den Schienenverkehr schützen. Während der Wahrnehmung all dieser Aufgaben sorgen die Systeme nicht nur für eine erhöhte Prozesssicherheit, sondern auch für Prozessdaten – welche genutzt werden können, um Prozesse weiter zu optimieren. Aktuell steigen sowohl Angebot als auch Nachfrage an robotischen Lösungen, und die aktuelle Herausforderung ist es, die technisch-wirtschaftlich beste Unterstützung für die jeweilige Herausforderung zu bestimmen und zu etablieren. Eine Aufgabe, an der mit Hochdruck gearbeitet wird.
„Manni“ ist also nicht allein, sondern hat eine stetig wachsende Anzahl an Kolleginnen und Kollegen. Gemeinsam mit den Mitarbeitenden werden sie die Herausforderungen der Bahnindustrie angehen. Sie sorgen für eine zuverlässige Instandhaltung bei einer wachsenden Zahl von Bahnreisenden und Gütern und helfen so dabei, eine erfolgreiche Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene sicherzustellen.

Dr. Markus Kühne, Teamkoordinator IoT & Automation Business Line Digitale Produkte und Services,
DB Systemtechnik GmbH, Frankfurt/M

Artikel Redaktion Eurailpress
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