Wenn das Betriebsgelände zum Energielieferanten wird

PV-Anlagen wie hier auf einem Logistikzentrum in Zülpich erwirtschaften auf rund 54.000 m² Dachfläche 4 Mio. kWh jährlich. Quelle: Lip Invest GmbH

Die massive Kostensteigerung im Energiebereich bringt auch für Schienenlogistiker und SPNV-Betreiber zusätzliche finanzielle Belastungen mit sich. Experten sehen große Potenziale in der energetischen Optimierung von Logistikimmobilien.

Dieser Artikel enstammt der bahn manager-Ausgabe 01/2023.

Stehen Immobilien im Fokus nachhaltiger Energiekonzepte, so fallen zwei zentrale Überlegungen ins Gewicht: Wie können Eigentümer und Mieter den Verbrauch durch Konfigurationen an der Gebäudeinfrastruktur senken? Und wie kann durch eine intelligente Gebäudenutzung aktiv Energie gewonnen werden? Für beide Ansätze existiert mittlerweile eine Reihe von Lösungen, deren erfolgreiche Nutzung weniger von ihrer technologischen Reife als vielmehr von einem bewussten Umdenken bei den Nutzern abhängt.

Verbrauch in Blick und Griff behalten

Wer die energetischen Eigenschaften und damit die Wirtschaftlichkeit seiner Logistikimmobilie optimieren will, sollte sich deshalb zunächst ein Bild vom Ist-Stand seiner Liegenschaft machen. Wie hoch sind Strom- und Wärmeverbrauch tatsächlich? Zu welchen Zeitpunkten treten kostspielige Lastspitzen auf? Wo zeigen sich sonst noch energetische Sollbruchstellen, die unnötig Ressourcen fressen? Als Logistikimmobilienberater weiß Kuno Neumeier, CEO der Logivest Gruppe, mit welchen Problemen Industrie, Gewerbe und Logistiker derzeit konfrontiert sind: „Die ‚zweite Miete‘, zu der sich die Nebenkosten im Laufe der Zeit entwickelt haben, schießt in die Höhe und ist für Unternehmen derzeit ein schwer zu kalkulierender Faktor.“ Hier könnten regenerative Energien und eine gewisse Energieautarkie neue wirtschaftliche Sicherheit geben. „Gerade in diesem Zusammenhang ist es jedoch auch immens wichtig zu wissen, an welchen Stellschrauben man drehen kann und muss“, sagt Neumeier. Dabei sei genau dies gleichzeitig die größte Herausforderung, da viele Unternehmen ihren exakten Energieverbrauch, heruntergebrochen auf die einzelnen Bereiche, nicht im Blick hätten. Deshalb läge ein großes Potenzial darin, „den tatsächlichen Verbrauch mit validen Daten sichtbar zu machen und durch eine intelligente Gebäudesteuerung zu optimieren.“

Investition, die sich monetär nur bedingt auszahlt

Um die Immobilie mit entsprechenden Erfassungs- und Auswertungssystemen auszurüsten, müssen Eigentümer mit Kosten von schätzungsweise 10.000 EUR pro 10.000 m² Hallenfläche rechnen – eine Investition, deren Profitabilität nicht einfach zu beziffern ist. „Derjenige, der die Ausrüstung bezahlt, sieht das Geld nie wieder“, bringt es Richard Schneider, Geschäftsführer der Fabrikon GmbH, auf den Punkt. „Der Eigentümer einer Logistikimmobilie verkauft oder vermietet weiter, ohne einen direkten Nutzen zu haben.“ Ein Return-of-Investment (RoI) im engeren Sinne finde nicht statt. Am langen Ende profitiert der Nutzer einer Liegenschaft durch die Senkung seiner Neben- und damit Betriebskosten. Welche Gründe sollten Eigentümer von Logistikimmobilien wie etwa die Deutsche Bahn AG also haben, ihre Gebäude dennoch mit einem modernen Energiemanagementsystem auszustatten? Für Schneider liegen die Argumente auf der Hand: „Beim Thema Energiewende will jeder ganz vorne mit dabei sein. Derartige Technologien dann nicht voranzubringen, wäre ein Widerspruch in sich.“

Standards müssen für Vergleichbarkeit sorgen

Im Oktober 2022 hat Kuno Neumeier als Sprecher des Themenkreises Logistikimmobilien der Bundesvereinigung Logistik e.V. (BVL) gemeinsam mit Richard Schneider und Tilo Nahrath, dem Geschäftsführer der RE.cource Projects GmbH, die Initiative „Power of Logistics“ ins Leben gerufen. Die BVL-Initiative will Interessengemeinschaften sowie Stakeholder der Logistik- und Logistikimmobilienbranche aus der gesamten Republik zusammenbringen, um gemeinsam das Thema Energiewende anzugehen – und damit die Logistik durch den Ausbau erneuerbarer Technologien und ausgereifte technische Lösungen langfristig als Versorger nachhaltiger Energien zu etablieren. So entwickeln sie unter anderem in der Fokusgruppe „Power of Logistics“ kluge Energieansätze für die speziellen Anforderungen der Logistik-Community weiter. Schneider sieht einen wesentlichen Baustein für zielführende Verbrauchsmessungen im branchenweiten Schulterschluss: „Wenn Nutzungsprofile durch Standards vergleichbar werden, wird es kaum noch Logistikimmobilien geben, die nicht mit entsprechenden Erfassungstechnologien ausgerüstet sind.“ Die Erhebung von validen Energiedaten gehöre dann ebenso zur Grundausstattung wie mehrfachverglaste Fenster oder eine solide Außendämmung.

Sonnenenergie ist Evergreen der autarken Energiegewinnung

Kuno Neumeier betont die Vorteile autarker Energiegewinnung – und verweist damit zugleich auf die nach wie vor führende Energiequelle, wenn es um die Eigenbedarfsdeckung geht: Sonnenlicht. „In den vergangenen zehn Jahren sind Logistikimmobilien mit etwa 50 Mio. m² Dachfläche entstanden. Rund 30 Mio. m² davon eignen sich schon jetzt zur Installation von Photovoltaikanlagen“, so Neumeier. Tilo Nahrath, ebenfalls Sprecher der BVL-Initiative Power of Logistics, sieht hier großes Potenzial für die Bahnbranche, und das sowohl im Bestand als auch im Neubau: „Gerade aktuell stehen die Unternehmen vor großen Herausforderungen in der Versorgung mit günstiger Energie. Und da sind die erneuerbaren Energieträger unschlagbar. Sowohl in der Höhe des Preises als auch in der Stabilität.“ Die Nutzung von Bestandsimmobilien bringt dabei zwei entscheidende Vorteile mit sich: Zum einen sind die Innovationskosten geringer und damit der RoI schneller erzielt, zum anderen werden weitere Flächenversiegelungen vermieden.

Eignung muss geprüft werden

Nicht jedes bestehende Gebäude kommt für die Anbringung von Photovoltaik (PV)-Anlagen in Frage. „Harte Faktoren spielen natürliche eine große Rolle. Eine Immobilie muss sich auch statisch für den Einsatz einer Dach-Photovoltaikanlage eignen, denn PV-Module verfügen meist über ein hohes Eigengewicht“, so Nahrath. Deshalb kann bei Bestandsobjekten, die älter als zehn Jahre sind, nur ein Bruchteil der Dachfläche für Photovoltaik genutzt werden. Dazu Natalie Weber, Prokuristin beim Investmenthaus für Logistikimmobilien LIP Invest: „Zum aktuellen Zeitpunkt werden mindestens 15 kg/m² Lastreserve in der Dachstatik benötigt.“ Inzwischen gehört die statische Vorrüstung allerdings zu den Standards der Logistikimmobilienentwickler, womit Logistikneubauten bereits für Dach-PV-Anlagen ausgelegt seien. Nahrath ergänzt: „Ganzheitlich betrachtet gibt es aber noch weitere Herausforderungen, wie beispielsweise die Netzanbindung.“ Aber auch Engpässe bei der Lieferung einzelner Komponenten und die hohe Auslastung der Installateure seien gerade momentan limitierende Faktoren. „Bei Eisenbahn­unternehmen können noch Besonderheiten von DB Energie oder dem Eisenbahn-Bundesamt hinzukommen“, so Nahrath. In den Landesbauordnungen seien PV-Aufdachanlagen in der Regel verfahrensfrei, „aber in der Nähe von Bahnstrecken sind besondere Vorgaben beispielsweise hinsichtlich der Blendung zu beachten“.

Einspeisung oder kompletter Eigenverbrauch?

Während Lieferschwierigkeiten und Personalengpässe eher zeitlich begrenzte Aspekte darstellen, ist die Frage nach der Netzanbindung von langfristiger Dimension. Die über eine PV-Anlage gewonnene Energie kann sowohl in das öffent­liche Netz eingespeist als auch vollständig zum Eigenbedarf gewonnen werden. Hierzu erläutert Kuno Neumeier: „Die Einspeisung ins öffentliche Netz kann gerade bei Überkapazitäten ein sinnvoller Schritt sein.“ Denn die Pufferung der Energie sei derzeit noch sehr kostenintensiv und aus diesem Grund oft nicht wirtschaftlich. Durch die Einspeisung autark gewonnener Energie könnten beispielsweise Gemeinden vom grünen Strom der Logistikimmobilien profitieren. „Das ist auch unser Ziel bei ‚Power of Logistics‘. Die Logistikbranche verfügt bereits heute über 30 Mio. m² Dachfläche, die sich für Photovoltaik eignen. Wenn wir dieses Potenzial gemeinsam heben – und dabei sprechen wir auch von Energieparks mit Windkrafträdern, die bei der Städtebauplanung direkt mit angedacht werden müssen –, können wir die deutschlandweite Versorgung mit regenerativen Energien massiv ausbauen.“

Green Deal will nachhaltige Immobilien

Laut Neumeier haben sich nachhaltige Logistikimmobilien inzwischen zu einem „must have“ entwickelt: „Die EU-Taxonomie- und Offenlegungsverordnung, die 2022 mit den ersten beiden der insgesamt sechs Umweltzielen in Kraft getreten ist, ist hierbei gewiss ein Treiber.“ Die Verordnung ist ein wichtiger Baustein des European Green Deal, mit dem die Staatengemeinschaft bis 2050 klimaneutral werden will. Tilo Nahrath zufolge lenkt die EU-Taxonomie Bau-, Modernisierungs- und Umrüstungsmaßnahmen in ESG-konforme Investitionen, also in eine ökologisch, sozial und ethisch nachhaltige Unternehmensführung. „Solarkraftwerke auf den Dachflächen, die den Strom zuerst in das Gebäude liefern, haben einen sehr großen Einfluss auf die Erreichung der ESG-Kriterien“, sagt Nahrath. „Die Krise am Strommarkt bringt dazu den kaufmännischen Boost in die Nachfrage.“ Kuno Neumeier verweist allerdings darauf, dass es derzeit noch Schwierigkeiten gebe. Die Krux in Sachen ESG-Konformität sei nämlich, dass bewertbare Kriterien noch weitestgehend fehlen. „Was genau beinhaltet ESG, und wie sieht eine ESG-konforme Logistikimmobilie aus? Wir brauchen einen gemeinsamen Konsens, um einheitliche Standards zu generieren und somit auch eine Messbarkeit und Vergleichbarkeit zu ermöglichen“, fordert Neumeier.

Regulierungsprozesse sind Stolpersteine

Neben faktischen Hürden, die aus gesetzlichen Vorgaben entstehen können, sieht Nahrath vor allem ein Problem im Timing der Regulierungsprozesse: „Die Regulierung ändert sich rund alle zwei Jahre. D. h. bei längeren Entscheidungswegen kann es passieren, dass auf dem Weg zur Entscheidung die ursprüngliche Grundlage vom Gesetzgeber wieder geändert wurde.“ Für große Unternehmen, die ihre eigenen Prozesse und Compliance-Richtlinien einhalten müssen, können die bürokratischen Rahmenbedingungen zum realen Innovationsrisiko werden. Die Herausforderungen liegen laut Nahrath in der Regel in der genauen Definition der Schnittstellen zum Netz, zum Gebäudeeigentümer und zum Gebäudenutzer. „Und natürlich zum Regulierer und dem Netzbetreiber. Diese lassen sich durch gute Planung und genaue Absprache mit den Netzverantwortlichen jedoch überwinden“, sagt Nahrath. So befindet sich beispielsweise das Verhältnis zwischen Zertifizierungsstellen und -anträgen in Schieflage. Das führe zu einem enorm hohen Zeitaufwand bei der Umrüstung auf eine nachhaltige Energieerzeugung. Zudem erwiesen sich die Zugangsbeschränkungen zu Ausschreibungen der Bundesnetzagentur als hinderlich: Zu hoch sind die Hürden aktuell für kleine und mittlere Unternehmen. Tilo Nahrath richtet deshalb einen klaren Appell an Gesetzgebung und Verwaltung: „Diese Hürden gilt es abzubauen, um die Potenziale der Branche für eine regenerative Energieversorgung ­auszuschöpfen.“ (baf)

Artikel Redaktion Eurailpress
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