Wenn die Pakettram zweimal klingelt

Die DHL transportiert seit Oktober 2022 täglich rund 450 Paketsendungen mit einem Sonderzug durch Schwerin. Foto: Deutsche Post DHL

Es ist das erklärte Ziel der Bundesregierung, im Zuge der Verkehrsverlagerung mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen. Dass dies nicht nur im großen Stil, sondern auch mit Kleingütern funktionieren kann, zeigt eine Reihe von Projekten zum Transport von Paketen über die Schiene.

Dieser Artikel enstammt der bahn manager-Ausgabe 02/2023.

Von Barbara Feldmann

Alleine 2021 lieferten die sogenannten Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) mehr als 4,5 Mrd. Sendungen aus – laut Bundesverband Paket und Expresslogistik so viele wie nie zuvor. Auf der einen Seite Hochkonjunktur für die Branche. Auf der anderen Seite ein zusätzlicher Verkehrsfaktor für ­Städte und Ballungsräume. Zähfließender Berufsverkehr und die Suche nach Halte- und Parkmöglichkeiten machen die Paket­auslieferung zum Wettlauf gegen die Zeit. Die letzte Meile vom Verteilerdepot bis zur Haustür ist deshalb ein kritisches Element in den Logistikprozessen zahlreicher Unternehmen. „Als Paketlogistiker, der tagtäglich in den Straßen sowie auf den Fuß- und Fahrradwegen der Bundesrepublik unterwegs ist, spüren wir das Spannungsfeld aus hoher Verkehrsdichte, mangelnden Park- und Halteflächen, zunehmenden Zufahrtsbeschränkungen und einem immer knapperen Flächenangebot in den Ballungsgebieten deutlich“, erklärt Harald Schnetgöcke, General Area Manager Region Ost, Hermes Germany. Eine One-Size-fits-all-Lösung gäbe es allerdings nicht, da die Herausforderungen vielfältig und je nach Infrastruktur und Gegebenheiten vor Ort sehr individuell sind.

Elektrifizierung, Muskelkraft – und Schiene?
Einige Paketdienstleister, so auch der Versandhändler Amazon, legen ihren Fokus zur Optimierung ihrer Logistikketten auf Elektrifizierung und Micro Hubs, also kleine, zentral gelegene Lieferstationen: „Diese Hubs ermöglichen es uns, neue Zustellmethoden wie E-Lastenfahrräder und Zu-Fuß-Lieferungen einzusetzen, um Pakete nachhaltiger zu Kundinnen und Kunden zu bringen“, so ein Amazon-Sprecher. Der Dienstleister General Logistics Systems (GLS) spannt den Bogen möglicher Transportmodi weiter: „Neben der Inbetriebnahme von ­Paketstationen und dem flächendeckenden Einsatz von E-Fahrzeugen (in täglich mehr als 50 deutschen Städten) könnte der Schienenverkehr langfristig zur tragenden Säule der GLS-Nachhaltigkeitsbemühungen werden“, so GLS-Presse­sprecher Pelle Faust. Dadurch könnten bis zu 80 % der Emissionen eingespart werden, die sonst beim Transport anfallen würden. Faust ergänzt: „Auf der Strecke zwischen Nürnberg und Hannover haben wir im Januar 2023 bis zu 1000 Pakete pro Tag per Güterzug transportiert.“ Ein erfolgreicher Pilotversuch, allerdings ausschließlich im Fernverkehr: „Projekte zum innerstädtischen Versand per Schiene auf der letzten Meile laufen bei uns nicht. Beim Einsatz von Schienenverkehr konzentrieren wir uns aktuell auf die Fernstrecke“, so Faust.

Schwerin bekommt Sonderzug im Citybereich
Bei der Nutzung lokaler Bahninfrastrukturen herrscht in der Branche weitestgehend Zurückhaltung – nicht so bei der Deutschen Post DHL, die Ende Oktober 2022 gemeinsam mit der Landeshauptstadt Schwerin eine Sonderlinie nur für den Pakettransport aus der Taufe hob. Neben Güterschiene, E-Auto, Lastenrad und der fußläufigen Paketverteilung zeigen Pilotprojekte wie in Schwerin weitere, interessante Lösungswege auf: Den Transport von Paketen über die Straßenbahn. In der mecklenburg-vorpommerschen Landeshauptstadt werden seit Oktober 2022 auf einer eigens für den Kleingütertransport eingerichteten ÖGNV-Sonderlinie im Innenstadtbereich werktäglich um die 450 DHL-Paketsendungen transportiert. Die Initiative ist ein Gemeinschaftsvorhaben von DHL mit der Landeshauptstadt Schwerin und dem Nahverkehr Schwerin (NVS). Sie ist Teil des Projektes „Lieferverkehr der Zukunft für die Landeshauptstadt Schwerin“, deren Ziel die Umsetzung umweltfreundlicher Konzepte für Schwerins Lieferverkehre bis zum Jahr 2035 ist. Der Pilot soll zunächst einmal bis zum 30. Juni laufen, dann erfolgt eine Auswertung der gemachten Erfahrungen und gegebenenfalls eine Fortführung des Logistikkonzepts. „Die Paketbahn ist ein Projekt für Schwerin. Hier in der Landeshauptstadt wollen wir erst einmal dieses Konzept austesten, um anschließend die möglichen Potenziale bewerten zu können“, erläutert Wilfried Schumann, DHL-Niederlassungsleiter Betrieb Rostock. Zur Vorbereitung des Projekts wurden entsprechende Transportbehältnisse („Rollbehälter“) entworfen, die für den Transport mit der Paketbahn geeignet sind und die Vorgaben der Ladungssicherung einhalten. „Für die Aufnahme dieser Rollbehälter haben wir spezielle ‚Garagen‘ entwickelt und direkt an den Haltestationen aufgestellt“, fährt Schumann fort. Diese Garagen gewährten einen schnellen und reibungslosen Ladungsaustausch an den Haltestellen, ohne dass hierfür das ansonsten übliche Halteintervall verlängert werden müsse.

„LogistikTram“ untersucht Machbarkeit
Dass bisher kaum Pakete über die lokale und urbane Schiene transportiert werden, hat eine Reihe von Gründen, darunter auch betriebsorganisatorische und rechtliche Aspekte: Während einerseits die ausgelasteten ÖPNV-Infrastrukturen kaum die nötigen Kapazitätsspielräume aufweisen, ist es zudem „derzeit rechtlich komplex, gewerbliche Waren und Personen gemeinsam zu befördern“, so Gerd Seber, Group Manager City Logistics & Sustainability bei DPD Deutschland. Generell müssten zudem die entsprechenden Haftungsübergänge definiert und dokumentiert sowie Haftungsfragen im Falle von Diebstahl, Beschädigung oder etwa Ausfall geklärt werden. Wie der Pakettransport in der Tram in der Praxis ablaufen könnte, haben die Frankfurt UAS, die Stadtwerke Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF), die Stadt Frankfurt und Hermes Germany als Vertreter aus der KEP-Branche im Rahmen eines gemeinsamen Projekts überprüft. In einem Pilotversuch belieferte Hermes die Tram der VGF aus einem firmeneigenen Depot und verwendete dafür Boxen, die kompatibel mit zwei Lastenradmodellen waren. Beladen wurde die Straßenbahn in einem Straßenbahndepot der VGF. Diese fuhr dann bis zu einer ausgewählten Station im Frankfurter Stadtkern. Dort übernahmen Kuriere im Zuge des dreistufigen Zustellverfahrens mit Elektro-Lastenrädern die Boxen mit den Paketen und stellten sie zu. „Der Moduswechsel – wann, wo und wie übergebe ich das Paket – ist entscheidend für die Rentabilität einer kombinierten Logistikkette“, erklärt Professor Kai-Oliver Schocke von der Frankfurt UAS. Neben betrieblichen Fragen und juristischem Klärungsbedarf stellt laut Schocke auch die Verpreisung eine Herausforderung dar. Er erläutert: „Als subventionierte Branche tut sich der ÖPNV schwer, einen konkreten Preis pro Kilometer zu nennen.“ Dennoch konnten im Zuge des Projekts stichhaltige Wirtschaftlichkeitsfaktoren ermittelt werden: So kostet die Zustellung per Tram dem Forscherteam zufolge im Schnitt 1,93 EUR pro Paket. Die Belieferung mit einem Transporter vom Depot bis zur Haustür 1,65 EUR – „allerdings sind hier externe Kosten zum Beispiel durch Umweltverschmutzung und Staus wegen zu vieler Transporter auf den Straßen nicht eingerechnet“, gibt Schocke zu bedenken. Das Thema ökologische Nachhaltigkeit greift auch für die VGF: „Der klimafreundliche Transport von Waren ist in einer Großstadt wie Frankfurt ein wichtiges und zukunftsweisendes Thema“, heißt es seitens der Frankfurter Verkehrsgesellschaft. Die Stadt Frankfurt habe ein Logistikkonzept erarbeitet, das konkrete Projekte und Handlungsfelder benennt. „Denn die Frage, wie nachhaltige, intermodale Logistik-Ketten aussehen können, wird immer relevanter“, so die VGF.

Forscher in Karlsruhe und Darmstadt ­ebenfalls auf ÖGNV-Kurs
Neben Frankfurt am Main und Schwerin sollen künftig auch in Karlsruhe Pakete über die Schiene ausgeliefert werden. Derzeit entwickeln das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG), der KIT-Innovationspartner FZI Forschungszentrum Informatik zusammen mit weiteren Partnern ebenfalls ein fahrzeugtechnisches und logistisches Konzept für eine entsprechende Gütertram. Das Vorhaben „LogIKTram“ ist bereits im März 2021 als Teilprojekt der Initiative „RegioKArgo“ gestartet und soll noch bis Frühjahr 2024 laufen. Nach Simulationen, Machbarkeitsbetrachtungen und technischen Anpassungen soll es darauf aufbauend im Zuge eines weiteren Teilprojekts namens regioKArgoTramTrain möglich sein, „die neue Bahn nicht nur testweise auf dem Betriebshof, sondern im Realbetrieb auch in der Region einzusetzen – wir haben uns dazu um eine Förderung beim Landeswettbewerb RegioWIN beworben“, so Ascan Egerer, technischer Geschäftsführer der AVG. Bereits 2020/2021 hat sich das Forschungsprojekt „ÖGNV – Öffentlicher Güternahverkehr: Kombinierter Güter- und Personentransport im öffentlichen Nahverkehr“ der Technischen Universität Darmstadt damit beschäftigt, wie kombinierter Personen-Güter-Verkehr im ÖPNV künftig vorangetrieben werden kann. Das von der Innovationsförderung des House of Logistics and Mobility (HOLM) unterstützte Forscherteam kommt anhand von Modellen und Simulationen zu dem Schluss: Ein gemeinsamer Transport von Gütern und Personen ist prinzipiell möglich. Am sinnvollsten stellte sich der Transport nach den Modellrechnungen allerdings in einem extra Anhänger dar.

„Es braucht den politischen Willen“
Der Bundesverband Paket- & Expresslogistik e.V. (BIEK e.V.) hat sich ebenfalls um wissenschaftliche Einsichten bemüht: Im Zuge der Studie „KEP und ÖPNV: Chance für die letzte Meile?“ wurde die Nutzung von öffentlichen Nahverkehrssystemen für den Pakettransport bis hin zur Haustür untersucht. Die Erkenntnisse von BIEK e.V. lauten unter anderem: Die Nutzung von ÖPNV-Infrastrukturen zum Gütertransport im Mischbetrieb soll in Nebenzeiten erfolgen, in denen die ­ÖPNV-Kapazitäten nicht ausgelastet sind. Des Weiteren ­seien Förderungen nötig, um die erforderlichen betrieblichen und technischen Investitionen zu ermöglichen. Zudem müsse die Politik den passenden Rahmen schaffen, damit der Gütertransport ein zulässiges Tätigkeitsfeld von ÖPNV-Betreibern werden könnte. Hierzu betont auch Professor Schocke von der Frankfurt UAS: „Es braucht den politischen Willen. Die Städte und Aufgabenträger müssen sich im Sinne nachhaltiger Verkehrs- und Logistikabläufe engagieren.“ Harald Schnetgöcke von Hermes Germany bringt das Potenzial von ÖGNV-Konzepten via Schiene so auf den Punkt: „Insgesamt sind wir zum jetzigen Zeitpunkt der Auffassung, dass öffentliche Verkehrsmittel nicht das Allheilmittel für die Letzte Meile im mengenintensiven Paketgeschäft sein werden, da ein flächendeckender Einsatz schwer abbildbar ist.“ Sie könnten allerdings durchaus – die entsprechenden Rahmenbedingungen vorausgesetzt – einen möglichen Baustein darstellen. Schnetgöckes Einschätzung nach wird es spannend sein, „wie und ob derzeit noch bestehende Herausforderungen wie Transportgefäße, die Sicherheit der Fahrgäste oder die Orchestrierung gleichzeitiger Lastspitzen gelöst werden können.“

Artikel Redaktion Eurailpress
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