Wie mit smartrail 4.0 die Effizienz der Bahn erhöht wird

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Foto: SBB

Die Nachfrage im Schienenverkehr der Schweiz steigt stetig: Während im Jahr 2008 noch 322 Millionen Passagiere verzeichnet wurden, waren es zehn Jahre später bereits mehr als 450 Millionen.

Das Schweizer Parlament hat deshalb für den Ausbauschritt 2035 weitere Infrastrukturausbauten in der Höhe von über 12 Milliarden CHF bewilligt. Neben diesen Ausbauten soll aber auch die Effektivität und Effizienz auf dem bestehenden Netz erhöht werden. Mit dem Programm smartrail 4.0 arbeitet die gesamte Schweizer Bahnbranche zusammen an Möglichkeiten, die Digitalisierung für mehr Effizienz, tiefere Kosten, mehr Pünktlichkeit und eine höhere Kapazität zu nutzen. Der Blogbeitrag von Marc Vetterli.

Wir leben im Zeitalter der Digitalisierung. Damit diese auch im Bahnland Schweiz optimal genutzt wird, startete die Schweizer Bahnbranche ab 2017 das Projekt smartrail 4.0, welches fünf zentrale Ziele verfolgt:

  1. Erhöhung der Kapazität auf dem bestehenden Netz um 15% bis 30%
  2. Erhöhung der Sicherheit insbesondere beim Rangieren und auf Baustellen
  3. Erhöhung der Verfügbarkeit der Sicherungsanlagen. Das führt zu weniger Störungen und einer höheren Pünktlichkeit.
  4. Hohe Datenfunk-Kapazität für Kundinnen und Kunden
  5. Reduktion der jährlichen Kosten in der Bahnproduktion (Infrastruktur und Fahrzeuge) um 450 Millionen CHF (nur SBB)

Die ambitionierten Ziele sollen durch mehrere Teilprogramme erreicht werden. Mit diesen soll die Effizienz auf dem bestehenden Netz stark erhöht werden, so dass langfristig weniger Infrastrukturausbauten nötig sind.

Mehr Züge auf gleich viel Gleis

Heutzutage fahren die Züge auf Strecken mit fixen Blöcken, das heisst, es darf sich nur immer ein Zug in einem Streckenblock befinden. Mit Aussensignalen wird dem Lokführer signalisiert, ob er den nächsten Block befahren darf. Ist der Block besetzt, so bleibt das Signal für den nachfolgenden Zug rot, auch wenn noch genügend Platz vorhanden wäre. Dies reduziert die Kapazität. Ein zentraler Punkt bei der Erhöhung der Effizienz und damit der Kapazität ist deshalb die Verkürzung der Zugabstände, so dass mehr Züge über die gleiche Strecke fahren können. Bereits heute versucht die SBB mit der «Adaptiven Lenkung» die Züge flüssiger und in einem konstanten Abstand fahren zu lassen, um die Pünktlichkeit zu erhöhen. Über dies wurde im LITRA-Beitrag vom 17. Mai 2018 berichtet. Mit smartrail 4.0 soll dieser Ansatz noch weiter ausgebaut werden. In Zukunft sollen «Moving Blocks», also dynamische, sich bewegende Sicherheitsabstände zwischen den einzelnen Zügen etabliert werden, so dass deutlich weniger Signale nötig sind. Weil die Züge so immer im kleinstmöglichen Abstand zueinander verkehren können, erhöht sich die Streckenkapazität um bis zu 30%. Europaweit existiert aber noch kein entsprechendes System für grosse Eisenbahnnetze: Während das European Train Control System (ETCS) Level 2 mit fixen Blöcken bereits im Einsatz ist, befindet sich das angestrebte ETCS Level 3 ohne fixe Blöcke noch in der Entwicklung. Die Entwicklung des neuen Zugbeeinflussungssystems wird entsprechend im Teilprogramm «ETCS Stellwerk» vorangetrieben.

Die entsprechenden Informationen werden in Zukunft direkt in den Führerstand an den Computer und den Lokführer gesendet. Die «Moving Blocks» erfordern jedoch, dass der Zug nicht wie heute nur an einzelnen Stellen erfasst wird, sondern dass eine exakte, kontinuierliche Lokalisierung möglich ist. Dies stellt nach wie vor eine grosse Herausforderung dar, da der gesamte Zug, also von der Zugspitze bis zum letzten Wagen, gleisgenau geortet werden muss. Im Teilprogramm «Lokalisierung, Connectivity, Security» (LCS) werden deshalb verschiedene Ansätze zur Lokalisierung getestet. Momentan wird eine Kombination von Satellitennavigation, Trägheitsnavigation und Radwegmessung angestrebt. Durch die kontinuierliche Übermittlung der Position fallen grosse Datenmengen an – dafür ist das heutige Mobilfunknetz nicht ausgerüstet. Künftig soll hier der neue Bahnfunk FRMCS (Future Railway Mobile Communication System) Abhilfe schaffen und das GSM-R (Global System for Mobile Communications – Railway) ersetzen.

Das neue System mit «Moving Blocks» und direkter Signalübermittlung an den Führerstand führt dazu, dass die Aussenanlagen um bis zu 70% reduziert werden können – es gibt also vereinfacht gesagt nur noch Weichen und Barrieren; Signale hingegen verschwinden. Somit kann nicht nur die Kapazität erhöht werden, sondern es können auch die Investitions- und Unterhaltskosten gesenkt werden. Auch die Anzahl Störungen kann so voraussichtlich reduziert werden.

Keine Züge ohne Lokführer

Damit die Züge die flexiblen Abstände zueinander aber wirklich einhalten, wird im Teilprogramm «Automatic Train Operation» (ATO) untersucht, wie die Steuerung der Züge automatisiert werden kann. Langfristig soll der Zug mit einem Assistenzsystem verkehren. Während der Fahrt übernimmt ein System die Geschwindigkeitssteuerung und optional im Bahnhof die Türsteuerung. So können die Züge immer in einem optimalen Abstand zueinander verkehren. Der Lokführer bleibt aber für die Sicherheit verantwortlich und muss jederzeit die Zugfahrt übernehmen können.

Grundsätzlich soll mit ATO die Möglichkeit zur Reduktion der Fahrvarianz, eine bessere Ausnützung der bestehenden Netzkapazität sowie die situationsoptimierte Fahrweise mit positivem Effekt auf die Pünktlichkeit und die Netzstabilität erreicht werden. Die Züge werden im Automatisierungsgrad 2 (GoA2) also automatisiert fahren, jedoch nicht ohne Lokführer. Aus diesem Grund hat die Südostbahn im Oktober 2019 beim Bundesamt für Verkehr ein Gesuch für technische und betriebliche Tests von automatisierten Zügen eingereicht. Zwischen Dezember 2019 und Mai 2020 wird der automatisierte Betrieb auf der heute bestehenden Infrastruktur (ETCS Level 1/Limited Supervision) in der Nacht und danach bis Ende 2020 tagsüber getestet werden. Ab dem Fahrplanwechsel 2020 werden automatisierte Züge auf einer bestimmten Strecke mit regulären Zugfahrten für ein Jahr getestet. Der Versuch ist als Testlauf für die ganze Branche gedacht – die Erkenntnisse werden für den ersten geplanten Teil-Rollout einer ersten ATO Lösung ab 2025 genutzt. Komplementiert werden die erläuterten Teilpakete unter anderem mit dem Traffic Management System: Es soll ein einheitliches System geschaffen werden, das Fahrpläne automatisch optimiert und den Bahnbetrieb sowie Kundeninformationen steuert. Der zeitliche Ablauf aller Teilprogramme ist in der nachfolgenden Grafik dargestellt. (red/litra)

Über den Autor: Marc Vetterli hat an der HSR Rapperswil Stadt-, Verkehrs und Raumplanung studiert und arbeitet derzeit bei ewp AG Effretikon als Planer im Team Mobilitätsstrategien. Er schreibt regelmässig für den LITRA-Blog.

Artikel Redaktion Eurailpress
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