Infrastruktur & Ausrüstung

Funkwerk-Interview: „Wir planen die Hochrüstung aller Bestandssysteme auf FRMCS“

Funkwerk-Vorständin Kerstin Schreiber im Gespräch mit Georg Kern von bahn manager. Quelle: Mischar Jung

Die neue Zugfunk-Generation FRMCS kommt. Wie bereitet sich Funkwerk, in vielen Ländern Europas der Marktführer unter den Anbietern von Zugfunkgeräten, darauf vor? Ein Interview mit Vorständin Kerstin Schreiber.

Dass die Zugfunk-Generation Future Railway Mobile Communication System (FRMCS) kommt, wurde auch in der EU-Verordnung TSI ZZS von Ende September nochmals bestätigt. Profitieren wird von der Entwicklung unter anderem die Funkwerk AG, ein führender Anbieter von Zugfunkanlagen. Wie bereitet sich das Unternehmen auf FRMCS vor? Was unternimmt Funkwerk, um auch ältere Zugfunkstandards – also Analogfunk, GSM-R und LTE – weiterhin zu unterstützen? Und welche Pläne hat das Unternehmen darüber hinaus, um zu wachsen? Darüber sprach Georg Kern von bahn manager mit Funkwerk-Vorständin Kerstin Schreiber. Das Interview enstammt der neuen Ausgabe des Magazins, das am 26. April erschienen ist.

Frau Schreiber, womit beschäftigen Sie sich beruflich derzeit am meisten: noch mit Analogfunk, GSM-R und LTE oder schon mit FRMCS?

Kerstin Schreiber: Eindeutig mit Letzterem. Dass es nun endgültig sicher ist, dass FRMCS kommt, freut uns sehr. Diese Technologie wird den Bahnsektor erheblich voranbringen. Wir beschäftigen uns schon lange mit FRMCS und bieten bereits erste Produkte an. Allerdings ist auch richtig, dass unser Hauptgeschäft derzeit noch vor allem aus GSM-R- sowie Analogfunk- und auch LTE-Systemen besteht. Und das wird sich auch so schnell nicht ändern.


Wobei die Uhr für GSM-R, dem in Europa am meisten verbreiteten Zugfunkstandard, ja  schon tickt. Ab 2035 wollen Netzanbieter diesen auf 2G basierenden Standard nicht mehr unterstützen.

Richtig, nur sind solche Termine nicht in Stein gemeißelt. Vor 2035 galt 2030 als Jahr der Abkündigung. Das zeigt: Es ist immer Flexibilität da – und das ist auch richtig und wichtig so. Außerdem haben wir uns vertraglich in vielen Fällen verpflichtet, dass unsere Systeme deutlich länger funktionsfähig sind. Und daran halten wir uns selbstverständlich.

Funkwerk hat ja auch Ende 2023 erst wieder größere GSM-R-Lieferverträge in Spanien abgeschlossen.

Eine sehr erfreuliche Entwicklung für uns, da wir im spanischen Markt bisher nicht besonders stark vertreten waren. Wir rüsten dort rund 500 Personenzüge und Lokomotiven für Renfe Viajeros aus, hinzu kommen 400 Neufahrzeuge verschiedener Fahrzeughersteller. Auch diese Entwicklung ist ja ein Hinweis darauf, dass uns das Thema GSM-R noch sehr lange begleiten wird.

Insgesamt haben Sie jetzt Technik für vier Zugfunkgenerationen im Portfolio. Wird es nicht irgendwann zu kompliziert, so viele Systeme vorzuhalten?

Ganz klar nein. Aber herausfordernd ist das schon, das ist sicher richtig. Wir verstehen es als unser Tagesgeschäft, frühzeitig technologische Weiterentwicklungen in unsere Roadmap aufzunehmen, so sind wir bislang immer gut vorbereitet gewesen. Der Wechsel von einem Zugfunkstandard zum nächsten kommt ja auch nicht überraschend, sondern ist ein evolutionärer Prozess. Es stimmt aber, dass sowohl die langen Technologiezyklen als auch die Tendenz zu mehr Standardprodukten unser Tagesgeschäft verändern.

Inwiefern?

Beispielsweise steigt bei uns die Bedeutung des Obsoleszenz-Managements. Das heißt, wir befassen uns immer intensiver mit der Beurteilung der Bauteilverfügbarkeit, mit welchen Bauteilen wir uns wie bevorraten beziehungsweise wie wir deren Verfügbarkeit absichern müssen. Auch in diesem Bereich denken wir weit über 2035 hinaus. Wir reden von Zeitspannen bis zu 30 Jahren und mehr.

Wie funktioniert denn dieses Obsoleszenz-Management genau?

Vom Grundsatz her im Bahnsektor nicht anders als in anderen Industrien. Wenn ein Hersteller ein Bauteil abkündigt, das wir für unsere Produkte brauchen, heißt das für uns, dass wir in einen Abwägungsprozess gehen: Nehmen wir das abgekündigte Bauteil mit einer Ersatzvariante ins nächste Release – wenn das überhaupt möglich ist – oder ist es besser, wenn wir uns bevorraten? Entscheiden wir uns für Letzteres, stellen sich anschließend Fragen nach Mengen und Zeiträumen. Und natürlich, wie wir die Bevorratung konkret vornehmen.

Wie sieht so eine Bevorratung typischerweise aus?

Das hängt natürlich vom Bauteil ab. Sie können sich vorstellen, dass es hier auf viele Fragen ankommt: Wie müssen Lagerräume klimatisiert sein? Lagern wir selbst ein oder bei Drittanbietern? Und wo lagern wir überhaupt ein? Wir müssen zum Beispiel Sicherheitsaspekte bedenken. Was etwa, wenn es zu Bränden oder Hochwassern kommt? Das alles berücksichtigen wir.

Klingt nach einer kostspieligen Angelegenheit. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?

Die Vergangenheit zeigt, dass wir im Obsoleszenz-Management schon sehr professionell arbeiten. Aber ja, es kostet viel Geld, man muss in hohem Maße in die Vorfinanzierung gehen. Hinzu kommt, dass wir die Bauteile, mit denen wir uns bevorraten, auf eigenes Risiko einkaufen müssen. Diese Herausforderungen kann man am besten bewältigen, indem man die Branche wirklich gut kennt, in der man arbeitet. Ich sage deshalb auch gerne, dass ich Funkwerk nicht einfach als Lieferant des Bahnsektors sehe, sondern als Partner.

Die neue TSI ZZS hält zwar fest, dass FRMCS kommen wird. Es fehlt aber noch an finalen technischen Spezifikationen. Inwiefern beeinträchtigt Sie das bei der Entwicklung von Produkten?

Nicht zwangsweise. Ich würde sogar sagen, dass es nicht unbedingt von Vorteil wäre, wenn schon alles ausspezifiziert ist. FRMCS ist nur eine Komponente im komplexen System der Eisenbahn, sodass es manchmal sinnvoll ist, erstmal zu sehen, wohin bestimmte Entwicklungen gehen, damit man selbst passende Lösungen entwickeln kann. Im Übrigen ist FRMCS ja auch eine komplexe Technologie, die ein hohes Maß an Know-how verlangt. Da brauchen Sie echte Spezialisten, die sich mit diesen Themen in einschlägigen Gremien befassen. Diese Ressourcen sind nicht beliebig skalierbar. Auch wir sind mit unseren Experten in diesen Gremien vertreten. Wie schon in der Vergangenheit ist Funkwerk also nicht nur Teil der Evolution von einer Zugfunkgeneration zur nächsten, sondern wir prägen diese Entwicklung auch mit.

Mit ersten FRMCS-Produkten sind Sie ja schon am Markt. Können Sie garantieren, dass auch ältere Zugfunkanlagen aus Ihrem Hause FRMCS-fähig sein werden?

Absolut. Das gilt selbst für ein Produkt wie die Mesa 23, mit der wir schon mehr als 20 Jahre am Markt sind. Auch dieses Produkt wird auf FRMCS migriert werden können. Wir planen die Kompatibilität und Hochrüstung aller Bestandssysteme auf FRMCS.

Allerdings gibt es noch gar keine FRMCS-fähigen Chips für den Bahnsektor.

Das ist richtig, aber auch da sind wir nicht untätig. Ich hoffe, dass wir diesbezüglich recht bald wichtige Schritte weiter sind.

Stimmt es, dass sich Funkwerk hinter den Kulissen mit dem Netzwerkausrüster Kontron zusammengetan hat, um bei Chipunternehmen vorstellig zu werden?

Das stimmt, aber da gibt es überhaupt nichts hineinzudeuten. Es ist ein übliches Prozedere, dass sich Unternehmen manchmal zusammentun, wenn sie ein bestimmtes Ziel erreichen wollen. Der Bahnsektor ist halt nicht unbedingt der größte Abnehmer von Chips – verglichen mit anderen Industrien wie die Mobilgeräte-Industrie oder Automotive. Da macht es schon Sinn, Kräfte zu bündeln, wenn ein Chiphersteller Lösungen für den Bahnsektor entwickeln soll.

Sie sagten, es gebe da nichts hineinzudeuten. Wie meinen Sie das?

Aufgrund unseres gemeinsamen Vorgehens mit Kontron gab es Gerüchte, das Unternehmen wolle uns kaufen. Dazu kann ich nur sagen: Das sind völlig haltlose Spekulationen. Und ich gebe zu, dass die mich etwas ärgern, zumal sich Funkwerk sehr erfolgreich entwickelt.

Dann lassen Sie uns auch auf andere Geschäftsbereiche als den Zugfunk gucken. Laut Geschäftsbericht erwirtschaftet Funkwerk mittlerweile fast ebenso viel Umsatz – nämlich mehr als 30 Prozent – mit technischen Dienstleistungen.

Richtig, auch der Geschäftsbereich Technische Dienstleistungen bereitet uns viel Freude. Wir sind dabei allerdings nicht nur im Bahnsektor unterwegs – er spielt jedoch eine wachsende Rolle. Beispielsweise haben wir mit den Netzbetreibern Rahmenverträge und bauen die Mobilfunk-Standorte für GSM-R, später FRMCS, auf. Wir errichten
ETCS-Standorte entlang der Schienenwege genauso, wie wir auf Bahnhöfen Fahrgastinformationssysteme, Beschallungsanlagen, Fahrscheinautomaten, Kamerasysteme, Uhren und weitere technische Systeme rund um den Fahrgastverkehr installieren.

Vor etwa zwei Jahren hatten Sie sich in diesem Geschäftsbereich mit dem Kauf des Unternehmens Kommunikation & Netze verstärkt, das wie die Funkwerk AG Teil der Hörmann-Gruppe ist.

Kommunikation & Netze passte einfach sehr gut zu uns. Wie wir versteht das Unternehmen eine Menge vom Aufbau elektrischer Anlagen. Und wir hatten mit Kommunikation & Netze schon viel als Subunternehmen gearbeitet. Deshalb haben wir uns für diesen Zukauf entschieden.

Außerdem hat Funkwerk 2019 Vipro.sys erworben, einen Anbieter von softwaregestütztem Gebäude- und Sicherheitsmanagement. Wie passt diese Akquise zu Funkwerk?

Das hat weniger mit unserem Geschäftsbereich Technische Dienstleistungen zu tun, sondern mit unserem Geschäftsbereich Sicherheitslösungen. Der Kauf von Vipro.sys war für uns der Startschuss, um Funkwerk vom reinen Videosystem-Anbieter zum Systemintegrator für komplexe Sicherheitslösungen zu entwickeln. Es ist auch dieser Geschäftsbereich, für den wir in den kommenden Jahren besonderes Wachstumspotenzial sehen.

Inwiefern?

Mit Vipro.gms haben wir ein modernes Software-Baukastensystem für effiziente Managementlösungen in Gebäude- und Sicherheitstechnik entwickelt. Bisher spielt für uns der Bahnsektor in diesem Geschäftsbereich keine dominierende Rolle, bietet damit gleichwohl Potenzial für eine positive zukünftige Entwicklung. Schließlich ist Funkwerk vertraut mit der Ausstattung von Kritischer Infrastruktur.

Wo wir schon beim Zukauf von Unternehmen sind: Zuletzt hat Funkwerk die Berliner Elektrotechnikfirma Oltmann gekauft. Mit welchem Ziel?

Das hat wiederum mit unserem vierten Geschäftsbereich Fahrgastinformation zu tun. Hier waren wir bisher bei LCD- und TFT-Modulen stark. Mit dem Erwerb der Elektrotechnik und Elektronik Oltmann GmbH haben wir unseren Warenkorb erweitert und uns ein LED-Anzeigerportfolio ins Haus geholt. Es werden künftig also auch immer mehr Lösungen aus dem Hause Funkwerk mit LED-Technik zu sehen sein.

Sind weitere Zukäufe geplant?

Nichts ist unterschriftsreif. Aber ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde: Wir schauen uns um und sind offen für interessante Targets. Funkwerk war in den vergangenen Jahren auch deshalb so erfolgreich, weil wir stets bereit waren, uns Neuem zu öffnen. Mit dieser Einstellung sind wir kräftig gewachsen – und ich möchte, dass wir uns diese Offenheit bewahren. Allerdings sind wir längst nicht nur durch Zukäufe gewachsen, sondern vor allem organisch. Auch das ist mir wichtig, zu betonen.

Artikel Redaktion Eurailpress
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