Interviews

Armin Riedl

"Der unendliche Kampf um die beste Beladung"

Armin Riedl ist Geschäftsführer von Kombiverkehr und der Lokomotion Gesellschaft für Schienentraktion. ETR sprach mit ihm über neue Technologie und neue  Märkte im Güterverkehr.

Wie steht Kombiverkehr im Augenblick da?
Wir liegen in der Summe leicht unter dem Vorjahr, merken jedoch, wie die Volumen wieder anziehen. Auch wir leben, und fast hätte ich gesagt sterben, mit der europäischen Nachfrage. Wir haben starke Verkehre mit Skandinavien, wir haben starke Verkehre Richtung Westhäfen, wir haben starke Verkehre Richtung Spanien, Italien und Österreich, wir haben Verkehre nach Polen und Tschechien. Diese Märkte balancieren sich weitgehend untereinander aus, wenn es auch in den letzten Jahren wegen der Veränderungen beispielsweise in der Papierindustrie einen spürbaren Volumenrückgang im Verkehr mit Skandinavien gab. Vor einigen Jahren gingen noch 1,2?Mio.?t Papier aus Skandinavien über die Ostseehäfen, heute sind es nur noch 600?000 bis 700?000?t. Eine Zeit lang haben wir Teile für Porsche nach Finnland transportiert, dann wurde die Produktion dort eingestellt. Erfreulich entwickelt sich augenblicklich die Türkei. 
 
Die Türkei hat ein Ausbauprogramm für Güterverkehr auf der Schiene verabschiedet.
Die Türkei erfindet gerade für sich die Eisenbahn neu. Die Schiene, und damit der Güterverkehr auf der Schiene, ist dramatisch unterentwickelt. Hier muss noch viel passieren. Dennoch: In Kombination mit dem Seeweg über Triest können wir zunehmend wettbewerbsfähig anbieten.

Wenn das alte Europa stagniert, gibt es neue Regionen, wo der Eisenbahnverkehr grundsätzlich einen Aufschwung erlebt.
Mein Vorgänger in der Geschäftsführung von Kombiverkehr sagte einmal: „Kombinierter Verkehr ist der Ausdruck des Standes der Volkswirtschaft“. Tschechien und die Slowakei sind ein gutes Beispiel. Während es vor 15 Jahren aufgrund niedriger Fahrerlöhne schwierig war, im Wettbewerb anzubieten, merken wir heute, dass sich die Wirtschaft dort gut und schnell entwickelt. In solchen Märkten etablieren wir uns dann nach und nach. Unser Vorteil ist der geringe Personaleinsatz und zunehmend auch, dass wir von fossilen Brennstoffen unabhängiger sind als der Lkw-Verkehr. Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) hat gerade eine Studie zur Preisentwicklung veröffentlicht, die zeigt, wie die Kosten im Straßenverkehr aufgrund der erhöhten Dieselpreise erheblich gestiegen sind. 
 
Die Bundesregierung hat sich 2010 von ihrem politischen Ziel, Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, weitgehend verabschiedet. Braucht der Güterverkehr mehr politische Unterstützung?
Wir brauchen keine Subventionen, sondern verlässliche Rahmenbedingungen. Subventionen führen zu Verwerfungen am Markt. Wenn zum Beispiel die Schweiz plötzlich aufgrund einer Wirtschaftskrise – wie 2009 geschehen – den Schienengüterverkehr stärker fördert, führt dies vielfach dazu, dass Sendungen, die normalerweise über den Brenner laufen, wegen des Preiseffekts kurzfristig über die Schweiz geführt werden. Als Kombiverkehr plädieren wir seit Jahren dafür, dass man die Rahmenbedingungen für den Güterverkehr auf der Schiene in Korridoren europaweit konstant hält. Wichtiger als kurzfristige Förderungen ist für mich die Berechenbarkeit der Rahmenbedingungen. Heute weiß ich noch nicht, wie sich 2015 die Trassenpreise auf der Strecke München?–?Verona verändern werden.

Sollen die Trassenpreise früher veröffentlicht werden?
Es wäre gut, wenn es eine europaweite Preisstrategie gäbe. Unser Equipment ist Europa-Equipment. Von 950?000 Sendungen fahren wir rund 700?000 international. Doch Europa ist ein Flickenteppich, mit unterschiedlichen nationalen Strategien, zum Beispiel bei den Trassenpreisen. Hier wäre eine abgestimmte Strategie hilfreicher als alle Förderprogramme. Wichtig finde ich auch, dass wir in Europa eine konsequente Politik beim Ausbau der Terminals haben.
 
Europa gibt ab Ende 2013 dem Güterverkehr in den Korridoren Vorrang vor dem Personenverkehr. Was halten Sie davon?
Wenn die Netzbetreiber auf die Notwendigkeiten der Unternehmen Rücksicht nehmen, kommen auch künftig alle gut ins Schienennetz.

Vernünftiges Zusammenarbeiten statt Regulierung.
Die Netzbetreiber wissen sehr wohl, wer ihre Kunden sind und was möglich ist und was nicht. Ob das viele Regulieren uns wirklich immer weiter bringt? Wichtig ist für uns Konstanz bei den Normen, auch im Straßenverkehr. Dies wird den Vertretern des Schienenverkehrs oft als Innovationsfeindlichkeit ausgelegt, aber wenn man etwas kombinieren will, müssen die Gefäße und Umschlagsysteme passen. Wenn das Maß für Sattelauflieger von 13,60?m auf 14,90?m erhöht wird, dann können wir bestimmte Ladeeinheiten nicht mehr transportieren. Man sollte in den Rahmenbedingungen auf Kompatibilität achten. Natürlich soll jeder sein System optimieren können, aber immer wieder die Maße 10?cm breiter, länger oder höher zu machen, hat mit Effizienz nicht wirklich viel zu tun. Eine Technikschlacht löst nicht die Probleme, sondern bereitet neue. Wenn wir in Waggons investieren, bei denen die europäische Politik von einem Tag auf den anderen entscheidende Maße verändern kann, haben wir bei den Finanzierungsgesprächen mit Banken eine schwierige Situation.

Der BGL hat sich unlängst für die Elektrifizierung der Autobahnen ausgesprochen. Damit wäre der Energievorteil der Schiene verschwunden.
Ich glaube nicht, dass das finanzierbar wäre. Außerdem ist die Oberleitung auch im Schienenverkehr mehr oder weniger eine europäische Entwicklung. Man könnte auch hier irgendwann einmal die Frage diskutieren, ob man bei der Schiene tatsächlich bei der Oberleitungstechnik bleibt. Denn der limitierende Faktor für eine Kapazitätserweiterung im -Güterverkehr ist die Oberleitung, die heute irgendwo zwischen 5,50?m und 6,20?m angebracht ist. Wir könnten im Schienengüterverkehr unsere Effizienz deutlich steigern, wenn wir Doppelstock verladen würden. Wenn man die Oberleitung stabil auf 6 m anbringen könnte, inklusive des Sicherheitsabstands, den wir brauchen, damit es zu keinem Überschlag kommt, könnten wir die ersten Versuche mit Doppelstock fahren. Und wenn wir ein System wie bei der S-Bahn hätten, bei der der Strom über eine U-Schiene abgegriffen wird, hätten wir natürlich nach oben hin Luft ohne Ende. Die Lokomotiven können wesentlich mehr ziehen. 
 
Seit 1. Juni gelten die lärmabhängigen Trassenpreise – was halten Sie davon?
Wir haben im Netzbeirat der Deutschen Bahn intensiv darüber diskutiert. Ich bin sehr dafür, das Lärmproblem zu lösen. Für Kombiverkehr haben wir entschieden, bis Ende des Jahres alle Wagen auf K-Sohlen umzurüsten. Grundsätzlich finde ich es nicht so glücklich, dass über steigende Trassenpreise gearbeitet wird, die zu Beginn noch relativ gering sind und man nicht weiß, wann und wie stark sie steigen werden. Meiner Meinung nach sollte das Anreizsystem so gestaltet sein, dass Früh-umrüster besser abschneiden als Spätentscheider. Das sehe ich im aktuellen System nicht gegeben. Im Sinne der Berechenbarkeit der Rahmenbedingungen sollte außerdem jetzt schon bekannt sein, wie die Beträge steigen werden.
Ein weiterer Vorschlag damals im Netzbeirat war, Wagenhalter und Eisenbahnverkehrsunternehmen organisatorisch zu trennen und wenn, dann die Wagenhalter direkt zu fördern. Bei den internationalen Verkehren, die wir fahren, sind wir Einzugsstelle, was einen hohen administrativen Aufwand bedeutet. Außerdem wissen wir nie, ob wir die geforderten 80?% auch erreichen. Ich vermisse auch hier eine europäische Lösung, in der Art, dass europaweit klar ist, dass ab 2020 keine Graugusssohlen mehr erlaubt sind. Das wäre ein eindeutiges Signal. Solange Betreiber ausländischer Wagen nicht umrüsten und wir mehr als 20 Prozent dieser Wagen im Zug haben, können wir in Lärmschutz investieren wie wir wollen: Der Bürger wird den Zug als laut empfinden. Zu glauben, in einem 2- bis 3-Jahres-Zeitraum alle europäischen Güterwagen um-rüsten zu können, ist illusorisch. Die Werkstattkapazitäten im Güterverkehr sind augenblicklich nur darauf ausgerichtet, die Flotte zu warten und nicht darauf, kurzfristig 600?000 Wagen umzurüsten. Dieser Prozess muss geplant werden und geordnet in einzelnen Chargen über die Jahre verteilt stattfinden. 
 
Warum rüsten Sie auf K-Sohlen und nicht auf LL-Sohlen um?
Wir haben lange auf eine Zusage der Indus-trie, dass die LL-Sohle kommt, gewartet. Schließlich haben wir aufgrund unserer Erfahrungen mit der K-Sohle entschieden, dass wir auf die Kunststoffsohlen umrüsten. Dadurch, dass die erste Serie unserer neuen Taschenwagen, die wir hochfrequent fahren, mit Kunststoffsohle ausgeliefert wurden, haben wir eine gute Einschätzung des Bremsverschleißverhaltens der Wagen gewonnen und glauben, dass wir die Technik so weit im Griff haben, dass wir keine unkalkulierbaren Risiken hinsichtlich Flachstellen und Heißläufer eingehen. Sollte die LL-Sohle irgendwann einmal gut funktionieren, einsetzbar sein und tatsächlich effizient laufen, dann können wir uns den Einsatz noch einmal überlegen. Aber bis dahin setzen wir auf die K-Sohle. Sie wurde ja auch wesentlich weiter entwickelt. Mit den neuen Kunststoff-mischungen für die Bremsbacken sind wir ganz zufrieden.
Außerdem wird zukünftig sowieso mehr über die Zuglok und weniger über die Wagen gebremst werden, da die Eisenbahnbetreiber immer mehr versuchen, Bremsenergie in Rückspeisungsenergie zu verwandeln. Wir sprechen mit der Industrie über Software-Updates, damit die Leistungsfähigkeit der Schiene bei der Rückspeisung noch stärker wird. Die Gutschriften für die Rückspeisung geben einen guten Anreiz, mehr mit der Loko-motive zu bremsen als mit den Wagen. Der Flotten-Energieverbrauch ist im Schienenverkehr ein großes Thema.

Welche Möglichkeiten haben Sie, den Energieverbrauch zu senken?
Eine bessere Aerodynamik ist natürlich ein Weg. Sie zu erreichen ist allerdings bei uns schwieriger, weil wir viele unterschiedliche Bauarten von Ladeeinheiten befördern. Viele unserer Züge sind bunt zusammengewürfelt. Wir nehmen an einem Projekt teil, bei dem es darum geht, die Aerodynamik im kombinierten Verkehr zu verbessern.
Ein großes Thema ist der Leichtbau von Waggons. Teilweise fahren noch die schweren Geschütze aus der Zeit, als wir Ende der 1960er Jahre angefangen haben. Damals musste ein Wagen 100% Funktionalität für alle Behälter haben. Heute sehen wir das anders. Beim Taschenwagen spezialisieren wir uns und machen ihn für den Sattelauflieger noch attraktiver. Daneben haben wir noch einige 4-achsige Tragwagen für den Transport von Wechselbehältern und Containern.
Dann kann man sich auch fragen, ob man wirklich immer Puffer braucht oder ob man nicht auch in 3er-Gruppen fahren kann. Nehmen Sie Gelenkwagen: Sie bedeuten nichts anderes als das Einsparen des Drehgestells und eines kompletten Puffer- und Kupplungssatzes. Und vielleicht werden wir zukünftig bei Waggongarnituren, mit denen wir sowieso immer nur hin und her pendeln, mit Schubstangen fahren.
Am effizientesten ist augenblicklich die Beladungsoptimierung. Wir setzen seit Kurzem ein neues Kapazitätsplanungstool ein, das es leichter macht, die Zusammenstellung des Wagenparks genauer auf die Güterstruktur abzustimmen. In die Berechnungen fließen die vorliegenden Buchungen, aber auch Erfahrungswerte aus der Vergangenheit ein. Mit diesem Tool können wir die Waggongarnitur gewichts- und längenmäßig der zu erwartenden Zugabfahrt weitgehend anpassen und erreichen damit sowohl eine höhere Energie- als auch Gesamteffizienz der Züge. Dieses Tool werden wir weiter verfeinern, besonders auch im Hinblick auf die Tatsache, dass wir bei Kombiverkehr schon zu 30?% Umsteigeverkehre haben, das heißt Güter in unserem sogenannten Gatewaysystem in den Terminals umgeladen werden.

Was können Sie tun, um das Gateway-System zu optimieren?
Damit das Gateway-System in seiner Struktur und in Effizienz nicht dem Zufall unterliegt, führen wir bis Ende des Jahres flächendeckend in den großen Terminals das Kapazitätsmanagementsystem ein, mit dem wir jeden Zug immer wieder durchrechnen, ob er auch optimal beladen ist. Dann haben wir die Möglichkeit, dem Kunden die ganze Verbindung anzubieten, beispielsweise Hamburg?–?Verona, aber nicht mehr den einzelnen Zug. Ist eine Ladung nicht zeitkritisch, kann sie beispielsweise ab München mit einem anderen Zug weitertransportiert werden.

Sie haben die Erfahrungen Ihrer Mitarbeiter in ein IT-Tool umgesetzt.
Know-how ist das A und O in unserem Geschäft. Die Kunden kommen nicht zu uns, weil wir ein Produkt besonders günstig herstellen, sondern weil wir eine große Erfahrung haben im Umgang mit Ladung und den Wünschen unserer Kunden. Wir haben Erfahrungswerte im Hinblick auf die saisonale Verteilung, die typischen Wochengangs-linien oder die -Buchungskonstanz der Kunden im Hinblick auf ihre Verladerstruktur. Diese Erfahrungswerte fließen in das Kapazitäts-managementsystem ein. Nicht voll ausgelastete Züge beinhalten finanzielle Risiken.

Das schmerzt.
Das schmerzt extrem. Kombinierter Verkehr ist der unendliche Kampf um die beste Beladung.

Welche Marktveränderungen beobachten Sie?
Die Struktur unserer Kunden hat sich geändert. Deutschland war aufgrund der Mittelstandspolitik klassisch sehr regional strukturiert. Heute sind unsere Kunden vielfach europaweit tätig. Sie erwarten europaweit die gleiche Qualität und ein durchgehendes Buchungssystem. Deswegen arbeiten wir auch in diesen Bereichen mit unseren Partnern zusammen an neuen IT-Lösungen, von europaweit zugänglichen Servern, über die alle Statusinformationen abgerufen werden können, über automatisierte Verspätungsbenachrichtigungen über E-Mail bis hin zu automatisierten Buchungssystemen.

Planen Sie neue Verbindungen?
Andauernd. Sie entwickeln sich aus den Märkten und unseren Erfahrungen. Wir haben beispielsweise festgestellt, dass eine Transportverbindung mit Fähre ein gutes und wettbewerbsfähiges Produkt ist, denn ich muss den Hafen mit einer hohen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit anbinden, damit die Züge tatsächlich die Fähre erreichen. So hat sich die Verbindung in die Türkei über Triest entwickelt, die uns neue Märkte öffnet. Wir haben eine starke Verbindung von Verona nach Nord-Tschechien und Polen aufgebaut, mit völlig neuen Partnern. In Rumänien haben wir schon öfter neue Verbindungen probiert; letztes Jahr haben wir beispielsweise einen Versuch mit Konstanza gemacht. Das hat zwar aus Sicherheitsgründen noch nicht so richtig funktioniert, dennoch bin ich mir sicher, dass das eine starke Region wird. Für uns sind alle Märkte interessant, wo wir große Transportströme identifizieren – in beide Richtungen. Wenn alle Faktoren passen, ist Europa grenzenlos. Wir verabschieden uns dabei von unserer traditionellen Ausrichtung, dass jeder unserer Züge Deutschland frequentieren muss. Das ist nicht mehr das A und O, es gibt noch andere Destinationen.

Wird Ihre Gesellschafterstruktur auch internationaler?
Einzige Voraussetzung für Kommanditisten ist, dass sie Transportunternehmer sind. Wer sich engagieren will, ist herzlich willkommen.

Wie entspannen Sie sich?
Mit Handwerk. Aktuell baue ich gerade um, aber ich schraube auch gerne an Autos herum. Mich entspannt das sehr. Ich kann stundenlang mit großer Freude herumbasteln.

Danke für das Gespräch.

 

 

(Das Gespräch führte Dagmar Rees)


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Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 6/2013
Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 6/2013