Interviews

Dr. Martin Henke

Mehr Verkehr hält die Zahl der Vorhaben hoch

Dr. Martin Henke, Geschäftsführer Eisenbahnverkehr beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), zur Neuauflage der Infrastrukturmaßnahmenliste 


Herr Dr. Henke, der VDV hat unter Mitwirkung des Aufgabenträgerverbandes BAG-SPNV die Maßnahmenliste veröffentlicht, in der die aus Sicht der Nutzer sinnvollen Infrastrukturausbauten enthalten sind. Warum machen sich die Verbände diese Mühe, obwohl sie sich bei der Erarbeitung des neuen Bundesverkehrswegeplans mehr als zuvor einbringen konnten?

Die Maßnahmenliste dient dazu, die Nutzerinteressen beim Netzausbau zu artikulieren. Bei jeder Überarbeitung hat die Liste an Präzision und inhaltlicher Qualität gewonnen. Es freut mich sehr, dass das nicht ohne Folgen geblieben ist. Viele Projekte sind für den Bundesverkehrswegeplan bewertet worden und haben es in den vordringlichen Bedarf geschafft. Man darf aber nicht vergessen, dass noch nicht alle Maßnahmen abschließend bewertet sind. Außerdem wird es diesmal nicht 13 Jahre bis zur nächsten Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes dauern. Deshalb lohnt es sich, jetzt weiterzuarbeiten, um den Druck zugunsten nutzerorientierter Investitionsplanungen aufrecht zu erhalten.

Auch die vergangenen VDV-Maßnahmenlisten enthielten jeweils 400 oder mehr Ausbauvorschläge. Seit Vorlage der Liste aus dem Jahr 2015 sind aber 42 Projekte angefangen oder vollendet worden. Der Berg an Vorhaben scheint also gar nicht abzuschmelzen.

Bei den üblichen Planungs- und Bauzeiten ist es gar nicht wenig, wenn ca. 10 % der Maßnahmen innerhalb von zwei Jahren erheblich vorangekommen sind. Aufgrund steigender oder geänderter Verkehrsbedürfnisse wird die Zahl der Vorhaben aber insgesamt nicht kleiner.

Die VDV-Maßnahmenliste umfasst auch Projekte, die dazu dienen, die Kapazität auf überlasteten Abschnitten zu steigern. Beobachter fragen sich, warum solche Engpässe in der  Liste auftauchen, wenn der Netzbetreiber doch verpflichtet ist, sie nach einem gesetzlich vorgegebenen Verfahren zu beseitigen. Wer kommt hier den Verpflichtungen nicht nach?

Bei überlasteten Schienenwegen sieht das ERegG nur eine Kapazitätsanalyse und einen Plan zur Kapazitätserhöhung vor. Leider lässt das Gesetz deren Finanzierung oder die Beschleunigung der Planungsverfahren offen. Daher müssen die Nutzer weiter Druck beim Bund und allen anderen Beteiligten machen, die Engpässe zu beseitigen.

Die Ausrüstung von Strecken mit ETCS wird in der rund 400 Vorhaben umfassenden Liste nur an einer Stelle erwähnt, nämlich an einem polnisch/deutschen Grenzübergang. Ist die Ausrüstung der Strecken mit ETCS kein Projekt, das den Infrastrukturnutzern wichtig ist?

Die Liste gibt wieder, welche Vorhaben aus Sicht der Nutzer Vorrang haben. Angesichts großer Skepsis gegenüber ETCS wundert es nicht, dass kaum Vorhaben in diesem Bereich genannt wurden. Das wird sich erst ändern, wenn die Frage der Finanzierung insbesondere der On Board Units sichergestellt ist und der Wildwuchs der Softwareversionen überwunden ist.

Die Liste enthält ja nun keine Priorisierung. Wie sollen DB Netz und Bund angesichts begrenzter Mittel entscheiden, welche Bauvorhaben als erste in Angriff genommen werden?

Der Bund entscheidet auf der Grundlage von Gutachten, ob ein Projekt vordringlich ist. Selbst vordringliche Projekte können aber nicht alle auf einmal gebaut werden. Deshalb übergeben wir dem Bund und der DB Netz AG nicht nur die Listen, sondern führen umfangreiche Abstimmungsgespräche. Dabei spielt auch die Frage eine große Rolle, was sinnvollerweise wann in Angriff genommen wird. 

Artikel von Interview aus Rail Business, Ausgabe 20/17
Artikel von Interview aus Rail Business, Ausgabe 20/17