Interviews

Dr. Roland Bänsch

"Schienengüterverkehr braucht Innovation"

Sie treiben die Entwicklung eines neuen Güterwagens voran, der auf Kompatibilität mit dem Bestand ausdrücklich verzichtet. Warum?

Seit Jahrzehnten wird über Innovationen im Güterverkehr nachgedacht, es wurde viel geforscht und entwickelt. Dennoch hat sich seit der flächendeckenden Einführung der Druckluftbremse in den 1950er Jahren im Güterverkehr auf der Schiene nichts Grundlegendes mehr verändert. Der Grund dafür ist, dass von neuen Konzepten verlangt wird, das bestehende System vollumfänglich zu bedienen, um die getätigten Investitionen zu schützen. Neue
Güterwagen müssen daher kompatibel zu den Güterwagen des Bestandes sein. Die negative Erfahrung mit den Innovationsversuchen in den vergangenen Jahrzehnten lehrt, dass das aber nicht möglich ist. Deswegen muss man die Forderung nach Kompatibilität zum Bestand aufgeben.

Warum sollte das bestehende System im Güterverkehr geändert werden?

Der Marktanteil der Schiene im Güterverkehr ist seit den 1950ziger Jahren von über 50 % auf unter 20 % gefallen. Und der heutige Anteil der Schiene von 17,5 % gibt den Anteil am Transportmarkt nicht richtig wieder, weil er in Tonnenkilometern gemessen wird, bei der die Massengütertransporte auf der Schiene höher gewichtet werden. Bezogen auf Transportaufträge oder Standardeinheiten wie TEU ist der Anteil der Schiene am gesamten Transportaufkommen bereits heute einstellig. Der Güterverkehr ist bei vielen Transporten nicht wettbewerbsfähig und das trotz günstiger Leistungskosten.

Der Schienengüterverkehr bedient ein klar definiertes Segment des Transportmarktes. Läuft er Gefahr, von der Straße verdrängt zu werden?

Die Straße steht kurz vor einem großen Innovationssprung. Ich rechne damit, dass sich schon im kommenden Jahrzehnt das autonome Fahren im LKW-Verbund durchsetzen wird, zuerst noch mit Fahrer, im darauffolgenden Jahrzehnt schließlich ohne. Dann werden die Leistungsentstehungskosten der Straße auf dem Niveau der Schiene liegen. Die Straße wird dann nahezu jeden Transportbedarf flexibler und günstiger befriedigen können.

Wie sähe das neue System im Güterverkehr aus?

Grundsätzlich werden Aufbau und Fahrgestell wie bei einem heutigen Container-Tragwagen keine Einheit mehr bilden. Dies wird auch bei den Massengütern der Fall sein. Hintergrund ist, dass auf diese Weise, die Laufleistung der Fahrwerke über entsprechende Zug- und Verkehrskonzepte deutlich gesteigert werden kann. Dies ist der Schlüssel für eine höhere Wirtschaftlichkeit einerseits und schafft andererseits auch den finanziellen Spielraum zukunftsweisende Fahrzeugkonzepte realisieren zu können. Die Laufleistung dieser Fahrgestelle kann bei über 200 000 km p. a. liegen statt den durchschnittlich 25 000 km p. a. der heutigen Güterwagen.

Heute werden nur Güterwagen gekauft, die mit dem Altbestand kompatibel sind, um deren Vermögenswert zu schützen. Woher sollte der Anreiz kommen, die neuen, mit dem Bestand nicht mehr kompatiblen Wagen zu kaufen?

Wir wollen mit dem Konsortium Competitive Freight Wagon CFW bis 2020 mehrere Züge mit den neuen Wagen in Betrieb bringen, um in der Praxis zu zeigen, dass das innovative Konzept wirtschaftlich ist und der Bahn attraktive Marktsegmente erschließen kann. Sie sind voll kompatibel mit den heutigen Containern und Wechselbehältern und durch die Verwendung von Verbundmaterialien deutlich leichter, wodurch höhere Nutzlasten oder geringere Fahrzeuggesamtgewichte möglich werden. Die Fahrzeuge werden energieeffizienter und halb so laut sein wie heutige Güterwagen mit Verbundstoffbremsklotzsohlen. Wir nehmen damit die sich abzeichnende weitere Verschärfung der Lärmgrenzwerte vorweg und leisten einen Beitrag zur Zukunftssicherheit des Schienengüterverkehrs. Die Zeit für die heutigen Güterwagenkonzepte läuft hingegen ab.

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Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 11/2014
Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 11/2014