Interviews

Gerd-Axel Ahrens

"Subjektförderung statt Objektförderung"

 

1. Herr Ahrens, Sie plädieren in ländlichen Gebieten dafür, weg von der Objektförderung hin zu einer Subjektförderung zu kommen? Warum?

Das gilt nicht in in den Gebieten, wo der ÖPNV noch Sinn macht und genügend Nachfrage hat. Aber dort, wo die Wohndichte ganz dünn ist, sind die Haushalte zu nahe 100 % Prozent motorisiert. Vereinzelt gibt es ältere Menschen, die nicht mehr Auto fahren können, oder Haushalte, die sich kein Auto leisten
können. Hier funktioniert oft noch die Nachbarschaftshilfe. Die Menschen, die weder ein Fahrzeug haben noch jemanden haben, der ihnen hilft, sind dann sehr wenige. In diesen Härtefällen gezielt Hilfen zu geben kann wesentlich kosteneffektiver sein, als einen weitgehend ungenutzten öffentlichen Nahverkehr für teures Geld, das an vielen anderen Stellen fehlt, in Regionen vorzuhalten.

2. Gerade der Schienenverkehr wird als Motor der Entwicklung für Regionen angesehen.

Das stimmt in Ballungsräumen. Hier nutzen 20.000 bis 30.000 Fahrgäste und oft noch mehr pro Tag eine S-Bahnstrecke. In der Fläche sind es dagegen täglich manchmal nur 300 bis 800 Personen, die eine Zugverbindung nutzen. Es ist schwierig bis unmöglich, bei einer zunehmend ausdünnenden Bevölkerung für die Verkehrsunternehmen eine auskömmliche Nachfrage zu erhalten. Stadt- und raumplanerisch ist es natürlich richtig, eine Schienenanbindung als Ausgangspunkt zu nehmen, um dort die Bevölkerung zu konzentrieren. Doch wenn Sie bedenken, dass ein Zugkilometer auf der Schiene vielleicht 15 EUR kostet, der Bus dagegen nur 1,50 bis 2 EUR, ist auf Strecken, wo nur wenige Menschen den öffentlichen Nahverkehr nutzen, der Bus auf jeden Fall günstiger und auch flexibler einzusetzen.

3. Regionalisierungsmittel gibt es nur für den Schienenverkehr – ist das falsch?

Die Regionalisierungsmittel sollten nicht ausdrücklich nur den SPNV fördern, sondern alle Mobilitätsoptionen der Menschen, um ihre Teilhabe am öffentlichen Leben auch ohne Auto zu sichern. Die Möglichkeit der Teilhabe ist Bestandteil der Daseinsvorsorge und als solche verfassungsmäßig garantiert. Sachsen-Anhalt hat mit seinem Bussystem Bahn hier eine gute Lösung gefunden. Dabei sollte nach meiner Meinung das Konzept der Daseinsvorsorge primär nur für die Menschen zur Anwendung kommen, die im ländlichen Raum notwendigerweise
wohnen. Wer in der Großstadt arbeitet und sich für ein Häuschen im Grünen entschieden hat, fällt nicht unbedingt unter diese klassische Daseinsvorsorge im eigentlichen Sinn. Diese Menschen wissen, dass sie ein Auto brauchen; gleichzeitig kosten ihre weiten Wege, die Erschließung und Versorgung ihrer
weit entfernten Grundstücke die Gesellschaft deutlich mehr als städtische Wohnlagen.

4. Teilhabe nicht mit steigender Mobilität verbunden?

Wir müssen genau unterscheiden: Verkehr ist das, was wir zählen, Mobilität ist die Möglichkeit, sich zu bewegen und am öffentlichen Leben teilzuhaben. Die Mobilitätskennziffern zeigen, dass sich hier wenig ändert. So liegt beispielsweise die Zahl der Wege pro Tag seit Jahrzehnten relativ konstant bei 3 bis 3,5. Doch die Wege werden aufgrund verschiedener gesellschaftlicher Entwicklungen immer länger. Damit ist nicht die werktägliche Mobilität gestiegen, sondern nur der Aufwand, den wir für sie treiben müssen.

5. Welche Maßnahmen sehen Sie im ländlichen Raum für sinnvoll an?

Wenn ein Landkreis Bevölkerung verliert, muss er seine Denkrichtung ändern und neue Wege beschreiten. Einige Lösungen sind schon etabliert, wie beispielsweise flexible Bedienformen. In Regionen, in denen die Bevölkerungsdichte auch dafür zu gering ist, könnte man auch über einen gemischten öffentlichen Verkehr von Personen mit Gütern nachdenken. Dort könnte der Apotheken-Expressdienst beispielsweise Menschen mitnehmen. Oder man sucht einen Ressourcenmix: Statt eine Anrufzentrale für den Rufbus vorzuhalten, nutzt man die Leistung der Taxizentrale mit – oder man stellt der bedürftigen Person gleich Taxi- Gutscheine aus. Im Einzelfall kann auch ein Zuschuss für die Anschaffung eines PKW für eine Familie eine sinnvolle Lösung sein.

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Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 7+8
Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 7+8