Interviews

Irmtraut Tonndorf

Es fehlt die Vision, dass Wettbewerb stärkt

Irmtraut Tonndorf, Kommunikationschefin des Kombi-Operateurs Hupac und Präsidentin der European Rail Freight Association (Erfa), der Lobby der Newcomer auf europäischen Schienen, über das 4. Bahnpaket

Wie beurteilen Sie das 4. Eisenbahnpaket, das jetzt informell „durch“ ist?
Mit dem 4. Eisenbahnpaket haben wir wichtige Meilensteine erreicht. Die „technische Säule“ vereinfacht Genehmigungsverfahren und Sicherheitsbestimmungen und reduziert die durch natio­nale Regeln verursachte Komplexität des Bahnwesens. Die europäische Eisenbahnagentur wird in den kommenden Jahren alle Hände voll zu tun haben, um die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors zu verbessern. Doch was die „politische Säule“ anbelangt, bleibt der Fortschritt weit hinter den Erwartungen zurück.

Was enttäuscht Sie?

Die EU-Kommission hatte das ehrgeizige Ziel verfolgt, den Bahnsektor konsequent auf Marktöffnung und Kundenorientierung auszurichten. Nach zahlreichen Abstimmungsrunden ist davon nicht viel übrig geblieben. Die vorgesehenen Maßnahmen wurden so verwässert, dass ihnen der erforderliche Biss fehlt. Ein Beispiel: Dialog ist innerhalb des Sektors von vitaler Bedeutung, um mehr Kundenorientierung und besseren Service zu erreichen. Doch offensichtlich fürchtet man Konsultation und Konfrontation wie der Teufel das Weihwasser: Institutionalisierte Dialogmomente wurden zwar eingeführt, doch diese müssen nicht mehr als einmal pro Jahr durchgeführt werden, ein verbindliches Follow-up ist nicht vorgesehen, und der Einbezug der Endkunden ist nicht klar definiert.

Woran hat es gelegen?

Offensichtlich fehlt in vielen Mitgliedstaaten die Vision, dass Wettbewerb den Bahnsektor nicht schwächt, sondern stärkt. Wenn die Bahn mit anderen Verkehrssystemen mithalten will, muss privates Kapital und private Initiative eingeschossen werden, und öffentliche Mittel müssen so eingesetzt werden, dass sie den größtmöglichen Nutzen stiften. Doch die Bahnmonopole haben sich – naturgemäß – mit Kräften zur Wehr gesetzt. Eine kurzsichtige Strategie. Das Verharren auf dem Status quo hat noch nie die Energie für Innovationen freigesetzt.

Welche Aspekte der Einigung stören Ihren Verband am stärksten?
Das wichtigste Anliegen des 4. Bahnpakets war es, allen Marktteilnehmern gleiche Chancen einzuräumen. Die ehemaligen Staatsbahnen sollen durch die Verbindung mit dem Infrastrukturbetreiber innerhalb einer Holdingstruktur keine Wettbewerbsvorteile gegenüber konkurrierenden Bahnen haben, ganz gleich ob dies nun Privatbahnen oder Staatsbahnen im Ausland sind. Doch alle Regelungen, die dies erreichen sollten – Stichworte sind „Trennung von Infrastruktur und Betrieb“ oder „chinesische Mauern“ – konnten nicht oder nur teilweise durchgesetzt werden. Was bleibt, ist der Regulator. Wir begrüßen starke Regulatoren. Doch der beste Regulator hat in offenen, funktionierenden und prosperierenden Märk­ten so gut wie nichts zu regulieren.

Wie wird sich der Schienengüterverkehr entwickeln?
Wir sehen positive Zeichen: Die technische Harmonisierung senkt die Kosten und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit. Die Agentur wird eine proaktive Rolle bei der Überwindung nationaler Regeln spielen. Und die neun europäischen Güterverkehrskorridore gehen bereits ihre ersten Schritte auf dem Weg zu pragmatischer, grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Drei Faktoren sind entscheidend: Die Bereitschaft zum Systemdenken über den jeweiligen Tellerrand hinaus, der klare Fokus auf Kosten, Qualität und Service und der politische Wille, das Bahnsystem regulatorisch weiterzuentwickeln.

Frau Tonndorf, danke für das Gespräch.

Artikel von Interview aus Rail Business, Ausgabe 18/16
Artikel von Interview aus Rail Business, Ausgabe 18/16