Interviews

Jürgen Hüllen

"Lärm-Lösungen müssen gemeinsam entwickelt werden"


Das ist die Überzeugung von Jürgen Hüllen. Und wie er sich das vorstellt vertraute er ETR-Fünf-Fragen im November 2011 an.

 

1. Herr Hüllen, ab Dezember 2012 soll es in Deutschland lärmabhängige Trassenpreise geben. Was halten Sie als Wagenhalter und als Vorsitzender der Vereinigung der Privatgüterwagen-Interessenten (VPI) davon? 

Ich bin davon überzeugt, dass wir in der Frage der Reduktion der Lärmbelastung etwas tun müssen, um in der Bevölkerung die notwendige Akzeptanz für den Ausbau des Schienengüterverkehrs und die dafür notwendige Infrastruktur zu bekommen. Also geht es in dieser Diskussion um die optimalen technischen Lösungen und aus Sicht der Wagenhalter um das „richtige“ Umsetzungsmodell.

 

2. Stellt das Eckpunktepapier die richtigen Weichen? 

Bei Neubauten ist in Bezug auf Lärmreduktion schon einiges passiert. So gibt es seit der Einführung von TSI Waggon bzw. Noise keine Zulassung mehr, wenn die entsprechenden Lärmgrenzen nicht eingehalten werden. Jetzt geht es um Änderungen in der Bestandsflotte. In Europa haben wir rund 600.000 Güterwagen. Will man alle in einem überschaubaren Zeitraum umrüsten, ist das ein sehr anspruchsvolles Programm. Insofern sind wir mit dem Vorstoß der Bundesregierung und der Deutschen Bahn zur Einführung eines lärmabhängigen Trassenpreissystems insgesamt einverstanden. Allerdings sehen wir einige Punkte kritisch und Einiges, für das die notwendigen Voraussetzungen erst noch geschaffen werden müssen.

 

3. Wo liegen die Schwachstellen?

Das ganze System wird nicht funktionieren, wenn nicht rechtzeitig zum vorgesehenen Start des lärmabhängigen Trassenpreissystems Dezember 2012, also spätestens Mitte des kommenden Jahres, LL-Sohlen zugelassen sind. Denn die LL-Sohlen - und nicht nur von einem Hersteller, sondern von mehreren, weil es sonst ein Kostenproblem für die Wagenhalter geben kann – müssen zugelassen und produziert sein, bevor mit dem Umbau begonnen wird. Der zweite Punkt betrifft die geforderten Laufleistungsdaten. Das lärmabhängige Trassenpreissystem bezieht sich auf die Laufleistungen von Waggons innerhalb des deutschen Netzes. Die Laufleistungen werden außerhalb der Deutschen Bahn, die hierfür ein eigenes System hat, allerdings nicht erfasst. Um diese Lücke zu beheben, arbeiten wir von der VPI zur Zeit auf europäischer Ebene in unserer Dachorganisation UIP daran, eine Datenplattform zu entwickeln, in die die Eisenbahnverkehrsunternehmen, sowohl die staatlichen als auch die privaten, die entsprechende Laufleistungen einstellen können. Ein weiteres Thema ist, dass Güterwagen, anders als die überwiegende Zahl der Personenzüge, in ganz Europa verkehren. Uns als Halter fällt es schwer, zu sagen, wo in Europa unsere Wagen laufen werden, denn das entscheiden nicht wir als Halter, sondern die Mieter, die mit unseren Wagen ihre Transporte abwickeln. Voraussetzung für die Förderung des Umbaus ist jedoch, dass unsere Wagen innerhalb der acht Jahre der Förderung in ausreichendem Umfang auf dem deutschen Netz laufen. Insofern ist es für den Wagenhalter im Vorhinein relativ unklar, ob er überhaupt die Fördermittel für den Umbau erhalten wird. Auch bezweifeln wir, ob die Förderungshöhe als Anreiz zum Umbau der Bestandsflotte hoch genug ist. Neben den reinen Umbaukosten verursachen Verbundstoffsohlen einen erheblich höheren Verschleiß an den Radsätzen. Diese höheren Instandhaltungskosten müssten durch eine höhere Förderung berücksichtigt werden, wenn es eine Anreizwirkung geben soll. Wir haben allerdings nur noch wenig Zeit, diese Punkte zu klären, denn das neue Trassenpreissystem muss am 9. Dezember in den neuen Schienennutzungsbedingungen der DB veröffentlicht werden, damit es ab Dezember 2012 angewendet werden kann.

 

4. Sie haben als VTG kürzlich verschiedene neue lärmreduzierende Techniken wie ein leises Drehgestell-Laufwerk, ein Lärm minderndes Radsatzbeschichtungssystem und eine schallgedämpfte Radsatzscheibe getestet. Was waren die Ergebnisse? 

Im Ergebnis waren wir mit keiner dieser Einzellösungen bezogen auf den kompletten Wagen voll zufrieden. Als Wagenhalter sehe ich das Gesamtsystem Eisenbahngüterwagen. Nur der Waggon als Ganzes wird einem TSI Noise-Lärmtest unterzogen, ein Messsystem für Einzelkomponenten gibt es nicht. Die Einzelmaßnahmen wirken nicht additiv, in einigen Fällen schließt sich ihre Anwendung sogar wechselseitig aus. Hier muss die Industrie weiterarbeiten und auch erheblich mehr in die Entwicklung von Innovationen investieren. Hinzu kommt, dass wir bei Neuwagen damit rechnen müssen, dass mit der Überarbeitung der TSI Waggon/TSI Noise noch einmal geringere Lärmemissionswerte auf uns zu kommen.

 

5. Reichen Änderungen am Waggon für die Erhöhung der Akzeptanz des Schienengüterverkehrs aus?

Das Gleis, also Schiene und Schwelle, strahlt mehr als die Hälfte des Lärms des Rollgeräusches ab. Auch die Infrastruktur muss am Thema Lärm arbeiten. In der TSI Infrastructure müssen deshalb ebenfalls maximale Lärmwerte definiert werden. Die technischen Lösungen müssen von der Waggonbauindustrie, den Wagenhaltern und den Infrastrukturbetreibern gemeinsam entwickelt werden. Sonst werden wir das gewünschte und notwendige Ergebnis nicht erreichen.

 

<link file:1517 _blank download file>Hier können Sie sich das ganze Interview als pdf herunterladen.

Artikel von Kurzinterview aus der ETR, Ausgabe 11/2011
Artikel von Kurzinterview aus der ETR, Ausgabe 11/2011