Interviews

Michael Cramer

„Einige Punkte sind schwammig formuliert"

Michael Cramer (Grüne) begrüßt, dass mit der Einigung zur politischen Säule des 4. Eisenbahnpakets der Weg frei wird zum Inkrafttreten der technischen Säule. Der Preis ist jedoch, dass vieles abgeschwächt oder verschoben wurde.

1. Wie beurteilen Sie die jetzt zustande gekommene Einigung zum politischen Teil des 4. Eisenbahnpakets?
Es war höchste Zeit, dass die EU-Verkehrsminister ihre Position zum 4. Eisenbahnpaket festlegen. Monatelang haben sie die Verhandlungen blockiert. Dass es jetzt geklappt hat, ist sicher der luxemburgischen Verhandlungsführung zu verdanken. Sie hat die harte Linie „keine Direktvergaben“ ab­geschwächt. Die Einigung wurde möglich, weil man auf wirkungsvolle Veränderungen weitgehend verzichtet oder sie in die Zukunft verschoben hat. Es müssen nun schnellstmöglich Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament beginnen, um noch offene Fragen zu klären.


2. Die politische Einigung sieht vor, dass regionale Märkte noch für bis zu 25 Jahre geschützt werden können. Was halten Sie davon?
Die Einigung sieht eine Übergangsfrist bis 2026 vor. Wenn in diesem Jahr noch einmal ein Vertrag mit 15 Jahren Laufzeit vergeben wird, ist es möglich, den Wettbewerb bis 2041 hinauszuschieben. Ich bedauere, dass damit die Reziprozität aufgegeben wird. Wer frei auf anderen Märkten agieren will, sollte die Konkurrenz auch auf dem eigenen Markt zulassen. Es geht nicht an, dass beispielsweise die Pariser RATP Verträge im Ausland gewinnt, also vom freien Markt profitiert, und sich im Inland durch Direktvergaben gegen Konkurrenz abschotten kann.

3. Worauf sollte bei den jetzt noch folgenden Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament besonders geachtet werden?
In den Texten sind einige Punkte schwammig formuliert. So heißt es, dass es weiter Direktvergaben an städtische Unternehmen geben soll, doch wo zieht man die Grenze zwischen Stadt und Umland? Heutzutage reicht der Nahverkehr meist über die Stadtgrenzen hinaus. Ich werde mich außerdem dafür einsetzen, dass die Übergangsfristen verkürzt werden. Wenn man heutige Probleme lösen will, kann man die notwendigen Maßnahmen nicht auf 2041 verschieben.
Bei der Integration von Netz und Betrieb werden wir uns vor allem für mehr Transparenz bei den Finanzströmen innerhalb der Eisenbahnkonzerne einsetzen, damit Steuergelder effizienter für einen besseren und umweltfreundlicheren Schienenverkehr verwendet werden. Die „Chinesische Mauer“ zwischen Infrastruktur und Verkehr muss funktionieren, um zu verhindern, dass mit den Gewinnen aus der Infrastruktur Wettbewerber aufgekauft oder Busunternehmen in den USA erworben werden. Die Infrastrukturgewinne müssen ins eigene Netz investiert werden.


4. Was bedeutet die Einigung für den technischen Teil des Eisenbahnpakets?
Mit dem Durchbruch beim politischen Teil des Eisenbahnpakets ist nun der Weg frei für die formale Annahme des technischen Teils. Die Europäische Union braucht einen harmonisierten Eisenbahnmarkt, der Schluss macht mit dem technischen Flickenteppich von heute. Zurzeit gibt es in der EU über 11 000 nationale Regeln für den Schienenverkehr. Die Autorisierung neuer Schienenfahrzeuge kann bis zu zwei Jahren dauern und bis zu 6 Mio. EUR pro Fahrzeugtyp kosten. Die Harmonisierungen im Eisenbahnpaket würden Zeitaufwand und Kosten um 20 % senken. Für einen Zeitraum von fünf Jahren wären das Einsparungen von rund 500 Mio. EUR für die europäischen Eisenbahnkonzerne.


5. Wann rechnen Sie damit, dass beide Teile in Kraft treten können?
Nachdem die Verhandlungen über die technische Säule vor dem Sommer abgeschlossen werden konnten, müssen wir jetzt konsequent am politischen Teil arbeiten. Ich denke, dass wir dann schon Anfang 2016 zu einer Einigung gelangen könnten.

 

<link file:1729 _blank download>Hier können Sie den Beitrag als pdf runterladen.

Artikel von Interview aus der ETR Ausgabe 11/2015
Artikel von Interview aus der ETR Ausgabe 11/2015