Interviews

Oliver Wolff

„Gesetzgeber muss an Verkehrswende mitwirken“

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) arbeitet an einer Produktivitätsoffensive für den Güterverkehr. Welche Maßnahme würde Ihrer Ansicht nach den größten Produktivitätsschub bringen?
Es gibt nicht die eine Maßnahme, die den Erfolg garantiert. Es ist eine ganze Reihe von Projekten, die über einen längeren Zeitraum umgesetzt werden müssen. Die Branche hat erkannt, dass sie Nachholbedarf in punkto Innovationen und Optimierung von Abläufen hat. Deshalb haben wir gemeinsam mit unseren Mitgliedsunternehmen 33 Maßnahmen identifiziert und daraus acht Projekte ins Leben gerufen an deren Umsetzung gearbeitet wird.
Unter den acht Projekten zur Steigerung der Produktivität befinden sich nur zwei Projekte, die Eigeninitiative der Eisenbahnunternehmen erfordern, nämlich „höhere Auslastung“ und „Multimodalität“ – beide mit Intensivierung des Informationsaustausches und Änderungen im Betrieb. Für alle anderen Projekte sind entweder Mittel oder Maßnahmen der Politik, der Infrastrukturbetreiber oder der Industrie erforderlich. Ist es nicht so, dass die VDV-Bahnen damit nur zu einem sehr kleinen Teil Einfluss auf den Erfolg ihrer Produktivitätsoffensive haben?
Im Grunde funktionieren alle diese Projekte immer nur im Zusammenspiel von Unternehmen, Kunden, Industrie und politischen Entscheidern. Das ist bei Innovationen in anderen Branchen auch nicht anders. Nehmen Sie als Beispiel die jüngsten Vereinbarungen der Automobilindustrie mit der Bundesregierung zu den Elektroautos. Wenn man eine Verkehrswende will und dafür immer wieder eine deutliche Steigerung des Transportanteils beim Schienengüterverkehr verlangt, dann muss man als Gesetzgeber aktiv daran mitwirken, also die Rahmenbedingungen so gestalten, dass die Branche wachsen kann. Wir wollen allerdings auch nicht nur warten, was von der Politik kommt, sondern mit unserer Produktivitätsoffensive ein Signal senden: Die Branche ist bereit, sich den künftigen Herausforderungen zu stellen und aktiv ihren Beitrag zu leisten.
Viele produktivitätssteigernde Komponenten sind bereits entwickelt; jedes Eisenbahnunternehmen oder jeder Wagenhalter könnte sie kaufen und einsetzen. Warum werden beispielsweise leise und Energie sparende Drehgestelle und automatische Kupplungen nicht eingebaut?
Das ist ein entscheidender Punkt: Wo kann und muss die Branche selber mehr Initiative ergreifen? Die automatische Kupplung sorgt für betriebliche Optimierungen, das ist bekannt. Aber die Anfangsinvestitionen sind natürlich hoch. Es bedarf deshalb einer gemeinsamen Entwicklungsstrategie aller Beteiligten: Unternehmen, Wagenhalter, Aufsichtsbehörden und Politik.
Der VDV erklärt, die Eisenbahnen bräuchten wieder Rahmenbedingungen in Europa, in denen Schienengüterverkehr wachsen kann und nicht verhindert wird. Die EU-Kommission wird sagen, mit dem 4. Eisenbahnpaket sei sie gerade dabei, die Position der Bahnen zu verbessern. Schafft das 4. Eisenbahnpaket ihrer Ansicht nach die Rahmenbedingungen, die Sie sich wünschen?
Wir brauchen in Europa dringend eine bessere Harmonisierung und Interoperabilität. Durch das 4. Eisenbahnpaket sollen in diesen Punkten entscheidende Verbesserungen erreicht werden, das begrüßen wir. Gleichzeitig muss man aber sowohl beim deutschen Gesetzgeber als auch bei der EU aufpassen, dass aus politisch definierten Leitplanken keine Überregulierung wird. Denn durch Überregulierung und Bürokratisierung ist noch kein Markt erfolgreicher geworden.

Artikel von Interview aus Rail Business Ausgabe 6/16
Artikel von Interview aus Rail Business Ausgabe 6/16