Bernhard Wewers

"Nah-, Fern- und Güterverkehr im Deutschland-Takt"


Der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) hat seit der Bahnreform eine beeindruckende Erfolgsgeschichte geschrieben. Um 55 Prozent ist die Verkehrsleistung mittlerweile gewachsen. SPNV steht heute für pünktliche, schnelle, dicht getaktete und vernetzte Verbindungen – und für eine klare Orientierung an den Kundenwünschen.
Der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) konnte bisher keine vergleichbare Bilanz präsentieren. Die Verkehrsleistung veränderte sich seit 1994 nicht, die Fahrgastzahlen in Zügen des SPFV sanken sogar um 11,5 Prozent. Und das, obwohl seit 1994 20 Mrd. Euro in Infrastrukturprojekte geflossen sind, die ausschließlich oder ganz überwiegend dem Fernverkehr gedient haben.
Ich glaube, dass der Deutschland-Takt helfen kann, auch den Fernverkehr erfolgreicher zu machen. So wie wir das im Nahverkehr gemeinsam geschafft haben. Über 60 Prozent der Verkehrsnachfrage im Fernverkehr kommt aus Mittelzentren oder dem ländlichen Raum, nicht einmal 40 Prozent entfallen auf reine Metropolverbindungen. Die organisatorische und regulatorische Trennung von Fern- und Nahverkehr spiegelt das Nutzerverhalten der Bahn-Fernverkehrskunden damit nicht wieder. Bis heute fehlt eine vernünftige Abstimmung zwischen Fern- und Nahverkehr. Aufgrund der Nutzerstruktur  hat die Abstimmung für die Träger des Nahverkehrs heute keine Priorität. Die Fahrgäste brauchen aber flächenhat schnelle und häufie Verbindungen durch regelmäßige optimale Umsteigemöglichkeiten. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass Zugangebote koordiniert werden.
Die mit großen Investitionen verbundenen Geschwindigkeitsgewinne im Fernverkehr verpuffen weitgehend, wenn diese Koordination fehlt und Reisende an Bahnhöfen unnötig lange auf Anschlusszüge warten müssen. Der Aus- und Neubau der Schiene muss „vom Kopf auf die Füße gestellt“ und an langfristig vorab entwickelten integralen Fahrplänen orientiert sein. Die Schweiz zeigt die Vorteile einer solchen Planung. Dort gibt es nicht nur einen außerordentlichen Verkehrserfolg der Bahnen. Auch dank einer fahrplanorientierten Infrastrukturplanung hat die Schweiz mit etwa 130 Zügen pro Netzkilometer und Tag die höchste Zugdichte weltweit. In Deutschland liegt die Zugdichte etwa 35 Prozent unter diesem Wert.
Und der Güterverkehr? Seit 1994 ist der Güterverkehr auf der Schiene um 60 Prozent gewachsen. Weiteres Wachstum ist notwendig, um einen Verkehrskollaps auf der Straße zu verhindern und die wachsende Verkehrsnachfrage umweltschonend befriedigen zu können. Bereits heute ist die Kapazität der Schiene allerdings weitgehend ausgereizt.
Die Schweiz zeigt auch hier, dass der Güterverkehr erfolgreich in einen Taktfahrplan eingebunden werden kann. Standardisierte Trassen für den Güterverkehr werden von Beginn der Planung an in den Fahrplan aufgenommen und sind kurzfristig und diskriminierungsfrei verfügbar. Gute Erfahrungen macht die DB Netz AG mit dem Angebot von Katalogtrassen, die zu höherer Pünktlichkeit und Geschwindigkeitsgewinnen führen. Wer den Schienenverkehr weiterentwickeln will, braucht einen langen Atem und die Unterstützung aller wichtigen Akteure. Wir müssen jetzt mit dem Entwicklungs-konzept für die Schiene beginnen – der Deutschland-Takt ist als integraler Taktfahrplan eine gute Basis dafür.

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Artikel von Statement aus der ETR, Ausgabe 07+08/2012
Artikel von Statement aus der ETR, Ausgabe 07+08/2012