Maria Leenen

"Weltspitze bleiben dürfen"

Viel zitiert und diskutiert wird in diesen Tagen die Sorge um die Zukunft der deutschen und europäischen Bahnindustrie. Zu übermächtig sei die Konkurrenz aus China mit ihren fast 30 Mrd. EUR Fahrzeugumsatz, während Siemens, Alstom und Bombardier zusammen gerade mal auf 20 Mrd. EUR kommen.  Den Chinesen wird Technologieklau unterstellt – alternativ wird die Schuld bei den europäischen Firmen gesucht, die den Chinesen allzu bereitwillig die Technologie zur Verfügung gestellt hätten, mit der sie heute im Wettbewerb auf den Weltmärkten geschlagen werden. Politiker, Gewerkschaften und auch Unternehmensvertreter hoffen nun auf direkten oder wenigstens indirekten Protektionismus durch die deutsche oder europäische Politik.  Ist eine so gestaltete staatliche Intervention tatsächlich der einzige Hoffnungsschimmer für unsere Bahnindustrie, die noch bis vor wenigen Jahren den Weltmarkt angeführt hat?

Zunächst einmal dürfen wir nicht vergessen: Ohne die Joint Ventures und den meist solide vertraglich geregelten Technologietransfer hätten die europäischen Schienenfahrzeughersteller bereits deutlich früher Probleme bekommen: An dem riesigen, dazu über Jahrzehnte zweistellig wachsenden chinesischen Bahnmarkt haben  Bombardier, Alstom und Siemens ebenso wie die dazugehörigen Zulieferfirmen in der Vergangenheit erfolgreich partizipiert. Die ehrgeizigen Chinesen haben ihrerseits nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie die Technik und die Märkte irgendwann auch ohne Europäer beherrschen wollen und dieses irgendwann ist heute.

Die chinesischen Unternehmen decken den heimischen Bedarf längst weitgehend selbst und konzentrieren sich nun auf den Export. Dabei zielen sie noch auf die Drittmärkte der Etablierten, derzeit noch weniger auf deren Kernmärkte. Einen Wettbewerbsvorteil haben sie hier tatsächlich: Im Gegenzug zu Rohstofflieferungen bzw. mithilfe chinesischer Softloans werden für die betroffenen Länder neue Fahrzeugbeschaffungen oder Streckenausbauten aus China möglich. Darüber hinaus kocht die chinesische Bahnindustrie auch nur mit Wasser: Die Lohnkosten steigen auch in China, für Stahl gelten Weltmarktpreise, hochwertige Komponenten und spezielle Entwicklungen haben auch in China ihren Preis. In der heterogenen Bahnregion Europa warten zudem komplizierte und teure Zulassungsbedingungen, an denen bereits die heimische Industrie verzweifelt. Also alles halb so schlimm?

Ja, wenn die europäische  Bahnindustrie ihren Technologie- und Qualitätsvorsprung verteidigen kann. Genau hier aber liegt der Hase im Pfeffer. Im Zeitalter der digitalen Möglichkeiten ließe sich gerade das relativ geschlossene, für eine Automatisierung prädestinierte Rad-Schiene-System revolutionieren. Eine höhere Kapazitätsauslastung des Netzes, Optimierung des Asset- und Energieverbrauchs, Fahrerassistenzsysteme oder eine systematische Überwachung der Instandhaltung beim Fahrzeug wie beim Fahrweg scheitern oftmals weniger an der Innovation als an sich.

Es fehlt an der Möglichkeit, dies im starren und historisch gewachsenen rechtlichen Regelwerk für  Bahnen zu erproben, geschweige denn für den Normalbetrieb zuzulassen und damit  implementieren zu können. Hinzu kommt: In den öffentlichen EU-konformen Ausschreibungen für Fahrzeuge oder auch Verkehrsverträgen entscheidet alleine der Preis. Niedrigere Lebenszyklus- oder  höhere Transportqualität spielen im Entscheidungsranking oftmals eine untergeordnete Rolle. Was ist also zu tun? In der Tat sind Politik, aber auch ihre Bahnen und nachgeordneten Behörden gefragt, allerdings nicht in Form eines behütenden Protektionismus. Wir brauchen stattdessen eine Modernisierungsoffensive des historisch gewachsenen Regelwerks für Bahnbetriebe, aber auch den Willen zur Implementierung von Innovationen bei  Ausschreibungen. Unsere Bahnindustrie muss technologisch besser sein und bleiben, wenn sie im Wettbewerb mit den Chinesen bestehen will. Und das muss sie auch dürfen.

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Artikel von Standpunkt aus dem EI Ausgabe 8/2015
Artikel von Standpunkt aus dem EI Ausgabe 8/2015