Peter Westenberger

Wer die Verantwortung delegiert, hat‘s nicht kapiert

Peter Westenberger, Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), zur Notwendigkeit, Richtungsentscheidungen zu treffen, statt dem neuen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn Vorgaben zu machen

Bereits wenige Minuten nach Rüdiger Grubes Rückzug von der Spitze der Deutschen Bahn (DB) wurden die ersten potenziellen Nachfolger benannt, 24 Stunden später konnte man schon ein ganzes Skatblatt mit „Kandidaten“ bebildern. Nun suchen sie wieder einen „Bahnchef“, möglichst schnell! Doch immer mehr nachdenkliche Töne werden hörbar. Tenor: Die Politik macht keine klaren Vorgaben. Seltsam unklar bleibt dabei, welche Vorgaben „klar“ sein könnten: dass das Staatsunternehmen keinen finanziellen oder politischen Ärger macht, gutes Geld zahlt und nebenbei die Kraftfahrzeugschlange vor der eigenen Windschutzscheibe auf die Schiene verlagert. Die Quadratur eines Oktogons: nur eine Frage der Vorgaben? 

Könnte es nun so kommen, dass niemand Grubes Nachfolger werden will? Jedenfalls so lange, bis der Eigentümer die Zielkoordinaten widerspruchsfrei in eine Vision eines nachhaltigen Gesamtverkehrssystems einfügt? Denn hier beginnen die grundlegenden wirtschaftlichen Probleme der Schiene.

Der Schienenverkehr an sich hat das  Potenzial, zum „Verkehrsträger des 21. Jahrhunderts“ (Verkehrsminister Alex­ander Dobrindt, in Sonntagsreden) zu werden. Und zwar durch Modernisierung der Prozesse und Produkte entsprechend den Kundenbedürfnissen, durch motiviertes und leistungsfähiges Personal, fairen Wettbewerb vieler Betreiber in offenen Netzen und mit dem Rückenwind einer konsequenten Verkehrspolitik. 

Die Kundenorientierung machen die Wettbewerber der DB vor. Aber es fehlt auch für diese an der Verkehrspolitik, die die Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb schafft. Kein Zweifel: Diese Bundesregierung hat die Mittel für die Schieneninfrastruktur und den Lärmschutz deutlich erhöht. Sie hat Planungssicherheit bei den Nahverkehrsmitteln geschaffen sowie den Deutschland-Takt und die Netzkonzeption 2030 im Schienenwegeausbaugesetz im Kern bestätigt. Das war es dann aber auch! Die Liste der Versäumnisse und gegen die Schiene gerichteter Entscheidungen ist deutlich länger. Anders als etwa die EU oder unsere südlichen Nachbarländer setzt die Regierung immer stärker auf hochautomatisierte Verkehre auf der Straße und lässt der verheerenden Öffnung der Kostenschere bei Infrastruktur- und Energiekosten zwischen Straße und Schiene freien Lauf. Die Unabhängigkeit und Effizienz der Schieneninfrastrukturbetreiber steht nur auf dem Papier. Die dem Bund gehörenden DB-Verkehrsunternehmen binden seine Aufmerksamkeit und Mittel. Forschung und Einsatz bekannter effizienzsteigernder Technologien finden im Schienensektor kaum staatliche Unterstützung. 

Parlament und Regierung müssen sich entscheiden, ob sie die Schiene zum verkehrs- und umweltpolitischen Problemlöser entwickeln oder sich auf schiere Daseinsvorsorge beschränken wollen. Die betriebliche Effizienzsteigerung kann bei fairen Wettbewerbsbedingungen getrost den Unternehmen überlassen bleiben, aber die fundamentalen Verzerrungen in den Märkten können nur durch den Staat verändert werden. Ob Berlin dafür ein – noch dominantes – Eisenbahnunternehmen benötigt, bestehend aus Verkehrs-, Infrastruktur-, Service- und Beratungsunternehmen mit dem Anspruch, auch Autos, selbstfahrende Lkw und Fahrräder zu betreiben, sollte noch einmal überprüft werden. Am besten nach der Wahl, nach der Strategiediskussion, aber vor einer Neubesetzung von Rüdiger Grubes Position, bevor wieder alle Verantwortung delegiert wird.

Artikel von Standpunkt aus Rail Business, Ausgabe 10/17
Artikel von Standpunkt aus Rail Business, Ausgabe 10/17