Prof. Dr. Jörn Pachl

"Human Factors rücken in den Fokus der Forschung"

Moderne Stellwerke sind hochkomplexe Mensch-Maschine-Systeme. Um den Anforderungen eines leistungsfähigen Bahnbetriebes gerecht zu werden, darf die Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle nicht hinter der technologischen Entwicklung der Stellwerkstechnik zurückbleiben. Schon ein flüchtiger Blick auf die Bildschirme unserer heutigen ESTW zeigt, dass hier Nachholbedarf besteht. Die farbliche Gestaltung und die Symbolwelten der Lupenbilder und Bereichsübersichten erinnern an Monitorbilder der 1980er
Jahre. In der Tat hat sich seitdem an den Bedienoberflächen kaum etwas verändert. Der größte Umbruch war noch die Zulassung der Mausbedienung gegen Ende der 1990er Jahre. Durch die geplante und in einigen Bauformen bereits realisierte Abkehr vom überholten Konzept der sicheren Meldebildanzeige entfällt künftig die Notwendigkeit, freie Gleise ständig aktiv auszuleuchten. Damit böte sich die Möglichkeit, die nach modernen Erkenntnissen eher ungünstige Negativdarstellung mit hellen Gleisstreifen auf dunklem Hintergrund durch eine Positivdarstellung mit dunklen Gleisstreifen auf hellem Hintergrund zu ersetzen, wie es auch den aktuellen EU-Richtlinien für Bildschirmarbeitsplätze entspricht. Einige U-Bahnen sowie ausländische Eisenbahnen sind bei neuen Stellwerksgenerationen diesen Schritt bereits gegangen. Überfällig ist auch eine Integration der Bedienoberfläche des Stellwerks mit Fahrplananzeigen und Kommunikationssystemen. Diese im Prozess eng verbundenen Systeme werden dem Fahrdienstleiter noch immer auf teilweise völlig getrennten Bedienoberflächen angeboten. Zeitgemäß wäre beispielsweise, im Stellwerk mit einem Mausklick auf die Zugnummer Fahrplan- und Zuglenkinformationen abrufen und eine Zugfunkverbindung herstellen zu können. Die Gestaltung der Bedienoberfläche hat auch Einfluss auf das Situationsbewusstsein. Praktiker werden bestätigen, dass fahrdienstliche Fehlhandlungen in Betriebszentralen immer weniger durch mangelnde Kenntnis des Regelwerks, sondern viel eher durch Fehleinschätzung von Betriebssituationen, z. B. Verwechseln oder Übersehen von Fahrwegelementen und Zügen, verursacht werden. Bisherige Forschungen zum Situationsbewusstsein konzentrieren sich auf die Tätigkeit von Fahrzeugführern, aber kaum auf Mitarbeiter in Leitzentralen. In modernen
Stellwerken bestehen durch das simultane Verfolgen paralleler Prozesse bei zunehmender Automatisierung des Regelbetriebes sehr spezielle Anforderungen, deren Einfluss auf das Situationsbewusstsein noch nicht hinreichend erforscht ist. Zur Gestaltung nutzerfreundlicher Bedienoberflächen besteht somit deutlicher Forschungsbedarf, wobei die hier angesprochenen Fragen nur in enger Kooperation von Experten des Bahnbetriebes und Arbeitspsychologen untersucht werden können.

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Artikel von Gastkommentar aus der ETR, Ausgabe 11/2014
Artikel von Gastkommentar aus der ETR, Ausgabe 11/2014